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Sieben Ideen, wie Manager den glücklichen Zufall zum Erfolgsfaktor machen

Lernlunch, Sokrates-Fragen, Projektbegräbnis: Zufällige, unerwartete Erfolge lassen sich mit bestimmten Herangehensweisen gezielt verfolgen – ein Überblick.

Christopher Böhnke ist ein großer Fan des Zufalls: „Die besten Ideen entstehen oft durch unerwartete Impulse“, sagt der Chef von Accenture Song Design. Er und seine rund 200 Mitarbeiter konzipieren digitale Dienstleistungen und Produktdesigns für Kunden wie Roche oder Lufthansa.

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In der hybriden Arbeitswelt sind spontane Brainstormings in der Kaffeeküche weniger geworden. Noch rarer sind die regelmäßigen abendlichen Treffen, bei denen inspirierende Diskussionen oder überraschende Kooperationen mit Leuten entstanden, die man nicht jeden Tag sieht. „Das Unverhoffte in den geänderten Geschäftsalltag zu integrieren“, sieht Böhnke als Chefaufgabe.

Dazu experimentiert er mit Künstlicher Intelligenz (KI). Sie soll Designern im Homeoffice helfen, neue Ideen zu entwickeln. Ein Beispiel: Zu Schlagwörtern wie „Fahrzeug“, „nachhaltige Zukunft“ sowie „durch die Augen eines Tieres“ produziert die KI je vier Bildvorschläge aus Abermillionen von Möglichkeiten. Böhnke sagt: „Was dann auf dem Monitor erscheint, ist unvorhersehbar.“ Es sei „nicht selten der Funke, der gefehlt hat“.

Google Street View und Gmail entstanden durch spontane Begegnungen

Gerade in Zeiten fehlender Planbarkeit aufgrund von Wirtschaftskrise, Lieferschwierigkeiten oder Fachkräftemangel würden immer mehr Manager die Wichtigkeit des glücklichen Zufalls anerkennen und versuchten, eine Unternehmenskultur zu etablieren, die ihn begünstige, beobachtet Christian Busch. Der Professor erforscht an der New York University das sogenannte Serendipitäts-Phänomen. Serendipität bezeichnet glückliche Zufälle und unerwartete Erfolge.

Zu den bekennenden Zufallserfolg-Anhängern zählen Silicon-Valley-Größen wie Google-Chef Sundar Pichai, dessen Firmenzentrale für möglichst viele „casual collisions“ (spontane Aufeinandertreffen) aller Mitarbeitenden ausgelegt wurde, um Innovationen zu beflügeln. Autor Busch nennt Street View und Gmail als Erfolgstreffer, die bei Google durch solche spontanen Begegnungen von Kollegen unterschiedlicher Bereiche entstanden seien.

Aber auch Manager klassischer Industrien wie Tom Linebarger, der CEO des Diesel- und Gasmotorenherstellers Cummins, erklären Serendipität zum Herzstück ihres Tuns.

Wie das konkret aussieht, wenn der Führungsspitze klar ist, dass Dinge oft auf ungeplante Weise geschehen, verdeutlicht David S. Taylor, bis 2021 Vorstandsvorsitzender des Konsumgüterriesen Procter & Gamble. Sein Manager-Credo bezeichnet er so: „Wir versuchen, von anderen zu lernen, anderen zu helfen und Verbindungen herzustellen, die zu neuen Lösungen für Probleme führen, die wir vorher nicht lösen konnten.“

So kämen Führungskräfte aus dem Bewertungs- in den Entwicklungsmodus, und jeder Mitarbeitende fühle sich legitimiert, das Unerwartete und Ungewöhnliche weiterzuverfolgen. Forscher Busch bestätigt: „Dann werden wir aufmerksamer gegenüber unerwarteten Entdeckungen und neigen weniger dazu, auf den ersten Blick vielleicht abwegige Ideen selbst zu zensieren.“

Hier sieben Tipps und Tricks, mit denen Manager den Zufallserfolg-Generator gezielt – auch im hybriden Umfeld – anwerfen können.

