Es hätte ein bahnbrechender Deal werden sollen, jedenfalls für eine der größten Banken des Landes, die Raiffeisen Bank International (RBI). Um aus ihrem Dilemma in Russland zu entkommen, wollte das börsennotierte Kreditinstitut mit einem Tauschgeschäft einen Teil seiner in Russland eingefrorenen Gelder freibekommen. Gegangen wäre es um rund 1,5 Milliarden Euro, noch im Jänner zeigte sich RBI-Vorstandschef Johann Strobl zuversichtlich, das Geschäft bis Ende März unter Dach und Fach zu haben. Und jetzt das: Vorige Woche hat die RBI die komplexe Transaktion abgesagt. Und keine Woche später belegte die US-Sanktionsbehörde Ofac einen russischen Geschäftsmann und insgesamt drei russische Gesellschaften mit Sanktionen, weil sie in den Deal involviert gewesen sein sollen.

Frage: Warum mischt sich eine US-Behörde in ein Geschäft einer österreichischen Bank in Russland ein?

Antwort: Das hat mit dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska zu tun und seiner Rolle in besagter Transaktion. Deripaska wurde von der US-Sanktionsbehörde Ofac bereits 2018 ins Visier genommen und auf eine schwarze Liste gesetzt. Er soll im Interesse der russischen Staatsführung in diverse Geschäfte und Verbrechen eingebunden gewesen sein. In der EU ist der Mann ebenfalls sanktioniert, er soll unter anderem Ausrüstung an das russische Militär verkauft und damit den Krieg gegen die Ukraine befördert haben.

Goldene Nasen verdient sich die RBI in Russland. An das Geld kommt sie aber derzeit nicht heran, was zu vielen Komplikationen führt.
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Frage: Was hat Deripaska mit Österreich und der RBI zu tun?

Antwort: Deripaska hat sich vor Jahren am größten europäischen Baukonzern, der heimischen Strabag, beteiligt. Ihm gehörten über eine zwischengeschaltete Gesellschaft namens Rasperia 24,1 Prozent am Unternehmen. Uniqa/Raiffeisen hält fast 32 Prozent am Bauunternehmen, die Stiftung von Hans Peter Haselsteiner 30,7 Prozent. Weil Deripaska auf diversen Sanktionslisten steht, hat er keinen Zugriff mehr auf Dividenden der Strabag. Nach einem Rechtsstreit mit der Strabag ist er auch seiner Stimmrechte verlustig gegangen. Die Aktien sind eingefroren. In einem Ende des vergangenen Jahres ausgeheckten Geschäft sollten die Anteile des Russen an der Strabag bei der RBI landen. Deripaska sollte damit an das Geld aus seiner Beteiligung kommen, die RBI an ihre eingefrorene Milliarden in Russland.

Frage: Wie sah das Deripaska-Strabag-RBI Geschäft aus?

Antwort: Im ersten Schritt sollte Deripaska seine Strabag-Anteile, die er über die Rasperia hielt, an eine russische Firma verkaufen und zwar an die Aktiengesellschaft Iliadis Joint Stock Company. Das ist auch tatsächlich passiert. So hätte es weitergehen sollen: Die Iliadis sollte diese Anteile an die RBI-Tochterbank in Russland weiterverkaufen, für 1,51 Milliarden Euro. Die RBI in Russland hätte dann im letzten Schritt ihre Anteile an der Strabag an die Konzernmutter in Österreich übertragen. Die RBI hätte damit eine Beteiligung gewonnen, Deripaska seine Anteile versilbert.

Frage: Warum hat die RBI vorige Woche den Deal abgesagt?

Antwort: Dazu gibt es verschiedene Darstellungen. Die RBI sagt, sie hätte das Geschäft nur dann umgesetzt, wenn es im Einklang mit geltenden Sanktionsbestimmungen stünde. In einer Aussendung von vergangener Woche schrieben die Giebelkreuzler, sie hätte nicht genug "Komfort" empfunden, um das Geschäft weiterzuverfolgen. Die große Frage ist, was im Hintergrund tatsächlich geschehen ist. Tatsächlich wird die RBI seit langem von den amerikanischen Sanktionsbehörden und den europäischen Bankenaufsehern mit Argusaugen beobachtet. Den Amerikanern war der Deal von Anfang an suspekt, und sie haben auch nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie ihn ablehnen.

Frage: Warum hat die RBI das Geschäft trotz der Vorbehalte weiterverfolgt?

