Politik

Meinungsfreiheit in Gefahr? Kritiker laufen gegen EU-Urheberrecht Sturm

Blick ins Europaparlament: Internetnutzern würde es mit der Urheberrechtsreform deutlich erschwert, Inhalte zu veröffentlichen, die sie nicht selbst produziert haben.

Blick ins Europaparlament: Internetnutzern würde es mit der Urheberrechtsreform deutlich erschwert, Inhalte zu veröffentlichen, die sie nicht selbst produziert haben.

(Foto: picture alliance / Patrick Seege)

Am 20. Juni entscheidet das Europäische Parlament über einen zwingenden "Uploadfilter" für Online-Plattformen. Dieser soll das Urheberrecht an das Internet anpassen. Kritiker sehen in dem Vorstoß ein "Werkzeug der Überwachung und Nutzerkontrolle".

"Es wird auf jede einzelne Stimme ankommen: Im Rechtsausschuss des EU-Parlaments könnte es eine haarscharfe Mehrheit für #Uploadfilter und damit Internet-Zensurmaschinen geben", schrieb Julia Reda vergangene Woche auf Twitter. Die Piraten-Politikerin im Europäischen Parlament, die dem Ausschuss angehört, warnt vor der Richtungsentscheidung, die am 20. Juni oder am darauffolgenden Tag fallen könnte und das Recht auf den Schutz geistigen Eigentums an das Internet anpassen soll.

Der umstrittene Artikel 13 des Gesetzentwurfs verpflichtet nutzergenerierte Online-Plattformen wie Twitter, Youtube, Google und Facebook, jeden einzelnen Upload ihrer User vor der Veröffentlichung zu filtern und auf Urheberrechte zu überprüfen. Die Inhalte werden mit einer riesigen Datenbank abgeglichen und auf Lizenzen kontrolliert. Verstößt der hochgeladene Inhalt gegen Urheberrechte, muss die Plattform die Veröffentlichung sofort unterbinden. Gegner der EU-Reform, darunter Reda, sprechen daher von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit und einer "Zensurmaschine", die sich leicht missbrauchen lasse.

Usern würde es mit der neuen Regelung deutlich erschwert, Texte, Videos, Lieder, Bilder und Quellcodes zu veröffentlichen, die sie nicht selbst produziert haben. Ziel ist es, die monetäre Vergütung im Internet gerechter zu gestalten. Profitieren sollen Autoren, Filmemacher und Musiker - im Gegensatz zu den großen Plattformen, die hohe Einnahmen mit den Inhalten ihrer Nutzer erzeugen. Die Unternehmen müssen sich die Genehmigungen der einzelnen Rechteinhaber einholen, damit Nutzer auch weiterhin deren Inhalte hochladen können und tragen damit eine deutlich höhere Verantwortung für Nutzeraktivitäten als bisher. Geht eine Beschwerde über eine mögliche Urheberrechtsverletzung bei ihnen ein, müssen sie sofort nachweisen, dass sie den Inhalt für die Öffentlichkeit gesperrt haben.

Probleme bei der Umsetzung

Der Uploadfilter soll sich dementsprechend eher an große Anbieter wie Google und Facebook richten und kleine Unternehmen berücksichtigen. Ausnahmen der Regel sind auch Cloud-Anbieter, Internetprovider und Online-Enzyklopädien wie Wikipedia und Open-Source-Entwicklungsplattformen, die nicht aus kommerziellen Zwecken den Zugang zu den Inhalten anbieten.

Dennoch dürften kleinere Unternehmen um ihre Existenz bangen. Da aus dem EU-Dokument wegen schwammiger Formulierungen nicht genau hervorgeht, welche Anbieter genau von der Reform betroffen sein sollen, könnten auch sie gezwungen sein, einen Uploadfilter einzurichten. Die Kosten für die Software liegen laut EU-Kommission bei etwa 900 Euro monatlich, anderen Schätzungen zufolge müssen vor allem Start-ups mit bis zu 50.000 Euro monatlich rechnen. Für sie ist die Herstellung und zuverlässige Umsetzung dieser speziellen Technologie zu teuer. Es könnte darauf hinauslaufen, dass sie die Software der großen IT-Konzerne wie Facebook oder Google nutzen, die wiederrum vom Verkauf ihrer Dienste profitieren.

Und auch die Künstler, die von der Urheberrechtsreform profitieren sollen, könnten unter den Uploadfiltern leiden. So könnten künstlerische Formate wie Parodien, Memes und Zitate blockiert werden, sagt Reda. Denn die Software kann oft nicht zwischen Urheberrecht und künstlerischer Freiheit entscheiden. Uploads, die eine geringe Ähnlichkeit mit geschützten Inhalten haben, laufen so Gefahr, in den Tiefen des Filters zu verschwinden und es nicht auf die Webseite zu schaffen. Davon würden eher die Plattformen der Plattenlabels und Filmverleiher profitieren, die ihre Inhalte vermarkten.

"Werkzeug der Überwachung und Kontrolle"

Nicht nur Reda und Netzaktivisten sehen deshalb in der Reform eine drohende "Internet-Zensurmaschine". In einem offenen Brief an das EU-Parlament appellieren zahlreiche ranghohe Vertreter der Netzwelt - darunter World-Wide-Web-Gründer Tim Berners Lee, Internet-Pionier Vint Cerf und Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales -, Artikel 13 der neuen Richtlinien genau zu überdenken. Andernfalls schwebten offene Plattformen in der Gefahr, zu einem "Werkzeug der Überwachung und Nutzerkontrolle" zu werden, sind sie sich sicher. Hätte der Artikel bei der Gründung des Internets bereits bestanden, sei es unwahrscheinlich, dass das Internet heute so existiere, wie wir es kennen.

Anders als die EU lehnt auch die derzeitige Bundesregierung den Vorstoß in ihrem Koalitionsvertrag mit der Begründung ab, dass eine Verpflichtung zur Filterung aller Inhalte "unverhältnismäßig" sei. EU-Abgeordnete von SPD und FDP, Grünen und Linkspartei riefen die Bundesregierung in einer gemeinsamen Erklärung auf, sich an den Koalitionsvertrag zu halten und den Antrag auf Uploadfilter abzulehnen. Der Europäische Gerichtshof hält diesen ebenfalls für unzulässig.

Netz-Aktivisten wie Save your Internet und Change Copyright rufen derzeit die Bürger auf, sich in den verbleibenden Tagen bis zur Entscheidung an ihre Abgeordneten zu wenden, um das Vorhaben der EU noch zu stoppen. Wie Julia Reda befürchten sie, dass eine knappe Mehrheit im Rechtsausschuss des EU-Parlaments für die Richtungsentscheidung stimmen könnte. In dem Ausschuss sitzt auch der CDU-Politiker Axel Voss. Der Berichterstatter der EU-Abgeordneten hält an der Urheberrechtsreform fest, unabhängig von der Meinung der Bundesregierung und seiner eigenen, nach der das Leistungsschutzrecht "vielleicht nicht die beste Idee" sei.

Quelle: ntv.de, lri

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