Dr. Alexandra Hildebrandt

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for Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Fair und klimagerecht: Die Verkehrswende nimmt Fahrt auf

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Plädoyer für eine inklusive sozialökologische Verkehrswende

Die Verkehrswende, bei der Klimaschutz und Lebensqualität im Fokus stehen, nimmt Fahrt auf: Die bisherigen Aktionen und Projekte ermutigen immer mehr Menschen zur Eigeninitiative. Auch aus der Klimabewegung entstehen derzeit viele neue Ideen, die vom Redaktionskollektiv „AUTOKORREKTUR“ (Clara Thompson, Jörg Bergstedt, Jutta Sundermann und Tobi Rosswog) im „Aktionsbuch Verkehrswende“ zusammengetragen und gebündelt wurden. Der Name wurde von Katja Diehl ausgeliehen, die das gleichnamige Buch „#Autokorrektur“ schrieb. Ihre Vision orientiert sich nicht nur am Klimaschutz, sondern auch an der Stadtplanung, an den Kosten, an der Gesundheit, an der Lärmbelästigung, am Feinstaub, am Flächenverbrauch und an einer Vorstellung vom guten Leben, in der wieder der Mensch im Mittelpunkt steht. Erst dann ist es möglich, eine wahlfreie, barrierefreie, inklusive und klimaschonende Mobilität zu gestalten.

Hier setzt auch das Aktionsbuch mit seinen Argumentationslinien für eine lokale Mobilitätswende an. Dazu gehören Verkehrsvermeidung/Wegeverkürzung, autofreie Zentren, besserer, pünktlicher und preiswerterer Nahverkehr, Verlagerung des Verkehrs aufs Fahrrad und Wege zu Fuß. Die Artikel, Reportagen, Tipps und Kommentare sollen Lust machen auf Strategien, Aktionen, Kampagnen und Proteste für die dringend notwendige Verkehrs- und Mobilitätswende. Enthalten sind auch Instrumente, um selbst aktiv zu werden. So sind einige Artikel mit Denkblasen versehen, die aktuelle Aktionspraktiken zeigen oder einen Einblick in die Protestgeschichte geben. Praxishandreichungen sind mit "Automardern" markiert. Auch wenn nicht alle aus dem Herausgeberteam gleichermaßen hinter allen Beiträgen stehen, so besteht doch Einigkeit darin, dass das kein Problem, sondern „eine Anstiftung zu künftigen gemeinsamen Aktionen unterschiedlicher Menschen und Gruppen sein kann.“ Unterschiede und andere Meinungen sollten ausgehalten werden, denn nur dadurch lässt sich voneinander lernen. Der Inhalt ist deshalb vielfältig und debattenreich, weil auch unterschiedliche Strömungen aus verschiedenen Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung und lokalen Verkehrswende-Initiativen zu Wort kommen.

Das Aktionsbuch ist aber auch eine wichtige Ergänzung der aktuellen Mobilitätsdebatte, denn Themen wie „Barrierefreiheit“ werden oft ausgeblendet.

Deutschland hat zwar 2010 die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) unterzeichnet, doch mangelt es häufig noch an Umsetzungsmaßnahmen. Belegt wird, dass die USA im Bereich Barrierefreiheit und Behindertenrechte wegen der starken Behindertenrechtsbewegung der 1970er-Jahre und der Zusammenarbeit mit dem Civil Rights Movement und den Black Panthers weiter sind als viele europäische Länder. Auch das Thema Alter findet in aktuellen Publikationen zur Verkehrswende kaum Erwähnung. Dabei fühlen sich viele Menschen vom Radfahren ausgeschlossen, weil sie entweder Angst vor dem Verkehr haben oder es ihnen ihr Gesundheitszustand nicht erlaubt, Fahrrad zu fahren. Einige haben es auch nicht gelernt. Zum Thema „Radeln im Alter“ finden sich deshalb ebenfalls viele „bewegende“ Beispiele: So hat sich in Wurzen, einer kleinen Stadt östlich von Leipzig, vor einigen Jahren eine Gruppe von Umweltaktivist:innen in der Vorstadt („Kanthaus“) niedergelassen. Viele von ihnen engagieren sich für eine nachhaltige Verkehrswende. Lebensmittel und Baumaterialien werden mit Fahrradanhängern transportiert, und vor der Haustür steht eine Fahrradreparaturstation für alle. Im Jahr 2021 gründete das Kanthaus hier einen Standort von „Radeln ohne Alter“. Fast ein Drittel der Bevölkerung ist hier älter als 65 Jahre. Es gibt mehr als zehn Pflegeeinrichtungen, und es entstehen immer mehr. Die meisten Bewohner:innen können sich nicht einfach ein Fahrrad beschaffen. Die Bewegung Radeln ohne Alter („Cycling Without Age“ auf English) begann 2012 in Kopenhagen. In den letzten Jahren sind viele weitere Länder hinzugekommen. Ehrenamtliche bieten kostenlose Fahrten in Rikschas (dreirädrige Fahrräder mit einem Sitzplatz für zwei Fahrgäste in der Front) für Pflegeheimbewohner:innen an. Die Räder werden elektrisch unterstützt, und die Sitzpositionen erleichtern das Gespräch zwischen Radfahrer:innen und Fahrgästen. Das Beispiel zeigt, dass die Verkehrswende für alle erreichbar sein kann.

