Zahnarzt mit Maske aus Perspektive der Person auf dem Zahnarztstuhl.
Wenn sich der Zahnarzt über einen beugt, wirkt das für manche fast schon bedrohlich – auch wenn man weiß, dass es nicht wehtut. Das liegt auch daran, dass das Werken in der Mundhöhle ein direkter Eingriff in die Intimsphäre ist.
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Man liegt auf dem Zahnarztstuhl, über dem eigenen Gesichtsfeld schweben zwei Köpfe und vier Hände, im Mund hat man gefühlt sieben verschiedene Werkzeuge. Es riecht und schmeckt nach medizinischem Mittel, der Bohrer surrt, es pocht bis direkt ins Gehirn hinauf. "Ich bin nach jedem Zahnarztbesuch komplett verspannt. Mein Körper zieht sich automatisch zusammen, wenn ich den Bohrer nur höre. Ich versuche dann, mich wieder zu entspannen, ich weiß ja, ich habe eine Spritze bekommen, es tut nicht weh. Aber zwei Sekunden später bin ich schon wieder total verkrampft. So geht das, bis die Behandlung vorbei ist, ich kann einfach nichts dagegen tun", erzählt Leonie (Name geändert).

Die 37-Jährige war in letzter Zeit sehr regelmäßig beim Zahnarzt. Nachdem die Regulierung in ihrer Jugend kein gutes Ergebnis gebracht hatte, entschied sie sich noch einmal für Zahnschienen. Im Zuge der Behandlung ließ sie alte Füllungen entfernen und durch Inlays ersetzen. "Ich war in den vergangenen drei Jahren im Schnitt alle zwei Monate in der Ordination, und trotzdem ist es jedes Mal eine Überwindung, dorthin zu gehen. Nicht einmal die Freude über die jetzt geraden und guten Zähne kann das ausgleichen", sagt sie.

Angst versus Phobie

Leonie ist mit diesem Gefühl nicht allein, im Gegenteil. Je nach Umfrage gehen zwischen 60 und 80 Prozent aller Menschen nicht gern zum Zahnarzt. Sie haben eine sogenannte Zahnarztangst: Die beschreibt ein unangenehmes, mulmiges Gefühl vor und während eines Praxisbesuchs. Klar davon abgrenzen muss man die Zahnbehandlungsphobie. Dabei handelt es sich um eine spezifische Phobie, die auch als psychische Krankheit gilt, erklärt die Psychotherapeutin Monika Spiegel. Davon Betroffene – und das sind immerhin rund 15 Prozent der Menschen – fürchten sich so sehr vor dem Bohren, dass sie lieber mit Zahnschmerzen leben.

Dabei ist ausgerechnet die gute Mundhygiene eines der wenigen positiven Beispiele für früh vermitteltes Gesundheitsbewusstsein. Wie man richtig Zähne putzt, lernen schon die Kleinsten im Kindergarten, und das seit Jahrzehnten. Trotzdem gehört der Zahnarzt zu jenen Medizinern, zu denen viele am widerwilligsten geht. Da sei ihnen eine Prostatauntersuchung oder ein gynäkologischer Check noch lieber, berichten so manche. Woran liegt das?

Einer der Hauptgründe ist recht logisch: schlechte Erfahrungen. Fast jede Person kann mit irgendeiner schmerzhaften oder angsterfüllten Zahnarzterinnerung aus der Kindheit aufwarten. Daraus kann eine klassische Konditionierung entstehen, weil man den Arztbesuch automatisch mit Schmerzen verbindet. Dazu kommt das Modell-Lernen, der Zahnarzt hat ja fast nirgends einen guten Ruf. "Weil es vorwiegend negative Erzählungen und Darstellungen dieser Behandlung gibt, verstärkt das die eigenen Erfahrungen und damit auch die Angst", weiß Spiegel. Die Probe aufs Exempel zeigt das ganz klar: Erzählt man in der Arbeit oder im Freundeskreis, dass man einen Zahnarzttermin hat, erntet man ziemlich sicher mitfühlende Blicke und gute Wünsche.

Diese Angst ist dabei auch nicht ganz unberechtigt, die Zähne verursachen ja sehr oft Schmerzen. Der Zahnschmelz selbst, der die härteste Substanz im menschlichen Körper ist, enthält zwar keine Nerven und tut deshalb auch nicht weh, erklärt Andreas Moritz, der an der Universitätszahnklinik Wien die zahnmedizinische Ausbildung leitet. "Aber im Zahnbein, dem Dentin, befinden sich kleine Kanälchen, die mit bis zu 30.000 Nerven pro Quadratmillimeter gefüllt sind. Ist der Schmelz aufgrund von Karies weg oder geht das Zahnfleisch zurück und die Dentinkanälchen liegen frei, dann tut das natürlich weh." Und das Bohren ohne Spritze auch.

