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Aufgeladene Konfliktzonen: Die Uni-Proteste erinnern an die 1960er-Bewegung

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Die aktuellen Pro-Palästina Demonstrationen an den Universitäten wecken Erinnerungen an die studentischen Bewegungen der 1960er Jahre. Eine Kolumne.

Es mag etwas spitzfindig sein, aus einer Stellungnahme von Hunderten an hiesigen Universitäten Beschäftigten Indizien dafür herauszulesen, dass diese noch immer in universitäre Kämpfe verstrickt sind, die bald 60 Jahre zurückliegen. Zumindest aber rief deren Kritik an der polizeilichen Räumung eines Protestcamps propalästinensischer Aktivisten an der FU Berlin auf vielfältige Weise Erinnerungen an die bundesrepublikanische Konfliktphase hervor.

Dabei hatten die akademischen Repräsentanten doch bloß ihre fürsorgliche Neutralität ins Debattenfeld werfen wollen. Für die jedoch scheint in den aufgeladenen Konfliktzonen keine Schiedsrichterposition vorgesehen zu sein. „Als Lehrende der Berliner Hochschulen“, hieß es in der Stellungnahme, „verpflichtet uns unser Selbstverständnis dazu, unsere Studierenden auf Augenhöhe zu begleiten, aber auch zu schützen und sie in keinem Fall Polizeigewalt auszuliefern.“

Pro-Palästinensische Proteste an der FU Berlin.
Pro-Palästinensische Proteste an der FU Berlin. © IMAGO/imagebroker

Uni-Proteste gegen Israel: Inszenierung als Opfer oder doch selbst Täter?

Selbstverständnis, Augenhöhe, Verpflichtung – fast wundert man sich, dass diejenigen, denen der Beistand doch zugedacht war, sich nicht lauthals gegen derart wohlmeinenden Paternalismus verwahrten. Hinsichtlich der von ihnen gewählten Protestform zeigten sie sich allerdings traditionsbewusst. Zerbrechliches Gestänge und die dünne Haut von Zeltwänden sind verlässliche Attribute demonstrativer Verletzlichkeit, die stärkste Waffe ihres Widerstands ist die Bereitschaft, sich alsbald als Opfer polizeilicher Gewalt darstellen zu können.

Den Lehrenden der Berliner Hochschulen scheint der Jargon geläufig. Wie selbstverständlich ging ihnen in ihrem Statement der Zusammenhang von Polizei und Gewalt in Form eines Kompositums über die Lippen. Dass aus der Versammlung der von ihnen zu Schützenden ebenfalls Gewalt hervorzugehen vermag, war ihnen keine weitere Überlegung wert, obwohl der Student Lahav Shapira einige Wochen zuvor „als Jude gelesen“ – wie man in diesem Milieu wohl sagt – und gerade deshalb auf brutale Weise verprügelt worden war.

Die Bild auf Seiten der Protestbewegung: Mit Hetzschrift gegen die Dozenten

Als ginge es darum, die heiße Phase früherer Studentenproteste als Farce zu wiederholen, assistierte unterdessen das bewegungserfahrene Boulevardblatt Bild sogleich mit einer steckbriefartigen Hetzschrift gegen die „Universitäter“ und zielte damit auf die Lehrenden. Die Affekte der frühen Jahre scheinen jederzeit abrufbar.

Wie schwierig es derzeit ist, sich einen Reim auf die Proteste gegen den Staat Israel (und allzu oft wohl auch gegen dessen Existenz) zu machen, verdeutlichte kürzlich Mark Siemons in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit der Vermutung, dass die Verbesserung der katastrophalen Lage der Palästinenser womöglich gar nicht den Schwerpunkt der Proteste der Studenten bilden.

Vielmehr, so Siemons, deute sich ein Schema der Weltdeutung an, das „Menschen nach Kriterien wie Hautfarbe, Gender oder sexueller Orientierung in Gruppen von Tätern und Opfern einteilt und die von denen, die einer Tätergruppe zugewiesen sind, erwartet, dass sie sich schweigend den Positionen derer anschließen, die als Sprecher der jeweiligen Opfergruppe auftreten.“ Eine Art postkolonialer Imperativ also?

Wie auch immer: Es sieht so aus, als seien die Universitäten als gesellschaftlicher Raum des Dialogs und Austauschs weder geeignet noch erwünscht. (Harry Nutt)

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