Neue BASF-Fabrik für Batteriematerialien: Das drei Jahrzehnte verspätete Wunder von Schwarzheide
Bei der Fertigung von Batteriezellen für Elektroautos ist Europa bisher völlig auf Importe aus China angewiesen. Eine neue BASF-Fabrik in Brandenburg weckt nun die Hoffnung auf eine unabhängige europäische Batterie-Zukunft – auch für den Ort selbst ist es eine spektakuläre Wiedergeburt.
Das 5700-Einwohner-Städtchen Schwarzheide liegt 50 Kilometer nördlich von Dresden, direkt hinter der sächsisch-brandenburgischen Grenze. Trotz der bedeutendsten Sehenswürdigkeit im Ort, einem später als Wasserturm umfunktionierten Rathausturm, verschlägt es Touristen eher selten in die Stadt. Auf politische Reisende hingegen scheint der Ort eine ganz spezielle Magie auszustrahlen: Erst im November war Bundeskanzler Olaf Scholz vor Ort.
Am Donnerstag reisten dann neben Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und der Vizepräsident der EU-Kommission Maros Sefcovic aus Brüssel in die Lausitz. Sie kamen nicht wegen des Wasserturms. Sondern wegen der riesigen Industrieanlage, die den Ort Schwarzheide seit inzwischen rund 100 Jahren prägt – und in jüngster Vergangenheit eine erstaunliche Wendung erfahren hat: Der BASF-Konzern, dem das Areal heute gehört, beginnt dort gerade mit der Herstellung von Kathoden-Material, den chemischen Grundstoff für Batteriezellen.
Die Erwartungen an den zweitgrößten europäischen Standort des Chemiekonzerns sind alles andere als bescheiden: Die Fabrik in Schwarzheide soll in Sachen Batteriefertigung Deutschlands, ach was, Europas Unabhängigkeit sichern. Es ist die erste Anlage ihrer Art auf dem Kontinent.
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Abhängig von Asien – noch
Die Prominenz der Gäste zeigt die Relevanz der Anlage. Als zusätzlicher Hinweis dienen die 175 Millionen Euro, mit denen der Bund und das Land Brandenburg den Chemiekonzern beim Bau seiner Batteriematerialienfabrik unterstützt hat. Erst vergangene Woche hatte der europäische Rechnungshof davor gewarnt, dass der für 2035 anvisierte Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor ohne einen deutlich schnelleren Ausbau der Batteriefertigung der EU nicht gelingen könnte. Bei der Fertigung von Batteriezellen für Elektroautos hängt Europa vor allem Asien hinterher. Schätzungen zufolge werden derzeit mehr als 80 Prozent der Batterien weltweit in Asien produziert. Fabriken für die Herstellungen für E-Auto-Batterien entstehen zwar derzeit an vielen Orten in Europa. Die dafür benötigten Grundchemikalien jedoch blieben bisher vergleichsweise weitgehend außen vor – nicht so in Schwarzheide.
Schwarzheides Aufstieg zum Prestigestandort von BASF kam auch für den Konzern überraschend. Die BASF-Geschichte hier beginnt mit einer Bitte, die sich nicht ablehnen lässt. Die BASF möge doch das VEB Synthesewerk im brandenburgischen Schwarzheide übernehmen, drängte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) kurz nach der Wende den damaligen BASF-Chef Jürgen Strube. Ein Wunsch, dem sich Strube aus zweierlei Gründen kaum verwehren konnte. Der Mauerfall weckte damals auch bei vielen Top-Managern patriotische Pflichtgefühle, zudem standen sich der Kanzler und der Konzern sehr nahe. Kohl wohnte nicht weit vom BASF-Stammwerk in Ludwigshafen; in seinen jungen Jahren hatte der spätere Kanzler der Einheit beim Chemiekonzern als Werkstudent gearbeitet. Und so willigte BASF am Ende ein, entsprach der Bitte Kohls und übernahm die maroden Anlagen.
BASF hofft auf hohe Margen
Die glorreichen Zeiten des Standorts lagen da schon einige Jahre zurück. Einst wurde hier aus der in den Gruben der Umgebung geförderten Braunkohle Kraftstoff hergestellt, der die DDR unabhängig von Importen machen sollte. Ab den 1970er-Jahren fertigte man dann den Kunststoff Polyurethan, auch hier war der Standort der größte seiner Art in der DDR.
Zu einer echten Wiedergeburt des Standorts aber kam es vorerst nicht, die vom Kanzler versprochenen blühenden Landschaften ließen wie überall im Osten lange auf sich warten. Jahrelang schrieb der Standort in Schwarzheide Verluste, tausende Jobs fielen weg. Die betriebswirtschaftliche Rosskur war gewaltig. Mit vielen Jahren Verspätung hat sich der Gefallen dann aber doch noch ausgezahlt, inzwischen jedoch ist Schwarzheide zum ökologischen und innovativen Vorzeigeprojekt der BASF avanciert.
