NLP – Psychotrick oder echte Persönlichkeitsentwicklung?
These: Eine Methode, deren Vertreter postulieren "sie sei bereits weitgehend perfekt und enthalte keinerlei wesentlichen Korrekturbedarf mehr, höchstens gebe es unperfekte Anwender", kann nicht sehr weit entwickelt sein und muss noch viele tendenziell "blind" machende bzw. Blindheit erhaltende Flecken enthalten.
Bietet uns das NLP eine Sammlung mehr oder weniger hilfreicher oder sogar schädlicher Psychotricks oder kann es mit seinen Grundannahmen, Ideen und Techniken zu unserer Persönlichkeitsentwicklung Hilfreiches beitragen?
Bandler und Grinder, die Begründer des NLP, berufen sich immer wieder auf das Modeling (also auf das imitierende Lernen) von drei weltweit sehr anerkannten Psychotherapeuten; und darauf, dass das NLP hieraus entwickelt worden sei. Sie loben und bewundern diese drei Therapeuten sehr – allerdings nicht ohne immer wieder durchklingen zu lassen, dass sie selbst sich dann doch noch für ein wenig genialer hielten. Virginia Satir und Milton Erickson dagegen sahen die Arbeit von Bandler und Grinder im Laufe der Entwicklung des NLPs zunehmend kritisch und mit Sorgen. (Fritz Perls starb bereits 1970, konnte also nichts mehr direkt dazu sagen.) Würden sie heute noch leben, würden sie es vermutlich noch stärker ablehnen und vorm NLP warnen, als sie es zu Lebzeiten taten.
Meine Antwort auf die oben gestellte Frage: NLP kann beides sein
- eine verführerische, die echte Persönlichkeitsentwicklung eher behindernde, Psychotechnik (nicht besser als die letzte Brigitte-Diät oder wie der hoffnungslose Versuch, ein Haus nur mit Mörtel aber ohne Steine zu bauen) oder
- eine wundervolle Grundlage und Unterstützung für das Reifen, Wachsen und sich Entfalten unserer Persönlichkeit.
Die nächste Frage sollte also lauten:
WIE kann und muss NLP angewandt werden, damit es einen tatsächlichen Nutzen entfalten kann?
Sichtet man die NLP-Literatur so findet man zu dieser Frage wenig bis gar nichts, es überwiegt bei weitem die Vermarktung der heilsversprechenden Schnelltechniken. Die Bücher heißen auch dementsprechend: „Struktur der Magie“, „Der große Zauberlehrling“, „Und dann geschieht ein Wunder“. (Interessanterweise gehören allerdings gerade diese drei Bücher zu den besseren, die jeweils auch viel Hintergrundwissen enthalten.)
Eine in meinen Augen sehr positive Ausnahme hiervon macht das Buch „Abenteuer Kommunikation – Bateson, Perls, Satir, Erickson und die Anfänge des Neurolinguistischen Programmierens (NLP)“ von Wolfgang Walker.
In einer Fußnote (auf Seite 148) zitiert Wolfgang zu dem hier angesprochenen Thema aus einem Buch von Fritz Perls:
Es scheint an dieser Stelle angebracht, eine Warnung Perls' mitzuteilen, die sich angesichts einiger Erscheinungen auf dem gegenwärtigen Ausbildungs- und Therapiemarkt auch unschwer auf das NLP übertragen läßt. In der Einleitung zu „Gestalt Therapy Verbatim“ schreibt Perls:
„Ich möchte über die gegenwärtige Entwicklung der humanistischcn Psychologie sprechen. Wir haben lange Zeit dazu gebraucht, um das ganze Freudsche Zeug zu entlarven. Jetzt treten wir in eine neue und gefährlichere Phase ein. ... Wir treten in die Phase der Quacksalber und Betrüger ein, die glauben, daß du geheilt bist, wenn du irgendeinen Durchbruch schaffst - und die jegliche Erfordernisse des Wachstums außer acht lassen. ... Wenn das zur Mode wird, dann ist das für die Psychologie ebenso gefährlich wie das jahre-, jahrzehnte- und jahrhundertlange Auf-der-Coach-Liegen. ... Ich muß sagen, daß ich über das, was gegenwärtig vor sich geht, sehr besorgt bin. ... Einer der Einwände, die ich gegen manche Leute habe ..., ist, daß sie Techniken anwenden. Eine Technik ist ein Trick. Ein Trick sollte nur im äußersten Notfall angewendet werden. Es gibt genug Leute, die rumrennen und Tricks sammeln, immer mehr Tricks, und sie mißbrauchen. ... Aber die traurige Tatsache ist, daß dieses Hochkitzeln weit häufiger zu einer gefährlichen Ersatzaktivität wird, zu einer weiteren Scheintherapie, die echtes Wachstum verhindert. ... In der Gestalttherapie arbeiten wir für etwas anderes. Wir sind hier, um den Prozeß des Wachstums zu fördern und das menschliche Potential zu entfalten. Wir reden nicht von augenblicklicher Freude, von augenblicklicher Wachheit der Sinne, von sofortiger Heilung. ... Du brauchst keine zwanzig oder dreißig Jahre auf der Couch zu liegen ... aber du mußt Dich selbst einbringen, und Wachstum braucht Zeit" (Frederick S. Perls: Gestalttherapie in Aktion, Klett-Cotta-Verlag, 1974/1993, S. 10f).
Also: Wie und in welchem Rahmen kann und muss NLP angewandt werden, damit es einen tatsächlichen Nutzen entfalten kann und nicht (wie Perls schreibt) "zu einer gefährlichen Ersatzaktivität wird, zu einer weiteren Scheintherapie, die echtes Wachstum verhindert"?
Und: Was sind die "Erfordernisse des Wachstums", von denen Perls spricht und davor warnt, sie außer acht zu lassen?