1. Für Serendipität sensibilisieren

Erkundigen Sie sich in der wöchentlichen Teambesprechung: „Sind Sie letzte Woche auf etwas Unerwartetes gestoßen?“ oder „Was hat Sie letzte Woche überrascht?“. Lassen Sie sich und den Kollegen Zeit, kurz nachzudenken und zu besprechen, ob und welche Auswirkungen der jeweilige Umstand auf Ihr Geschäft, Ihre Strategie oder Produktentwicklung haben könnte.

Es lohnt sich, wie der Fall Haier zeigt, dem chinesischen Weltmarktführer von Haushaltsgeräten. Als dessen Wartungsmitarbeitende feststellten, dass viele Kundenbeschwerden über Waschmaschinen groben Schmutz betrafen, erkannten sie, dass Kunden in bäuerlichen Regionen die Geräte dazu nutzten, um ihr geerntetes Wurzelgemüse von Erde zu säubern, bevor sie es verkauften.

Anstatt diese Fälle als unbedeutend abzutun, ließ der damalige CEO Zhang Ruimin ein Modell entwickeln, das auch Pflanzenreste und Erde verarbeiten und filtern konnte. Die „Kartoffelwaschmaschine“ war geboren.

2. Zufallserfolge bekannt machen

Experte Busch rät Managern: „Feiern Sie glückliche Zufälle!“ Zum Beispiel, indem Sie in Ihrem wöchentlichen Newsletter oder bei der nächsten Townhall-Versammlung schildern, wie es dazu kam, dass Ihr Unternehmen auf ungewöhnliche Art einen wichtigen Kunden gewinnen konnte. Busch sagt: „So zeigen Sie Kollegen und Kolleginnen auf, wie es gelingt, entscheidende Punkte miteinander zu verbinden.“

Wichtig dabei sei, die Erfolgsstory nicht linear zu erzählen, sondern bewusst zu zeigen, welche ungewöhnlichen Begegnungen dazu nötig waren. Das öffne den Blickwinkel.

3. Fragen stellen wie Sokrates

Neue Lösungsansätze und Erkenntnisgewinn ergeben sich auch durch alternative Fragetechniken, zum Beispiel im Team. Forscher Busch empfiehlt Führungskräften zum Beispiel, es mit der „Sokrates“-Methode zu versuchen.

Dabei stellt man Fragen wie „Warum ist irgendetwas so und so?“ Beispielsweise: „Warum kommt dieses Ergebnis bei der Kundenbefragung heraus?“, „Warum bearbeiten/liefern/produzieren wir ein Produkt auf diese Weise?“

Statt die Frage „Wie können wir Kosten sparen?“ mit der typischen Antwort „Personal abbauen“ abzubügeln, wäre es zielführender, auf die Feststellung des Controllers („der Gewinn stagniert“) zu fragen: „Wie lässt sich der Gewinn steigern?“. Dadurch kommen auch Vorschläge auf den Tisch wie „neue Kunden finden, um größere Mengen zu produzieren und dadurch billiger einkaufen zu können.

4. „Lernlunch“ oder „Zufallskaffee“ etablieren

LinkedIn-Gründer Reid Hoffman spendiert Mitarbeitenden Mittagessen für zufällige Begegnungen über das eigene Team oder den eigenen Bereich hinaus. Und Dharmesh Shah, Mitbegründer von Hubspot, einer Plattform für Marketing, Sales und Kundenservice aus Massachusetts, billigte ein Budget für „Lern-Lunches“. Seine einzige Vorgabe: „sich mit einem klugen Menschen“ von außerhalb des Unternehmens zu treffen.

