Aufbruch ins Ungewisse: Sollte man jetzt digitaler Nomade werden?

Den Strand zum Büro machen: Das digitale Nomadentum verspricht, Karriere und Freiheit miteinander zu versöhnen. Wie realistisch ist das? Was spricht für oder gegen ein Arbeitsleben unterwegs?

Sven Lechtleitner
  • Unzufrieden im Job? Die Zeit für einen Neuanfang ist jetzt
  • Werden Sie digitaler Nomade, wenn Sie selbstbestimmt arbeiten wollen
  • Doch Vorsicht: Die Fähigkeit zum digitalen Nomadentum ist Typsache

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Zum Jahresbeginn fragen sich viele: Passt mein Job noch zu mir? Ist es das, was ich die nächsten Jahre machen möchte? Erfüllt mich meine Arbeit?

Ich selbst musste diese Fragen vor einigen Jahren mit „Nein“ beantworten. Meine Arbeit als Personaler, später als Produktmanager, brachte mir keine innere Zufriedenheit mehr. Die Ursache dafür stellten weniger die Arbeitsinhalte, etwa die Bearbeitung von HR-Fragestellungen, dar. Vielmehr stieß ich mich immer wieder an gängigen Rahmenbedingungen: starren Organisationsstrukturen und nur bedingt flexiblen Arbeitszeitmodellen. So vermeintlich frei ich in manchen Anstellungen auch arbeiten durfte, ob im Homeoffice oder in Gleitzeit – echte berufliche Selbstbestimmung ist mehr, als nur Herr über seine Arbeitszeiten zu sein. Es geht darum, freier zu entscheiden, seinen Arbeitstag und seine Arbeitsabläufe selbst zu gestalten, unabhängig von Regeln und Vorgaben Dritter.


Welche Schattenseiten das digitale Nomadentum hat, beschreibt unsere Autorin Martina Kainz. Zu ihrem Artikel gelangen Sie hier.


Und so entschied ich mich gegen den Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber und für die Selbstständigkeit. Schon nach kurzer Zeit stellte ich fest, dass meine freiberufliche Tätigkeit als Autor, Redakteur und Journalist für Personalthemen kaum an eine Präsenz gebunden ist – abgesehen von wenigen Terminen oder Events pro Jahr. Mein Büro komplett ortsunabhängig zu gestalten war daher der nächste logische Schritt für mich in Richtung Selbstbestimmung. Heute, nach mehr als viereinhalb Jahren als Freiberufler, bin ich sogenannter digitaler Nomade, bereise die Welt mit der Arbeit im Gepäck – und bin mehr als zufrieden. Heute Köln, übermorgen Bangkok, nächste Woche Bali: Alles ist möglich.

Der kritische Punkt ist nicht die ungewohnte Arbeitsumgebung

Ob als Onlineunternehmer oder Freiberufler: Sein eigener Chef zu sein, ortsunabhängig arbeiten zu können, hat seinen ganz eigenen Charme. Ich persönlich setze dabei auf ein Mischmodell. Mit festem Wohnsitz in meiner Heimatstadt verbringe ich mehrere Monate im Jahr auf Reisen, aber auch viel Zeit in Deutschland. Denn ich habe die Wahl. Die Freiheit, die diese Form des Arbeitens mit sich bringt, bleibt unübertroffen. Jederzeit kann ich entscheiden, wann ich wo sein möchte. Allein die Möglichkeit, über seinen Arbeits- und Aufenthaltsort selbst zu entscheiden, auch wenn man sie nicht permanent nutzt, stellt für mich einen wahren Mehrwert dieses Arbeitsmodells dar. Mein Job ist immer mit dabei und dank digitaler Technologien von jedem Ort der Welt aus zu verrichten.

Zwar arbeiten einige digitale Nomaden als Remote Worker – sie genießen also die Sicherheit der Festanstellung und leben dabei ortsunabhängig; in der Regel aber geht das Lebensmodell als Nomade mit Selbstständigkeit einher. Meiner Ansicht nach ist genau diese selbstständige Arbeit der kritische Punkt am digitalen Nomadentum – und damit meine ich nicht etwa eine eventuell ungewohnte Arbeitsumgebung oder Heimweh. Ob sich jemand zur Selbstständigkeit eignet und genügend Disziplin sowie Organisationstalent besitzt, ist vor allem Typsache. Auch das Unsicherheitsgefühl, das jeden Selbstständigen begleitet, muss man aushalten können. Schließlich kennt kein Freelancer die Auftragslage von übermorgen.

Wer etwas ändern will, muss auch bereit sein, etwas aufzugeben

Digitales Nomadentum ist also keineswegs die Allzwecklösung für einen Neuanfang. Es ist lediglich ein neues Arbeitsmodell, das viel Freiheit verspricht – man muss es mögen und bereit dazu sein. Mein Ratschlag: Schauen Sie genau hin, was Sie im Job unzufrieden macht oder über einen Neuanfang nachdenken lässt. Sind es die Arbeitsinhalte – die sich durch ein Gespräch mit dem Vorgesetzten oder einen Jobwechsel meist leicht verändern lassen –, oder stören Sie eher die im Allgemeinen schwerer zu verändernden Rahmenbedingungen Ihrer Stelle?

Fest steht: Wer mit seinem Job unzufrieden ist und seine Situation verändern möchte, muss bereit dazu sein, auch etwas aufzugeben – zum Beispiel das Sicherheitsgefühl. Es ist immer gut, sich Gedanken über mögliche Konsequenzen eines Ausstiegs zu machen. Andererseits sollten Sie sich von eventuellen Bedenken nicht gleich entmutigen und vom Handeln abhalten lassen. In diesem Sinne: auf ein neues Jahr mit vielen Neuanfängen!


Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser! Könnten Sie sich vorstellen, ebenfalls als digitaler Nomade zu arbeiten? Wo würde es Sie hinziehen? Was wären Sie bereit für diesen Traum aufzugeben? Wir freuen uns auf lebhafte Debatten!

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Sven Lechtleitner
© Sven Lechtleitner
Sven Lechtleitner

Freiberuflicher Autor und Journalist

Sven Lechtleitner (Jg. 1978) schreibt als freier Autor und Journalist zu den Themen Arbeit, Management und New Work. Er ist Lehrbeauftragter für Personalmanagement und Unternehmensführung an der Europäischen Medien- und Business-Akademie (EMBA) sowie Autor des Buches „Arbeiten weltweit. Einsteiger-Guide für digitale Nomaden“. Vor seinem Wechsel in die Freiberuflichkeit arbeitete er als Personalreferent und später als Produktmanager für Online-Personalmedien.

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