China erlebt die heftigsten Proteste seit vielen Jahren.
China erlebt die heftigsten Proteste seit vielen Jahren.
Alexander Mak/NurPhoto

China erlebt die heftigsten Proteste gegen die Regierung seit vielen Jahren. Entzündet hat sich der Unmut an den rigiden Corona-Maßnahmen.

Vielerorts gehen die Proteste aber darüber hinaus. Chinesen fordern mehr Freiheit und sogar die Ablösung des autokratischen Regimes.

Die Unruhen werfen die Frage wieder auf, ob Deutschland sich unabhängiger von China machen sollte. Das ifo-Institut hat die Folgen abgeschätzt, wenn Deutschland keine Geschäfte mehr mit China und anderen Autokratien machen oder sich zumindest entkoppeln würde.

China erlebt derzeit die heftigsten Proteste und Unruhen seit vielen Jahren. Auslöser waren die rigiden Corona-Maßnahmen der Regierung. Viele Proteste gehen mittlerweile aber darüber hinaus. Menschen verlangen mehr Rechte, kritisieren fehlende Meinungsfreiheit und fordern sogar ein Ende des Regimes des autokratisch regierenden Staatschefs Xi Jinping und seiner Kommunistischen Partei.

Die Proteste in China werfen die Frage neu auf, ob und in welchem Ausmaß Deutschland sich wirtschaftlich unabhängiger von China und anderen Autokratien machen sollte und machen kann.

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Kein anderes großes Industrieland ist so stark in die Weltwirtschaft eingebunden wie Deutschland. Gut 30 Prozent der deutschen Wertschöpfung stammen aus dem Export. In der Industrie sind es sogar 60 Prozent. Viele Geschäfte sind nur möglich durch den Import von Energie, Rohstoffen oder Vorprodukten.

Über Jahrzehnte war diese enge Einbindung in die weltweite Arbeitsteilung ein Erfolgsgarant der Exportnation Deutschland. Dann machte zunächst die Corona-Krise mit der Störung der Lieferketten und schließlich Russlands Überfall auf die Ukraine die Risiken deutlich: Wirtschaft und Wohlstand in Deutschland sind nicht nur in hohem Maße vom Funktionieren der weltweiten Netzwerke abhängig, sondern auch von Geschäften mit nicht-demokratischen Ländern.

Zwölf Prozent aller Exporte gehen in Autokratien

Zwölf Prozent aller Exporte deutscher Firmen gehen in Autokratien wie China, Russland oder arabische Länder. Sogar 15 Prozent aller Importe stammen aus nicht demokratisch regierten Ländern.

„Es wird deutlich, dass die Handelsbeziehungen mit Autokratien für Deutschland sowohl auf der Import- als auch auf der Exportseite eine größere Rolle spielen als es für die EU-27 insgesamt der Fall ist“, schreibt das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in einer Studie.

Schon der Titel macht deutlich, dass es dabei um Grundsätzliches geht: „Geopolitische Herausforderungen und ihre Folgen für das deutsche Wirtschaftsmodell“.

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Die Münchener Ökonomen um ifo-Präsident Clemens Fuest haben sich der Aufgabe gestellt, diese Folgen zu berechnen. Sie untersuchten zum Beispiel, was es bedeuten würde, Produktion aus China nach Deutschland, Europa oder den Mittelmeerraum zurückzuholen. Sie untersuchten die Folgen von Handelsbeschränkungen, sei es durch Deutschland allein oder die gesamte EU.

Das Ergebnis kann in der Richtung nicht überraschen: Die Entkopplung der deutschen Wirtschaft China wäre teuer. „Jede Form der De-Globalisierung kostet Wohlstand“, schreiben die ifo-Ökonomen. Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern in den meisten Szenarien für alle beteiligten oder betroffenen Länder und Regionen.

Aber wie stark wären die Effekte bei den verschiedenen Szenarien und welche Branchen wären besonders betroffen?

