Meine Eltern hatten nie viel Geld. Den Führerschein finanzierte ich mir, indem ich in einem Supermarkt an der Kasse stand. Mit 18 fing ich an, in der Gastronomie zu arbeiten und auch während meines Studiums zur Sozialwirtin kellnerte ich in Cafés und Kneipen. Nach dem Diplom folgte ein schlecht bezahltes Praktikum nach dem anderen – und später ein ebenso schlecht bezahltes Volontariat bei einer PR-Agentur, das mir wenig Spaß machte. 2008 brach ich es ab und beschloss, mich mit einem Café selbstständig zu machen. Mit der Gastro kannte ich mich schließlich aus. 

Ich entschied mich für einen Laden in Friedrichshain und erstellte zusammen mit einem Finanzberater einen Businessplan. Eine kleine Bank, die sich auf die Unterstützung junger Unternehmer spezialisiert hatte, gab mir einen Kredit von 10.000 Euro. Das war mein Startkapital. Andere Rückladen hatte ich nicht. Im Mai 2008 feierte ich dann die Eröffnung des Frollein Palisander.

Um über die Runden zu kommen, hätte ich am Tag etwa 50 Euro verdienen müssen. Kein Hexenwerk, dachte ich damals. Doch Pustekuchen: Tatsächlich gab es Tage, da verdiente ich nicht einen Cent. Ich saß alleine im Café, sah die Leute auf der Straße an mir vorbeiziehen und hätte ihnen am liebsten hinterhergeschrien: Kommt doch rein! Ich fühlte mich machtlos – ein Gefühl, das ich bis dahin nicht kannte und das mich seitdem nie wieder losgelassen hat.

"Scheitern ist nicht die Zitrone des Schicksals, aus der man Limonade macht."

Um mich über Wasser zu halten, richtete ich Geburtstage aus und veranstaltete Konzerte. Das Café wurde immer "kneipiger", Bands wie The BossHoss und The Boxer legten dort ihre Lieblingsplatten auf. Aber es half nichts. Um die Miete zu stemmen, musste ich mir Geld von Freunden leihen. Nach einem Jahr konnte ich die Stromrechnung nicht mehr bezahlen. Bevor der Strom zwangsabgeschaltet wurde, machte ich eine Abschiedsfeier und verkaufte das Mobiliar.

Mittlerweile hatte ich nicht nur 10.000 Euro Schulden, sondern 40.000 Euro. Dazu die Stimme meiner Eltern im Kopf: "Wir haben dir doch gesagt, dass das nichts wird. Du hättest dich anstellen lassen sollen!" Ich fühlte mich leer, hasste mich selbst und zog mich von meinen Freunden und meinem Leben zurück: Ich blieb zu Hause, ging kaum noch ans Handy und fand alles nur noch anstrengend. Selbst der Supermarkt drei Blöcke weiter war mir zu weit. Hatte ich Hunger, schleppte ich mich zu McDonald's. 

Erzählen Menschen von ihrem Scheitern, tun sie das gerne bis zu dem Punkt, an dem alles in die Brüche geht. Dort angekommen drücken sie die Fast-Forward-Taste. Der Held der Geschichte hat zwar eine schwere Zeit. Das Scheitern bietet ihm jedoch eine wertvolle Lektion: Er lernt schnell aus seinem Versagen, macht es beim nächsten Mal besser – und steigt wie Phönix aus der Asche wieder auf.

"Nicht jeder kann es sich leisten, eine Firmenpleite als Lernerfahrung zu verbuchen."

Die Wahrheit ist jedoch selten so märchenhaft. Lasst euch nichts erzählen: Scheitern ist nicht die Zitrone des Schicksals, aus der man Limonade macht. Scheitern ist scheiße. Und kann einem auch das Genick brechen. Selbst wenn man den Willen hat, immer wieder aufzustehen: Optimismus und Durchhaltevermögen allein reichen oft nicht aus. Vor allem, wenn man aus einer Familie kommt, die einen finanziell nicht auffangen kann. Nicht jeder kann es sich leisten, eine Firmenpleite als Lernerfahrung zu verbuchen.

Nachdem ich mich gut drei Wochen fast nur von Burgern ernährt hatte, dachte ich mir: So kann das nicht weitergehen und bewarb mich für ein Surfcamp in Frankreich. Dort konnte man gegen Mitarbeit gratis wohnen. Für ein paar Monate schien das meine Rettung: Ich konnte den ganzen Mist hinter mir lassen, und die Arbeit in dem Camp gab mir wieder einen Grund, aufzustehen. Zurück in Deutschland erwartete mich jedoch die Realität – mit anderen Worten Hartz IV. Und meine Pechsträhne ging weiter.

Um die Schulden zurückzuzahlen, begann ich, für eine hippe Limonadenfirma im Außendienst zu arbeiten. Diese wurde jedoch kurz darauf von einer großen Brauerei aufgekauft und alle Angestellten entlassen. Es folgten weitere Jobs dieser Art. Doch egal, was ich machte, die Schulden wurden einfach nicht weniger.

40.000 Euro Schulden und Privatinsolvenz

2011 beantragte ich die Privatinsolvenz. Von da ab musste ich mit 1.078 Euro im Monat auskommen. Alles, was ich darüber hinaus verdiente, wurde zur Schuldentilgung benutzt. Dazu kam kam ein Schufa-Eintrag, der es sehr schwierig machte, eine Wohnung zu mieten – oder einen Handyvertrag abzuschließen. Als die Firma, bei der ich zu dieser Zeit arbeitete, mitbekam, dass ich insolvent bin, war mir das so peinlich, dass ich meinen Chef bat, mich zu kündigen. Den Gedanken, dass alle über mich reden und mich für einen Loser halten, konnte ich damals einfach nicht ertragen.