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Schluss mit Home-Office Alle zurück ins Büro: Wie arbeiten wir denn nun in Zukunft?

Großraumbüro
Großraumbüro statt Home-Office?
© bowdenimages/gettyimages
Unternehmen wie IBM, die schon vor Jahrzehnten aufs Home-Office setzten, galten als Wegbereiter für moderne Arbeitsformen. Nun ist damit Schluss, die Mitarbeiter sollen wieder im Büro arbeiten. Ist das Home-Office doch nicht die Zukunft?

Hinweis: Dieser Text war einer der meistgelesenen Artikel auf stern.de im Jahr 2017 - zum Jahresrückblick spielen wir die besten Artikel in loser Reihenfolge bis zum Ende des Jahres.

IBM macht Schluss mit der Heimarbeit: Rund 2600 Mitarbeiter der Marketingabteilung sollen künftig wieder in einem Büro sitzen. Andere Abteilungen hätten diesen Schritt schon vollzogen oder würden bald folgen, berichtet "Quartz". Damit legt IBM in Sachen Mitarbeiterfreiheit und Arbeitsplatzwahl eine Vollbremsung hin. Denn das US-Tech-Unternehmen war einer der ersten Konzerne, die sich in den 1990er Jahren von der Anwesenheitspflicht verabschiedete - und voll aufs Home-Office setzten.

Seit Jahrzehnten suchen Personalabteilungen und Firmenführungen weltweit nach der Zauberformel für den perfekten Arbeitsplatz. Drei Säulen scheinen dabei nur schwer zu harmonieren: Produktiv sollen die Mitarbeiter durch die Art und Weise, wie und wo sie arbeiten, werden. Und dabei natürlich auch zufrieden, denn so hält man Angestellte im Unternehmen. Aber unendlich viel kosten darf das Modell auch nicht. Leistungsstarke und glückliche Mitarbeiter, deren Arbeitsplatz überschaubare Kosten verursacht? Eine Herausforderung.

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Für IBM war die Lösung das Home-Office. Rund 40 Prozent der weltweit 386.000 Mitarbeiter arbeiteten zumindest zum Teil von zu Hause aus. So sparte sich der Konzern jedes Jahr 100 Millionen Dollar - denn die Bürofläche konnte verkleinert werden, der Energiebedarf sank. Denselben Weg ging etwa auch Yahoo. Kreative Ideen kommen eben nicht unbedingt an einem starren Arbeitsplatz, sondern mal zu Hause, mal im Café oder auch am Strand.

Doch 2013 zog der Tech-Konzern die Reißleine. Marissa Mayer, damals noch als Retterin des angeschlagenen Konzerns gefeiert, beorderte ihre Leute wieder in die Büros. "Bei Yahoo zu sein, das ist nicht nur ein Job, den man von Tag zu Tag erledigt. Es geht um eine Zusammenarbeit, die nur in unseren Büros möglich ist", ließ sie über einen Rundbrief der Personalabteilung wissen. Auch IBM spricht vom Arbeiten "Schulter an Schulter", um den Herausforderungen zu begegnen.

Home-Office braucht neue Führungskultur

Beide Konzerne hatten Maßstäbe gesetzt. Den Mitarbeitern Freiheiten zu lassen, ist für Führungskräfte nicht ganz einfach. Die Untergebenen entziehen sich in dem Modell auch einem Machtgefüge in den Konzernen. "Leistung wird hier oft mit Präsenz gleichgesetzt", sagte Dennis Stolze dem stern, "das ist ein Denkfehler." Stolze ist Mitarbeiter des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und forscht dazu, wie sich unsere Arbeitsumgebung entwickelt. Viele Chefs würden immer noch zu sehr auf Überwachung setzen. Das ist der falsche Ansatz, sagt er: "Wissensarbeit findet im Kopf statt. Man kann sich aber nicht an den Schreibtisch setzen, auf einen Knopf drücken und acht Stunden lang kreativ sein." Beim Home-Office weicht Kontrolle Vertrauen, Überprüfbarkeit wird durch Eigenverantwortung ersetzt.