Ende August eröffnet die BASF in Schwarzheide einen der größten Solarparks in Deutschland. Dort, jenseits der Naundorfer Straße, recken sich auf einer Fläche von 34 Fußballfeldern mehr als 50.000 Solarpaneele in die Höhe. Der Solarpark wurde sogar so konzipiert, dass nebenher noch eine Schafherde auf der Wiese grasen kann. 25 Gigawattstunden Strom soll die Anlage erzeugen, Teile davon sollen in die neue Fabrik für Kathoden-Material fließen.
Lithium-Ionen-Batterien für gut 400.000 Elektroautos können mit der jährlichen Produktion aus Schwarzheide ausgerüstet werden. Nach Angaben des Chemiekonzerns soll das Material für die jährliche Produktion eines Speichervolumens von 20 Gigawattstunden reichen. Nur wird das für den künftigen Bedarf bei Weitem nicht ausreichen: Der Markt mit Elektroautos boomt. Die Internationale Energieagentur rechnet allein in diesem Jahr mit 14 Millionen verkauften Elektroautos weltweit – so viel wie nie zuvor. Das Werk in Schwarzheide ist schon jetzt für ein Jahr ausgebucht. Bis zu 4,5 Milliarden Euro will BASF bis 2030 in die weltweite Expansion der Batterietechnik investieren. Nicht die Ampel-Regierung, auch BASF sieht im Geschäft mit Batteriematerialien Hoffnung. Das Produkt verspricht weit höhere Margen als andere Chemieprodukte.
Die könnte BASF derzeit gut gebrauchen: An der Börse wird aufgrund der unerwartet schwachen Weltkonjunktur damit gerechnet, dass BASF zeitnah gezwungen sein wird, seine Prognosen für 2023 zu senken.
Brandenburg wird zum Batteriezentrum
„Trotz aller Herausforderungen, vor denen wir derzeit in Europa stehen, ist der heutige Tag für uns alle ein Grund, optimistisch zu sein“, sagte Brudermüller bei der Eröffnung am Donnerstag. Die Anlage im Süden Brandenburgs zeige, dass BASF „an die Zukunft der chemischen Industrie in Europa und in Deutschland glaubt“. Brudermüller hatte die Investitionsbedingungen in Deutschland zuletzt immer wieder scharf kritisiert. Parallel zu dem Ausbau in China plant Brudermüller einen Personalabbau in Europa. Im Stammwerk Ludwigshafen werden einige Chemieanlagen stillgelegt, die sich wegen der hohen Gaspreise und des schwachen Wachstums in Europa nicht mehr rechnen. Zugleich baut der Konzern seine Anlagen in China weiter aus. Es ist eine Investitionsstrategie gegen den allgemeinen Trend zu weniger Abhängigkeiten von China, die von Politikern, Investoren und Analysten mit Skepsis verfolgt wird.
Abhängig bleibt BASF fürs erste auch im Batteriegeschäft. Die für die Herstellung von Kathoden notwendigen Rohstoffe muss sich BASF aktuell auf dem Weltmarkt sichern. Bisher kommt beispielsweise das benötigte Nickel zum großen Teil aus Russland, der Export ist nicht sanktioniert. Zwar will BASF in Zukunft einen großen Teil der benötigten Metalle aus dem Recycling von Altbatterien beziehen, das wird jedoch voraussichtlich erst Mitte des kommenden Jahrzehnts möglich sein. Geplant sind Recyclinganlagen an allen BASF-Batteriewerken. Schwarzheide ist dafür der Prototyp: In der am Donnerstag ebenfalls eingeweihten Recyclinganlage sollen bis 2026 bereits zehn Prozent der von BASF benötigten Metalle aus Batteriemüll kommen. „Das Vorhaben von BASF steigert unsere Souveränität entlang der Wertschöpfungskette, fördert die Kreislaufwirtschaft und stärkt so die Wirtschaftssicherheit“, kommentierte Habeck am Donnerstag.
In Deutschlands wachsendem Batterie-Ökosystem nimmt Brandenburg damit zunehmend eine ganz zentrale Rolle ein, Teslas Gigafactory in Grünheide und das BASF-Werk Schwarzheide sind dabei nur die sichtbarsten Leuchttürme, wie jüngste eine Studie der Wirtschaftsförderung Brandenburg dokumentierte: 33 Unternehmen mit aktuell rund 9300 Beschäftigten sind dort in der Branche tätig. Weitere Investitionen, die zusammen rund 3500 neue Arbeitsplätze schaffen könnten, seien in Vorbereitung oder im Bau. Hinzu kämen neun Forschungseinrichtungen mit engem Bezug zur Batterie.
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