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Gendersprache vor Gericht: Warum Alexander B. seinen Arbeitgeber Audi verklagt

© Armin Weigel/dpa
Audianer_innen, Mitarbeiter_innen – Alexander B. fühlt sich durch diese Formulierungen diskriminiert

Diskriminiert gendersensible Sprache Männer? Das muss jetzt ein Gericht entscheiden. Welche Strahlkraft hat dieses Urteil?

Ein Beitrag von Kristina Appel 

Im Frühjahr 2022 setzte der Autobauer Audi einen Leitfaden zur Nutzung gendersensibler Sprache in Kraft, der den Nerv seines Mitarbeiters Alexander B. traf. Dieser fühlt sich seither „massiv diskriminiert“ und sieht „seine persönliche Gesundheit in Gefahr“. Alle Bemühungen um einen Kompromiss im Vorfeld scheiterten. Nun muss das Landgericht Ingolstadt über den Fall entscheiden. Schafft das Verfahren einen Präzedenzfall? Wir fragen die Anwältin für Arbeitsrecht und XING Insiderin Christin Herken, was dieser Fall für Angestellte und Unternehmen bedeutet.

XING News: Frau Herken, Richter Christoph Hellerbrand sagte beim letzten Prozesstermin vor dem Landgericht Ingolstadt, dass die Entscheidung eine Einzelfallentscheidung sei, die kein Grundsatzurteil würde. Stimmen Sie dem zu?

Christin Herken: Der Kläger wird durch den Verein Deutsche Sprache e.V. unterstützt, der gendergerechte Sprache für eine ideologische Sondersprache hält, und auch die Anwälte des Klägers betrachten den Prozess als Musterprozess. Zudem gibt es noch kein einziges Urteil zur Anweisung der Verwendung geschlechtergerechter Sprache in Unternehmen. Vor diesem Hintergrund würde ich dem Urteil persönlich schon die Qualifikation „Grundsatzurteil“ zusprechen wollen.

Alexander B. fühlt sich durch gendersensible Sprache diskriminiert. Was gilt rechtlich gesehen als Diskriminierung?

Das ist meines Erachtens der entscheidende Punkt. Diskriminierung bezeichnet eine Benachteiligung oder Herabwürdigung von Gruppen oder einzelnen Personen nach Maßgabe bestimmter Wertvorstellungen und Einstellungen. Paragraf § 7 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes statuiert explizit ein Benachteiligungsverbot im Arbeitsverhältnis. Danach dürfen Beschäftigte unter anderem nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden.

Wird Alexander B. in diesem Fall also diskriminiert?

Die Klageanträge aus dem Verfahren liegen mir leider nicht vor, aber der Prozessberichterstattung ist zu entnehmen, dass der Kläger wegen der Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts klagt, das auch die geschlechtliche Identität schützt.

Ein ähnliches Urteil, das sich mit der Verwendung des generischen Maskulinums beschäftigt, liegt vom Bundesgerichtshof (BGH) bereits vor. Der BGH ist der Auffassung, die Verwendung des generischen Maskulinums in einem Formular (der Sparkasse) stelle keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und damit keine Diskriminierung dar (BGH, Urteil vom 13.3.2018 – VI ZR 143/17). So sehe ich es auch in diesem Fall.

Worauf basiert Ihre Einschätzung?

Entscheidend ist, ob der Kläger durch die Ansprache der Arbeitgeberin in Gendersprache (zum Beispiel in E-Mails) eine weniger günstige Behandlung erfährt als seine weiblichen Kollegen. Dies kann ich nicht erkennen. Dazu kommt, dass für eine Beurteilung, ob er wirklich eine weniger günstige Behandlung erfährt, die objektive Sicht einer verständigen dritten Person ausschlaggebend ist, so will es der BGH.

Der Kläger beanstandet außerdem, dass er durch den Leitfaden des Konzerns eben nicht gendergerecht angesprochen werde. Seiner Meinung nach ist in Formulierungen wie „Ärzt_innen und Anwält_innen“ die männliche Form nicht mehr ersichtlich, sodass er ungleich behandelt wird.

Und stimmt das?

Hier kommt es auf die Auslegung an. In dem Leitfaden, der allen Beschäftigten von VW und Audi zur Verfügung steht, wird klar erläutert, dass in der verwendeten Gender-Gap-Form die männliche Anrede ebenfalls enthalten ist. Aus Sicht einer objektiven dritten Person ist also klar, dass beide Geschlechter angesprochen sind. Darf der Kläger sich dann ungleich behandelt fühlen, obwohl er es doch besser wissen müsste?

@dpa/Fabian Strauch
Der Kläger, Alexander B. fühlt sich durch gendergerechte Sprache diskriminiert

Der Kläger fordert außerdem eine generelle Unterlassung der Vorgabe von Sprachregeln durch die Arbeitgeberin. Hat diese Forderung Hand und Fuß?