Viele wollen Home-Office, weniger bekommen es

In Deutschland tun sich Firmen nach wie vor schwer, diesen Schritt zu gehen. Nur elf Prozent der Angestellten in Deutschland arbeiten von zu Hause aus - obwohl sich das rund 25 Prozent von ihnen wünschen. Damit liegt Deutschland unter dem westeuropäischen Durchschnitt von 17 Prozent. In Skandinavien liegt der Anteil sogar bei fast 28 Prozent. In den Niederlanden gibt es inzwischen einen Rechtsanspruch auf einen Tag Home-Office pro Woche. "Homeoffice ermöglicht es viel mehr Paaren, sich die Kinderbetreuung aufzuteilen", sagt Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) der "Welt". "Die Digitalisierung hilft dabei."

Ein Galionsfigur in Deutschland war Microsoft. Nach der Vertrauensarbeitszeit führt das Unternehmen 2014 auch den Vertrauensarbeitsort ein. Damit wurde per Betriebsvereinbarung geregelt, was schon lange im Unternehmen gelebt wurde. "Anwesenheit sagt nichts über die Qualität der Leistung von Mitarbeitern aus, sondern liefert häufig sogar ein falsches Bild", sagte Elke Frank, damals noch Chefin der Personalabteilung und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Deutschland.

Rund 90 Prozent der Mitarbeiter würden flexibles Arbeiten nutzen. Dieser Fakt hatte Einfluss auf die Gestaltung der neuen Firmenzentrale in München. Die Zahl der Arbeitsplätze beträgt 1100, dabei arbeiten rund 1900 Mitarbeiter an dem Standort. "Für uns ist die Zukunft die volle Flexibilität der Mitarbeiter", sagt eine Microsoft-Sprecherin dem stern. Doch sie betont auch: das Büro würde immer ein wichtiger Ort bleiben. Unternehmens-Kultur würde dort entstehen, allerdings weder in Großraumbüros wie Wartehallen noch in verstaubten Einzelbüros.

Arbeitsbereich statt festem Schreibtisch

Microsoft bietet keine festen Arbeitsplätze mehr, es gibt aber Arbeitsbereiche, die Funktionen erfüllen: Für Einzelarbeit, Konferenzen oder Teamarbeit. In einer kürzlich durchgeführten Mitarbeiterbefragung sei eines der wichtigsten Kriterien, warum Menschen gerne bei Microsoft arbeiten, der flexible Arbeitsplatz gewesen. Und: Microsoft würde kaum an dem System der freien Wahl bei Ort und Zeit der Arbeit festhalten, wenn es sich nicht für den Konzern lohnen würde.

Bei IBM hat es sich offenbar nicht gelohnt. Oder anders gesagt: IBM steht vor großen Herausforderungen. Und denen will das Unternehmen mit einer neuen, alten Arbeitsweise begegnen. John Sullivan, Professor für Management an der San Francisco State University, glaubt an die Macht der Innovation, die simple Produktivitätssteigerung übertrumpfe. Das zeige sich bei Firmen wie Apple oder Facebook, bei denen rechnerisch jeder Mitarbeiter einen Umsatz von zwei Millionen Dollar pro Jahr bringe. Bei IBM sind es hingegen nur 200.000 Euro. "Das Home Office war eine großartige Strategie für die Achtziger- und Neunzigerjahre", sagt Sullivan gegenüber "Quartz", "aber für 2015 passt das nicht mehr." Er glaubt an Zusammenarbeit als Schlüssel für künftigen Erfolg.

IBM: Möglichkeit, Personal einzusparen

Bei IBM machen Geschäftsfelder wie Künstliche Intelligenz und eigene Cloud-Angebote zwar inzwischen rund 41 Prozent des Umsatzes des Unternehmens aus. Doch sie können die Verluste anderer Geschäftsbereich nicht einfach ausgleichen. IBM will wachsen - und sich zeitgleich von unrentablen Bereichen verabschieden. Wie die Tech-Seite "The Register" berichtet, scheint IBM diesen drastischen Schritt für die Konsolidierung der Firma zu nutzen. Mitarbeiter von kleineren Büros, die bislang im Home-Office arbeiteten, wurde nahegelegt, näher an das Büro zu ziehen - oder das Unternehmen zu verlassen. Für diese Entscheidung hätten die Angestellten rund 30 Tage Zeit. Laut der Tech-Seite ist davon auszugehen, dass auch in Europa die Zeit der Heimarbeit bei IBM vorbei ist. Auf dem Firmenbewertungsportal Glassdoor schreibt ein Mitarbeiter Mitte März: "Home Office bisher uneingeschränkt möglich. Wahrscheinlich wird sich das bald ändern."

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