Die Nachricht traf die deutschen Autobauer wie ein Blitz – und das in einer ohnehin angespannten Lage: US-Präsident Joe Biden verhängt Strafzölle auf Elektroautos aus China, und zwar in Höhe von 100 Prozent. Die Ironie dabei ist: Elektroautos chinesischer Hersteller werden in den USA kaum verkauft. Die Strafzölle treffen vor allem europäische Hersteller, die ihre Autos mit Batterieantrieb seit geraumer Zeit schon gerne in China fertigen und von dort in alle Welt verschiffen.
Zum Beispiel den auch in den USA beliebten SUV iX3 von BMW, das super-schicke Gefährt für alle Soccer-Moms and -Dads. Oder den elektrischen Mini, ebenfalls von BMW. Beides Autos, die in den USA durchaus einen Markt hatten – oder hätten haben können. Ebenso der elektrische Smart von Mercedes, er wird seit zwei Jahren allein in China produziert. Hinzu kommen Modelle von Volvo, Dacia und der Volvo-Tochter Polestar, ebenfalls beliebt in den USA. Es sind europäische Autohersteller, die am stärksten unter den neuen US-Zöllen auf Produkte aus China leiden werden, nicht chinesische.
Vielleicht ist dies die schmerzliche Pointe des großen Kapitels der Globalisierung, deren Sturm und Drang die Weltwirtschaft in den vergangenen 30 Jahren geprägt und angetrieben hat. Und wie immer bei einer Pointe markiert sie einen Abschluss: Die Epoche, in der gerade deutsche Unternehmen von der immer engeren Zusammenarbeit profitiert haben, geht nicht nur zu Ende, nein, sie kehrt sich sogar abrupt um. Deutschlands Engagement in China, aus dem Chinesen wie Deutsche lange gleichermaßen Profit gezogen haben, wird jetzt zum Verhängnis. Zumindest für eine Seite.
Größter Umbruch seit Erfindung des Autos
Und es trifft eine Branche, die wie keine zweite in Deutschland die Öffnung von Grenzen und Märkten, das weltumspannende Interesse an Handel und Kooperation, die Perfektion von Produktions- und Lieferketten für sich genutzt hat: die großen Autohersteller und ihre unzähligen Zulieferer. Autos in Deutschland zu entwickeln und anschließend auf dem ganzen Globus zu produzieren und zu verkaufen – dieses Geschäftsmodell funktioniert spätestens mit diesem Jahr nicht mehr. In einer Welt, die nicht mehr zusammenarbeiten will, verlangt jede Weltregion nun ihre eigenen Standards und Modelle.
Die gesamte Industrie befindet sich im größten Umbruch seit der Erfindung des Automobils. Es ist eine Geschichte, die weit über die Absatzflaute der Elektroautos in Deutschland und das plötzliche Desinteresse chinesischer Kunden an den Modellen deutscher Hersteller hinausgeht. Für Mercedes, BMW, Audi und VW kommt alles auf einmal: Technische Herausforderungen, ein plötzlicher Käuferstreik, steigende Kosten und neue, schmerzhafte Abhängigkeiten. Jetzt folgen auch noch Strafzölle und Sanktionen.
Diese Autos könnten von den Strafzöllen betroffen sein
Das E-Automodell iX3 wird bei BMW Brilliance in Shenyang gefertigt. Dabei handelt es sich um ein Gemeinschaftsunternehmen des deutschen Autobauers mit dem chinesischen Unternehmen Brilliance China Automotive.
Der Volvo EX30 wird von Volvo-Eigner Geely im chinesischen Zhangjiakou gefertigt. Ab 2025 sollen Teile der Produktion wieder im belgischen Gent erfolgen.
Polestar ist zwar formal eine schwedische Marke, die einst von Volvo mitgegründet wurde, sich jedoch im Eigentum von Geely befindet, einer chinesischen Holdinggesellschaft. Entsprechend werden auch fast alle Modelle in China hergestellt und zwar in Hangzhou Bay.
Der Buick Envision ist das erste in China gebaute Fahrzeug von General Motors, das seit 2014 dort produziert wird. Es ist zwar kein E-Auto, könnte aber später dennoch in den Fokus geraten, wenn die Strafzölle ausgeweitet werden
Der Cupra Tavascan wird bei Volkswagen Anhui in Hefei gefertigt und ist für den europäischen Markt konzipiert.
Der Dacia Spring für den europäischen Markt wird bei Dongfeng in Wuhan gefertigt.
Der Honda Jazz ist zwar kein Elektroauto, wird aber bei Honda in Dongfeng gefertigt und wird von dort aus auf den europäischen Markt geliefert.