Diese Idee lässt sich auch vereinfacht beim „Zufallskaffee“ im Homeoffice am Bildschirm realisieren. Am besten zu zweit, aber auch Treffen mit mehreren Personen aus unterschiedlichen Bereichen sind möglich, um dazu anzuregen, eine „vernetzte Intelligenz“ in der Organisation aufzubauen.

Bei Google können die Beschäftigten sogar selbst die Tage auswählen, an denen sie online oder persönlich von einer entsprechenden Software zusammengebracht werden möchten, um zu erfahren, woran der oder die andere jeweils arbeitet.

5. Psychologische Sicherheit fördern

Erinnern Sie Ihre Mitarbeitenden bei der nächsten Sitzung daran, dass ihre Stimme entscheidend ist, wenn es darum geht, Dinge richtig zu machen. Sagen Sie zu Ihrem Team: „Denken Sie an die letzte Woche: War alles so gut, wie es hätte sein können? Was hätten wir anders machen können?“

Der Serendipitäts-Forscher Busch rät Chefs, mit gutem Beispiel voranzugehen: „Schildern Sie – natürlich in Maßen –, was Ihnen missglückt ist und was Sie verbessern wollen.“

Oder probieren Sie es doch mal mit einem „Projektbegräbnis“. Also berichten Sie von einem gescheiterten Vorhaben, von dem Sie dachten, dass es viel Potenzial hätte, das aber nicht funktioniert hat.

Busch sagt: „Solche Rituale ermuntern andere, ebenfalls offener zu werden – um so das Lernen voneinander zu ermöglichen.“ Weniger Perfektionsanspruch sei eine wichtige Voraussetzung für Experimentierfreude und zufällige Entdeckungen.

6. Mix aus Beruflichem und Privatem als spannende Anknüpfungspunkte

Wenn Oli Barrett, Gründer mehrerer Start-up-Unternehmen aus London, neue Leute trifft, wirft er mehrere Haken aus, um festzustellen, ob es eventuell Überschneidungen gibt. Wenn er gefragt wird: „Was machen Sie beruflich?“, antwortet er in etwa so: „Ich liebe es, Menschen zu verbinden, ich habe ein Unternehmen im Bildungssektor gegründet, vor Kurzem angefangen, mich mit Philosophie zu beschäftigen, aber was mir wirklich Spaß macht, ist Klavierspielen.“

Nicht selten ergäben sich bei diesem Mix aus Beruflichem und Privatem spannende Anknüpfungspunkte zum Gegenüber. Professor Busch rät ergänzend dazu: „Egal ob bei virtuellen Meetings im größeren Kollegenkreis oder wenn Sie mit Unbekannten auf Konferenzen zusammentreffen, „entwickeln Sie einen Möglichkeitsraum für andere“.

Können Sie beispielsweise jemandem einen interessanten Gesprächspartner vermitteln oder vielleicht einen Geschäftskontakt herstellen oder eine Mentorin empfehlen? Um herauszufinden, was den anderen beschäftigt, könne man sich zunächst erkundigen, was der Anlass war, die jeweilige Veranstaltung zu besuchen, oder auch, welcher Vortrag zum Bespiel das Gegenüber am meisten inspiriert hat.

7. Mit Shadowing experimentieren

Neben dem kreativen Stubs durch KI setzt Christopher Böhnke von Accenture Song Design auch künftig auf reale Begegnungen. Den einen oder anderen aus seinem Team schickt er zum Beispiel zu Kunden, um diese ein oder mehrere Tage lang vor Ort im Alltag zu begleiten. Shadowing nennt er das: „Es geht darum, sich bewusst auf Neues einzulassen.“ Auf Menschen und deren ungewohnte Bedürfnisse, auf alternative Kommunikationsstile, Konsum- oder Arbeitsweisen. Das erweitere die eigene Perspektive und öffne den Blick für kreative Lösungen, „auf die man am Schreibtisch sitzend nicht gekommen wäre“.

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