Ich kann auch hier keinerlei rechtliche Grundlage erkennen. Die Anweisung konkreter Sprachregelungen im Unternehmen unterliegt nach meinem Dafürhalten dem Weisungsrecht der Arbeitgeberin. Eine Diskriminierung scheidet meines Erachtens – wie bereits erläutert – aus, ebenso wie alle infrage kommenden Anspruchsgrundlagen auf Unterlassung.

Für den allgemeinen Unterlassungsanspruch fehlt es an einem entsprechenden Schutzgesetz. Und dort, wo es ein Gesetzt gibt, das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG), fehlt es nach Paragraf § 21 AGG an der erforderlichen Benachteiligung.

Wenn ein Unternehmen grundsätzlich selbst über die Nutzung von Gendersprache entscheiden kann, was bedeutet das für Arbeitnehmer·innen, die sich sprachlich diskriminiert fühlen?

Rechtlich stellt sich die Lage aus meiner Sicht so dar, dass ein Unternehmen selbst entscheiden kann, ob es Gendersprache einführen möchte oder nicht und ein Arbeitnehmer bzw. eine Arbeitnehmerin hiergegen nichts unternehmen kann.

Ich persönlich finde es überraschend, dass der Kläger sich derart diskriminiert fühlt. Immerhin werden weibliche Beschäftigte ganz selbstverständlich seit Jahrzehnten mit dem generischen Maskulinum angesprochen … stellen Sie sich vor, all diese Arbeitnehmerinnen würden deshalb klagen!

Wie stehen Sie persönlich zu dieser Debatte?

Ich empfinde den öffentlichen Diskurs zur Gendersprache als stark polarisierend. Dieser Prozess zeigt wieder einmal, welche Rolle Emotionen bei diesem Thema spielen. Ich bin für gute Lesbarkeit – aber für mich ist es auch wichtig, dass ein Umdenken in der Gesellschaft stattfindet. 

Ein Blick zurück: Was bisher geschah

  • Stein des Anstoßes: Im März 2021 führt der Autobauer Audi einen Leitfaden zur Nutzung gendersensible Sprache in interner, wie externer Kommunikation ein.
  • Alexander B: Der VW-Mitarbeiter fühlt sich persönlich diskriminiert. Memos und Rundmails der VW-Tochter verletzten seine Persönlichkeitsrechte – der „Schutz seiner geschlechtlichen Identität“ sei gefährdet.
  • Unterlassungsklage: Alexander B. fordert das Unternehmen auf, ihn nur noch mit dem gewohnten generischen Maskulinum anzuschreiben. Audi lehnt diese Forderung ab.
  • Versuch eines Kompromisses: Im Juni 2022 macht Richter Christoph Hellerbrand einen Vorschlag zur Güte – Alexander B. von allen Rundmails auszunehmen und individuell zu informieren.
  • Nicht praktikabel: Für Audi schon aus praktischen Gründen keine Option; bevorzugte Sprachregelungen für jede·n Mitarbeitende·n seien administrativ nicht zu leisten.
  • Keine Einigung: Die Audi AG hält an ihrem Leitfaden zu Diversity und Inklusion fest, Alexander B. fühlt sich durch die gendersensible Sprache „massiv diskriminiert“ und betont, seine „persönliche Gesundheit“ sei in Gefahr. Nach der Verhandlung erklärte er in einem Statement allerdings, es gehe ihm natürlich auch um „grundsätzliche gesellschaftliche Fragen“.

Die Fronten: Positionen des Unternehmens und des Klägers

  • Die Leitlinie des deutschen Automobilkonzerns Audi schreibt vor, möglichst genderneutrale Begriffe zu verwenden: „Führungskraft“ statt „Chef“ und „Mitarbeitende“ statt „Mitarbeiter“. Darüber hinaus sieht der Leitfaden den Gendergap vor, der Mithilfe des Unterstrichs auch alle nichtbinären Geschlechtsidentitäten einbezieht.
  • Alexander B. wird in seiner Klage vom Verein Deutsche Sprache e.V. unterstützt. Der Verein verurteilt Gendern als Ideologie, empfindet es als antidemokratisch und warnt vor einer „Umerziehung der Bürger“.
©Herken und Bachmann
Christin Herken, Partnerin Herken & Bachmann

Christin Herken ist Partnerin für Arbeitsrecht in der Kanzlei Herken & Bachmann. Sie ist seit 2005 im Arbeitsrecht tätig, hatte leitenden Positionen im Personalmanagement inne und ist Gründerin von www.mom-law.de. Als XING Insiderin schreibt sie über Personalwesen und Arbeitsrecht.

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