ZEIT ONLINE: Viele Unternehmen bieten ihrer Belegschaft verschiedene Arbeitszeitmodelle an. Dennoch machen Mitarbeiter mit Familie trotzdem nicht Karriere. Woran liegt das, Frau Weinmann?

Birgit Weinmann: Teilzeitmodelle funktionieren, wenn man "nur" im Job bleiben möchte. Was aber ist mit der Karriere? Bisher hat die Generation der Babyboomer für die Führungspositionen ausgereicht. Allerdings ändert sich die Situation gerade: Zum einen sind Führungspositionen für Unternehmen aus demografischen Gründen nicht mehr ganz so einfach zu besetzen. Zum anderen wollen viele Mitarbeiter nicht mehr um jeden Preis Karriere machen. Daher müssen Unternehmen umdenken und sich die Frage stellen: Wie geht entschleunigte Karriere?

ZEIT ONLINE: Warum ist es so wichtig, dass gerade die Unentschlossenen bei der Vereinbarkeitsfrage in Führungspositionen aufrücken?

Weinmann: Aufgrund der demografischen Entwicklung haben viele Unternehmen nicht viel Spielraum. Verzichten sie auf dieses Potenzial, weil sie beispielsweise ausreichend Führungskräfte im Unternehmen haben, kann das aus betriebswirtschaftlicher Sicht funktionieren. Allerdings kann sich das schnell ändern. Denn mittlerweile legen nicht mehr nur Mitarbeiter mit Familie Wert auf eine Vereinbarkeit – auch vielen Kinderlosen ist eine gute Balance zwischen Arbeit und Beruf wichtig. Künftig werden sich immer weniger Unternehmen leisten können, die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter zu ignorieren.

Daher sollten Arbeitgeber grundsätzlich veränderte Rahmenbedingungen schaffen. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel die Zweitkarriere: Nach der ersten Karriere und einer Familienphase startet die zweite Karriere in Teilzeit oder wieder in Vollzeit.

ZEIT ONLINE: Wie funktioniert das?

Weinmann: Arbeitgeber müssen für die unterschiedlichen Lebensentwürfe ihrer Mitarbeiter die Rahmenbedingungen schaffen. Es geht hier aber weniger darum, viel Neues zu entwickeln. Vielmehr geht es darum, die vorhandenen Bausteine entsprechend der Mitarbeiterwünsche zu nutzen.

Die muss man im Dialog mit den Beschäftigten herausfinden. Konkret geht es meist um die Frage, was gewünscht ist: Ist es eine Frage der Arbeitszeit (mehr Zeit für Privates) oder eine Frage der Unterstützung (z.B. eine Betriebskita)?

ZEIT ONLINE: Stellen Unternehmen diese Frage nicht schon seit Jahren?

Weinmann: Auf keinen Fall kann hier von einem Defizitproblem aus der Vergangenheit ausgegangen werden. Noch keine 20 Jahre wird über Vereinbarkeit diskutiert. Noch 2004 belegte das Thema den letzten Platz bei der Wichtigkeit bei Bewerbern und Karriereinteressierten in einer Studie zur Arbeitgeberattraktivität. Heute nennen Arbeitnehmer wie Arbeitgeber das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie als eines der zentralsten Herausforderungen.

ZEIT ONLINE: Vereinbarkeit wurde bisher vor allem als ein typisches Frauenthema verstanden.

Weinmann: Dabei ist es ein Thema der Unternehmenskultur. Mittlerweile wollen die meisten Beschäftigten eine gute Vereinbarkeit. Es ist also keine Frage, die nur Mütter beschäftigt. Und weil sich der Fokus erweitert hat, sind Vereinbarkeitslösungen in Zukunft Teamlösungen. Das heißt, treffen Unternehmen mit ihren Teilzeitkräften gewisse Vereinbarungen, dürfen sie dabei nicht ihre Vollzeitkräfte vergessen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Vollzeitkräfte ihre Solidarität für die Kolleginnen und Kollegen in Teilzeit aufkündigen. Mal davon abgesehen, dass die Art des Beschäftigungsverhältnisses ja nicht statisch ist. Jemand, der heute voll arbeitet, möchte vielleicht morgen seine Arbeitszeit reduzieren. Und jemand, der in Teilzeit arbeitet, möchte vielleicht wieder die Arbeitszeit aufstocken.

Das heißt aber auch, dass die Kollegen untereinander Verständnis für die anderen brauchen. Das erfordert ein Betriebsklima der Toleranz.

ZEIT ONLINE: Wie schaffen Unternehmen die Herausforderung, viele individuelle Lebensentwürfe in eine Personalpolitik zu integrieren?

Weinmann: Es braucht flexible Arbeitsorganisation und flexible Karrierewege. Deshalb müssen Unternehmen lernen, wie Karrierewege be- und entschleunigt werden können. Dazu gehört aber auch, das Thema explizit auf die Agenda zu setzen, sowie die Bereitschaft, in den Dialog und den Austausch zu gehen. Möglich ist das durch Instrumente wie das Mitarbeitergespräch. Ist es in der Personalentwicklung sichtbar, werden auch die verschiedenen Karrieremöglichkeiten sichtbar.

Und auch wenn es nicht bei jeder Tätigkeit möglich sein wird, sollten neue Modelle wie geteilte Führung mit geteilter Verantwortung ebenfalls kein Tabu mehr bleiben. Das funktioniert allerdings nur, wenn es im Unternehmen und von Mitarbeitern auch wirklich gewollt ist.

Wer ideologiefrei über verschiedene Lebensentwürfe sprechen kann und offen für Teamlösungen ist, wird mit der Dynamik der Lebensrealitäten deutlich weniger Probleme haben.