„Jede De-Globalisierung kostet Wohlstand“

Am stärksten wären die Effekte auf den Wohlstand in Deutschland durch eine Rückverlagerung von Produktion aus China nach Deutschland (Reshoring) oder auch in die EU, die Türkei und Nordafrika (Nearshoring). Im Falle der Renationalisierung würde Deutschland nach Rechnung des ifo Instituts rund zehn Prozent seiner Wirtschaftskraft verlieren. Beim Nearshoring immer noch gut 4,2 Prozent. In beiden Fällen gäbe es in keiner betroffenen Region Gewinner. Diese Zahlen beziehen sich auf alle Geschäfte mit autokratisch regierten Ländern.

„Folglich spricht aus ökonomischer Sicht sehr vieles gegen eine breit angelegte Rückverlagerung von Produktionsprozessen ins Inland bzw. in benachbarte Länder“, schreibt ifo.

In einem zweiten Szenario untersuchen die Forscher eine „Entkopplung der EU von China“ – vor allem durch den Aufbau von Handelshemmnissen wie Zöllen oder Regulierung. Im Falle einer einseitigen Entkopplung durch die EU würde das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 0,52 Prozent fallen. Sollte China darauf mit Gegenmaßnahmen reagieren, würden die Einbußen 0,8 Prozent ausmachen.

Das ifo-Institut verweist darauf, dass diese Zahl nicht groß erscheinen mag. Die Einbußen seien aber mindestens viermal so stark wie der negative Effekt durch den Austritt Großbritanniens aus der EU (Brexit).

Neben anderen Szenarien simulieren die Forscher auch eine Entkopplung Deutschlands und der EU von allen autokratischen Staaten. Bei der Frage, welche Staaten als autokratisch gelten, folgt ifo der Definition des britischen „The Economist“. Als Instrument der Entkopplung werden wieder vor allem hohe Zölle unterstellt.

Ergebnis: „Bei einer einseitigen Entkopplung Deutschlands von allen Autokratien würde das reale BIP Deutschlands geschätzt um 0,96 Prozent zurückgehen.“ Sollte die gesamte EU sich entscheiden, weitestgehend auf den Handel mit autokratischen Ländern zu verzichten, würde Deutschland noch etwas stärker, nämlich rund 1,2 Prozent des BIP verlieren.

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Betrachtet man die Effekte nach Branchen, würde besonders die deutsche Industrie und allen voran die wichtigste Branche, die Autoindustrie verlieren. „Lediglich wenige Wirtschaftsbereiche wie zum Beispiel die Textil- und Kleidungsindustrien könnten positive Wertschöpfungseffekte durch eine Entkopplung von China und weiteren Autokratien erwirtschaften, da einerseits wieder mehr Wertschöpfung zu Hause stattfindet, während andererseits der Export in Autokratien für diese Industrie weniger relevant ist.“

Bringt China das deutsche Erfolgsmodell ins Wanken?

In ihrer Schlussfolgerung schreiben die Ökonomen: „Neue geopolitische Herausforderungen haben das Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft mit seiner starken Außenhandelsorientierung ins Wanken gebracht“. Sie warnen aber, dass eine „De-Globalisierung“ in jeder Form erhebliche Wohlstandsverluste für Deutschland und viele andere beteiligte Länder bedeuten würde. Dies könne „nicht nur zu erhöhter Arbeitslosigkeit und geringerem Wohlstand führen, sondern letztlich auch die politische Stabilität des Landes gefährden¡, schreiben die Ökonomen.

Sie empfehlen daher eine andere Strategie: „Aus diesem Grund sollte nicht die Nationalisierung von Lieferketten, sondern die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für deren Diversifizierung das Ziel der deutschen und europäischen Wirtschaftspolitik sein.“

Die vollständige Studie und Hinweise zur Methodik findet ihr hier

Der Beitrag zu der Studie erschien zuerst im September 2022. Er wurde zuletzt am 28. November aktualisiert.

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