Hinter dem Lincoln Nautilus verbirgt sich der Autohersteller Ford, der das Modell in Zhejiang beim Joint Venture Changan Ford produzieren lässt.
Drei elektronische Mini-Modelle – Cooper, Aceman und Countryman – werden bei Great Wall Motors gefertigt. Der chinesische Partner hat auch einen Großteil der Technik der neuen elektrischen Minis entwickelt.
Ähnlich wie Polestar hat die Holdinggesellschaft Geely großen Einfluss auf die Marke. Geely gehören fast 50 Prozent der Mercedes-Benz-Tochter Smart. Die Chinesen haben fast alle Modellen mitentwickelt. Smart-Modelle werden seit 2022 in China gefertigt. Die Produktion in Europa wurde 2024 beendet.
Wer an E-Autos aus den USA denkt, dem wird vermutlich zuerst Tesla einfallen. Doch auch Tesla produziert in seiner Gigafactory in Schanghai für den Weltmarkt – und zwar das Model 3, das vor allem nach Europa geht.
Man muss mit den Herstellern, die lange prächtig verdient haben und die sich manche Probleme selbst eingebrockt haben, kein Mitleid haben. Die Konzerne sind zudem immer noch stark, sie sind hoch innovativ und es ist längst nicht ausgemacht, dass sie ihren aktuellen Rückstand auf die neuen Wettbewerber nicht wieder aufholen können. Und dennoch geht die Krise der deutschen Autoindustrie wahrscheinlich fast alle im Land an: Hersteller und Zulieferer haben in den vergangenen 130 Jahren enormen Wohlstand geschaffen – nicht zuletzt für ihre Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Europa in der Zwickmühle
Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben: Dass die Chinesen in absehbarer Zeit doch noch ihre Liebe zu deutschen Fabrikaten wiederentdecken, ist eher unwahrscheinlich. Dafür sind sie viel zu stolz auf die neuen Fahrzeuge aus heimischer Produktion: Heimkinos auf vier Rädern sind das, Statussymbole und Rückzugsorte für eine Gesellschaft, die wenig Privates mehr zulässt. Mag sein, dass Porsche immer noch Käufer (und vor allem Käuferinnen) in China finden wird, doch selbst das ist nicht gewiss: „Man kriegt es ins Gesicht gerieben wie eine Torte“, sagte ein VW-Manager Capital-Reporter Lutz Meier auf der Automesse in Peking über den neuen Xiaomi SU7, der dem vollelektrischen Porsche Taycan verdächtig ähnlich sieht – dafür aber mit umgerechnet knapp 30.000 Euro nur einen Bruchteil kostet.
Das alles wäre schon herausfordernd genug, aber Bidens Strafzölle und der Handelskrieg mit China kommen nun noch obendrauf: Die USA setzen nämlich die EU-Kommission in Brüssel unter Druck, nun ihrerseits gegen vermeintliche Billig-Importe aus China vorzugehen. Dass diese Importe gar nicht besonders billig sind und statt den chinesischen vor allem die europäischen Hersteller treffen wird, spielt dabei auch für Brüssel keine große Rolle. Und sie werden wiederum eine scharfe Reaktion der Chinesen provozieren, die wahrscheinlich ihrerseits Zölle auf Erzeugnisse aus Europa verhängen werden. Manche hoffen darauf, dass ihr Zorn vor allem Rotwein und Cognac aus Frankreich treffen wird, wo die Idee europäischer Strafzölle geboren wurde. Doch das ist nicht gewiss.
Nun gäbe es für Europa einige Möglichkeiten, das Unabwendbare wenigstens noch sinnvoll zu flankieren: Durch eine kluge Handelspolitik zum Beispiel, die neue Allianzen und Absatzmärkte in der Welt erschließt. Handelsabkommen wären eine Antwort, etwa mit den Staaten Südamerikas oder mit den aufstrebenden Ländern Südostasiens. Das wäre eine Aufgabe für die EU, insbesondere für die nächste Kommission nach der Europa-Wahl (nachdem die scheidende hier nichts hinbekommen hat). Oder, hier in Deutschland, endlich eine Standortpolitik, die Investitionen in Stromnetze und Infrastruktur fördert. Wenn schon nicht durch Kaufprämien für neue E-Autos, dann wenigstens durch schnellere Genehmigungsverfahren für den Ausbau der Ladeinfrastruktur.
Im aufziehenden Handelskrieg mit China bekommt Europa eine noch größere Aufgabe: Wenn sich die Welt immer mehr separiert und die Zusammenarbeit aufkündigt, müssen wir die Grundlage für künftigen Wohlstand umso entschiedener hier in Deutschland und in Europa schaffen.