Aktive Mobilität als Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise

Eine internationale Studie unter der Leitung von Forschenden der Transport Studies Unit an der Universität Oxford belegt, dass der Umstieg auf das Fahrrad, E-Bike oder aufs Zu- Fuß-Gehen für die tägliche Fortbewegung auch einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leistet. Sie entstand innerhalb des EU-finanzierten Projektes PASTA („Physical Activity Through Sustainable Transport Approaches“). Ziel ist es, Verkehr und Gesundheit miteinander zu verbinden, indem aktive Mobilität (zu Fuß gehen sowie Rad- und E-Bike fahren) in Städten als innovativer Weg zur Integration von körperlicher Aktivität in unseren Alltag gefördert wird (Study Protocol). Die Ergebnisse, die in der Fachzeitschrift Global Environmental Change veröffentlicht wurden, belegen, dass eine Steigerung der aktiven Mobilität den CO2-Fußabdruck signifikant senkt – sogar in europäischen Städten mit bereits hohem Fuß- und Radverkehrsanteil. Fast 2000 Stadtbewohner:innen wurden über einen längeren Zeitraum hinweg begleitet. Gesammelt wurden Primärdaten zum täglichen Mobilitätsverhalten, zu Wegezwecken sowie zu persönlichen und räumlichen Einflussfaktoren in den sieben europäischen Städten (Antwerpen, Barcelona, London, Orebro/ Schweden, Rom, Wien, Zürich) und leitete mobilitätsbezogene Lebenszyklus- CO2-Emissionen über Zeit und Raum ab.

Wichtige Ergebnisse:

  • Eine Umstellung von nur einer Fahrt pro Tag vom Auto auf das Fahrrad würde den jährlichen CO2-Fußabdruck pro Person um etwa 0,5 Tonnen reduzieren (das macht einen beträchtlichen Anteil der durchschnittlichen Pro-Kopf-CO2-Emissionen aus). Wenn nur zehn Prozent der Bevölkerung ihr Reiseverhalten auf diese Weise ändern würden, lägen die Emissionseinsparungen bei etwa vier Prozent der Lebenszyklus-CO2-Emissionen des gesamten Autoverkehrs.
  • Die durchschnittlichen Pro-Kopf-CO2- Emissionen aus dem Verkehr (ohne internationalen Flug- und Schiffsverkehr) lagen zwischen 1,8 Tonnen CO2 pro Person und Jahr in London und 2,7 Tonnen CO2 pro Person und Jahr in Wien.
  • Seitens des Verkehrsangebots wird die Bedeutung von „Carrot-and-Stick“-Ansätzen als Kombination von Maßnahmen zur Attraktivierung aktiver Mobilität (Carrot) und zur De-Attraktivierung von Wegen mit dem Pkw oder motorisierten Zweirädern (Stick) unterstrichen.
  • Durchgängige und qualitativ hochwertige Infrastrukturen für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen sind ein weiterer zentraler Erfolgsfaktor für die gezielte Förderung aktiver Mobilität.
  • Es wurde ein Handlungsbedarf an Städte weltweit abgeleitet: Sie sollten bei ihren stadtplanerischen Konzepten radikal umdenken (z.B. Stärkung dichter Strukturen und gemischter Landnutzungen).

Weiterführende Informationen:

About the author

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

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Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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