Scham und Kontrollverlust

Dazu kommt, dass man bei der Zahnbehandlung die Kontrolle abgibt. Wer weiß schon, was da wirklich passiert, wenn im Mund herumgewerkt wird? Oft fühlt es sich auch so an, als würde der Bohrer im nächsten Moment ins Gehirn durchbrechen. Im Kopf wird nämlich prinzipiell alles intensiver wahrgenommen, und dann zusätzlich verstärkt durch die Vibrationen beim Bohren. Gleichzeitig muss man sich darauf verlassen, dass die behandelnde Person das Richtige tut – auch das kann ein Gefühl der Unsicherheit erzeugen.

Doch nicht nur schlechte Kindheitserfahrungen und fehlende Kontrolle können dieses ungute Gefühl erklären, das so viele beim Zahnarzt haben. Leonie etwa erzählt: "Es geht nicht um die potenziellen Schmerzen. Aber ich habe irgendwie immer das Gefühl, dass mich eine Behandlung aus meinem inneren Gleichgewicht bringt. Es dauert danach jedes Mal ein paar Stunden, bis ich mich wieder richtig wohlfühle."

Psychotherapeutin Spiegel kann das gut nachvollziehen: "Der Mund ist ein absoluter Intimbereich. Er ist sozusagen das Tor zu Körper und Seele. Da greifen dann ein oder mehrere fremde Personen hinein, die einem unter anderen Umständen nie so nahe kommen würden, und versuchen, einem im übertragenen Sinn etwas anzutun. Das empfinden manche unbewusst als Grenzüberschreitung, gegen die man sich auch nicht wehren kann."

Und weil die Mundhöhle ein so intimer Bereich ist, sind oft auch Schamgefühle damit verbunden: "Der Zahnarzt oder die Zahnärztin sieht, wie gut oder schlecht das Zahnmaterial ist, ob man ordentlich geputzt hat. Man kann einfach nichts verstecken", sagt Spiegel. Insgesamt könne ein Zahnarztbesuch also eine totale Überschwemmung mit unangenehmen Gefühlen sein – "und genau das führt dann zu diesem diffusen Unwohlsein".

Neue Techniken und Entspannungsübungen

Dem können sich dann eben viele Menschen nicht entziehen, obwohl rein rational betrachtet heute niemand mehr Angst vor dem Zahnarzt haben muss. "Wir können heute jede Behandlung fast schmerzfrei durchführen. Am meisten tut da noch die Spritze weh", sagt Zahnmediziner Moritz. "In vielen Fällen schafft man es auch, dem Patienten oder der Patientin die Angst zu nehmen, wenn man darauf eingeht und die einzelnen Arbeitsschritte vorab bespricht." Neue Techniken wie Bohren mit Laser sind dazu viel schonender, wer unüberwindbare Angst vor der Spritze hat, kann eine Behandlung auch unter Narkose durchführen lassen.

Und man kann auch selbst etwas gegen das mulmige Gefühl tun. Therapeutin Spiegel empfiehlt, den Ängsten mit Entspannungstechniken entgegenzutreten: "Man konzentriert sich während der Behandlung statt auf die Geräusche rundherum auf sich selbst und versucht, möglichst langsam und tief zu atmen." Auch progressive Muskelentspannung kann Ängste abbauen. "Bei starkem Leidensdruck kann man sich auch professionell unterstützen lassen."

Eltern haften für ihre Kinder

Gefragt sind auch die Eltern. Denn deren Angst überträgt sich oft auf die Kinder. Wenn aber der Zahnarztbesuch von klein auf entspannt abläuft, entsteht diese diffuse Angst womöglich erst gar nicht. "Fühlt man sich als Erwachsener selbst unwohl, sollte man trotzdem versuchen, das den Kindern nicht zu zeigen, sonst überträgt sich das leicht", weiß Spiegel. Eltern sollten dagegen vorleben, dass Zahnarztbesuche wichtig für die Gesundheit sind und nicht notwendigerweise schmerzhaft oder unangenehm sein müssen.

Und man darf auch mit ein paar Tricks arbeiten. Belohnung und Lob nach einem Zahnarztbesuch können helfen, dem Nachwuchs die Angst zu nehmen. "Wenn Kinder nach jedem Zahnarztbesuch positive Verstärkung erfahren, kann das dazu beitragen, positive Assoziationen mit der Behandlung zu schaffen." (Pia Kruckenhauser, 16.5.2024)