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Deutsche Wirtschaft Wie die Ungleichheit das Wachstum hemmt

Der Spalt zwischen Arm und Reich in Deutschland wächst. Das gefährdet laut einer neuen Studie nicht nur den Zusammenhalt der Gesellschaft, sondern auch die Wirtschaftskraft.
Bettler in Deutschland

Bettler in Deutschland

Foto: imago

Bekämpfen wollen sie angeblich alle, gelingen will ihnen das bisher nicht. Kaum ein Politiker, egal welcher Partei, der nicht gegen Ungleichheit vorgehen, die Kluft zwischen Arm und Reich zuschütten, die Schere schließen möchte. Doch trotz aller Reden ist die Einkommensungleichheit in Deutschland, gemessen am Gini-Koeffizienten, seit Anfang der Neunzigerjahre stark gestiegen - nie war sie höher als im Jahr 2013. Neuere Daten liegen nicht vor; die Werte für 2014 und 2015 in der Grafik sind Durchschnittswerte der Vorjahre.

Der Gini-Koeffizient liegt bei null, wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft gleich viel haben; hat ein Mitglied hingegen alles, beträgt er 100.

Dabei haben zuletzt mehrere Studien gezeigt: Ungleichheit kann nicht nur die Unzufriedenheit nähren, sie belastet auch die Wirtschaftskraft. Eine zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich hemmt das Wachstum, stellte die Industrieländerorganisation OECD in einem Bericht fest. Nun hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ermittelt, wie stark Ungleichheit die Wirtschaftsleistung in Deutschland drosselt. Und welche Gründe es dafür gibt. (Die vollständige Studie finden Sie hier .)

Um fast vier Punkte hat der Gini-Koeffizient für die Verteilung der Nettoeinkommen in Deutschland seit 1991 zugelegt. Ohne diesen Anstieg der Ungleichheit hätte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2015 rund 40 Milliarden Euro über dem tatsächlichen Wert gelegen, ermittelten die Forscher. Anders ausgedrückt: Die zunehmende Ungleichheit hat seit der Wiedervereinigung im Schnitt jedes Jahr einen halben Zehntel-Prozentpunkt (0,05) Wachstum gekostet. Oder: Über 25 Jahre ist das BIP um insgesamt zwei Prozentpunkte weniger gewachsen, als es möglich gewesen wäre. Genaue Werte seien aber mit Vorsicht zu interpretieren, so die Autoren, da ihr Modell auch Unsicherheiten beinhalte.

Das klingt nach wenig, und tatsächlich kommen frühere Studien wie jene der OECD zu drastischeren Befunden. Das liegt jedoch auch daran, dass die Autoren der FES-Studie vor allem von langfristigen Schäden durch eine gestiegene Ungleichheit für das Wachstum ausgehen. Und weil der Gini-Koeffizient erst nach der Jahrtausendwende deutlich gestiegen ist, rechnen die Forscher damit, dass die ungleichen Einkommen besonders in den kommenden Jahren die Wirtschaftsleistung belasten werden.

Auf drei Arten beeinflusse Ungleichheit das Wachstum, schreiben die Autoren. Kurzfristig ist sie für Beschäftigte ein Anreiz, sich mehr anzustrengen, um in Schichten mit deutlich höheren Einkommen vorzustoßen - zumindest, solange sie erreichbar scheinen. Denn bei extremer Ungleichheit tritt womöglich das Gegenteil ein: Geringverdiener frustriert ihre niedrige Bezahlung so sehr, dass ihnen die Motivation verlorengeht.

In jedem Fall fehlt der steigenden Zahl der Geringverdiener das Geld, um zu konsumieren; die Nachfrage im Inland sinkt. Jene mit hohen Einkommen geben nicht genügend aus, um das zu kompensieren; weil sie einen Teil ihres Geldes lieber zurücklegen, steigt die Sparquote. Das immerhin ist nicht nur etwas Schlechtes: Höhere Ersparnisse ermöglichen höhere Investitionen.

Am drastischsten ist der Effekt der Ungleichheit auf das Humankapital, er macht sich jedoch erst nach Jahren richtig bemerkbar. Weil es sich Geringverdiener nicht mehr leisten können, in ihre Bildung zu investieren, sinkt ihre Produktivität - und damit die der Gesamtwirtschaft. Die Ungleichheit verfestigt sich.

Die folgende Grafik zeigt, wie sich ein simulierter Anstieg der Ungleichheit um zwei Punkte auf dem Gini-Index auf die Wirtschaftsleistung auswirkt.

Ausgerechnet auch dank der gestiegenen Ungleichheit erringt Deutschland fast jedes Jahr den Titel des Exportweltmeisters. Wenn die Binnennachfrage schwach ist, zielen die Unternehmen in Deutschland auf das Ausland; zugleich dämpft die gesunkene Nachfrage vor allem der Geringverdiener die Importe: Der Außenhandelsbilanzsaldo wächst.

Wegen der - zumindest mittelfristig - höheren Exporte fällt der bisherige Schaden für das Wirtschaftswachstum in der FES-Studie dann auch nicht so hoch aus. Aber die Autoren warnen: Spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise wisse man, dass extreme Leistungsbilanzüberschüsse "äußerst problematisch für die Finanzstabilität und den Wachstumsprozess" seien.


Über die Studie: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung untersucht, wie sich Ungleichheit in der Einkommensverteilung auf das Wirtschaftswachstum in Deutschland auswirkt. Kurz gesagt: negativ. Wegen der besonders seit der Jahrtausendwende gestiegenen Ungleichheit sind die Investitionen in Bildung, der private Konsum und das langfristige Produktivitätswachstum gesunken, die Leistungsbilanzüberschüsse gestiegen. Die vollständige Studie finden Sie hier .