Antwort: Die RBI war laut wohlinformierten Kreisen lange davon überzeugt, dass sie mit dem Deal durchkommen werde, ohne an den Sanktionen anzustreifen. Sie hatte sich dafür Argumente zurechtgelegt: Einerseits sei der Käufer der Strabag-Aktien, die Iliadis, mithilfe von Beratern durchleuchtet worden. An dem Unternehmen soll kein sanktionierter Russe beteiligt gewesen sein. Streng genommen stehe im Zentrum der Transaktion der Verkauf einer Beteiligung von einem Russen (Deripaska) an eine russische Gesellschaft, an der kein europäisches Unternehmen beteiligt sei.

Frage: Wie haben die USA reagiert, gab es Warnungen an die RBI?

Antwort: Die USA haben sich laut Insidern von jeher sehr deutlich positioniert. In den vergangenen Monaten war der Austausch zwischen Washington und Europa rege. Mehrere Vertreter der US-Regierung reisten nach Wien, um ihre Bedenken anzubringen. So kamen etwa Vertreter der Sanktionsbehörde Ofac nach Österreich, um sich mit der Sanktionsbehörde Oesterreichische Nationalbank, der Finanzmarktaufsicht sowie dem Finanzministerium auszutauschen. Derartige Treffen sind nicht unüblich, üblicherweise geht es da aber nie um Einzelfälle, sondern um Themen wie Geldwäscherei oder Sanktionen. Im konkreten Fall lief das aber anders. Anfang März hatte die RBI Besuch von einer hochrangigen Vertreterin des US-Finanzministeriums, Anna Morris. Im Vorfeld dieses Besuchs verschickte die US-Botschaft in Wien eine Presseaussendung, die es in sich hatte. Die Kernbotschaft lautete, dass westliche Banken "Maßnahmen ergreifen sollen, um von Geschäften im Bereich von Russlands militärisch-industrieller Basis Abstand zu nehmen". Sollte das nicht geschehen, riskiere man, "vom US-Finanzsystem ausgeschlossen zu werden". Sprich: Allenfalls betroffene Banken hätten keinen Zugang mehr zu Dollar-Geschäften. Das war mehr als eine deutliche Warnung, denn ohne Dollar kein Bankgeschäft.

Frage: War das die einzige Warnung?

Antwort: Nein. Die USA schickten aber auch danach noch Briefe. Den letzten offenbar am 6. Mai: Die stellvertretende Finanzministerin, Wally Adeyemo, warnte darin noch einmal, dass die RBI aus dem US-Finanzsystem geworfen werden könnte. Zwei Tage später cancelte das Kreditinstitut das geplante Geschäft. Wieder ein paar Tage später setzte die Ofac genau jene auf die schwarze Liste, die in den Deal involviert waren, eben den Geschäftsmann hinter der Iliadis. Sie werfen ihnen vor, dass sie mit dem Deal die Sanktionen umgehen wollten. Die RBI wird in dem Ofac-Beschluss mit keinem Wort erwähnt.

Frage: Wieso hat die RBI so lange nicht den Ernst der Lage erkannt?

Antwort: Zum einen hat sie sich auf Berater verlassen, die offensichtlich sehr überzeugt von ihrem Vorhaben waren. Zum anderen, heißt es in der Branche, sei dieses Verhalten ein wenig mit der DNA des Raiffeisensektors zu begründen. Der Sektor war jahrzehntelang mächtig wie kaum ein anderer. Man konnte sich viel richten, und Autoritäten gab es im Sektor und nicht außerhalb. Kurz gesagt trete die RBI auch gegenüber Aufsichtsbehörden sehr selbstsicher auf und habe die Lage diesmal verkannt. Unterschätzt wurden offenbar auch die politischen Implikationen. Der Umgang mit Deripaska ist in den USA auch ein Politikum zwischen Republikanern und Demokraten. Wenig hilfreich dürfte auch gewesen sein, dass ein führender FBI-Mitarbeiter in New York zu 50 Monaten Haft verurteilt wurde, weil er für Oleg Deripaska gearbeitet haben soll.

Frage: Wie geht es in Russland für Raiffeisen weiter?

Antwort: RBI plagt sich seit mehr als zwei Jahren mit ihrem Engagement in Russland. Als eine der letzten großen westlichen Banken ist die Raiffeisen im Reich Wladimir Putins verblieben und erwirtschaftet mit ihrer Tochterbank üppige Gewinne, mehr als drei Milliarden Euro in Summe. Das Geld kann sie aber sanktionsbedingt nicht rausbringen. Nachdem der Deal nicht geklappt hat, bleibt entweder der (sehr schwierige) Verkauf der Bank oder eine Abspaltung des Russlandgeschäfts in eine eigene AG. Oder sie sitzen die Sache aus. Die Europäische Zentralbank hat allerdings einen Bescheid erlassen, wonach die RBI ihr Engagement in Russland noch weiter reduzieren muss. Die RBI denkt noch über Rechtsmittel dagegen nach. (Renate Graber, András Szigetvari, 16.5.2024)