Anne M. Schüller

Anne M. Schüller

für Touchpoint Management, Unternehmensführung, Kundenorientierung

Programm minus50: Schluss mit administrativem Ballast und Bürobürokratie

(c)Shutterstock

Zukunftsfitness braucht Agilität. Doch in den meisten Unternehmen ersaufen die Leute in Bürokratie. Wer Zeit und Raum für Neues schaffen will, muss sich zunächst von Altlasten trennen. Minus50 setzt genau an diesem Punkt an und will sagen: Fünfzig Prozent weniger Formularwesen, Reportings, Regelwerke und Genehmigungsverfahren, das wäre schon mal ein Start.

Auf der Reise in die Zukunft braucht es nicht nur helle junge Köpfe und frische Ideen, sondern auch leichtes Gepäck, weil die Märkte, wie die Hasen, immer neue Haken schlagen. Für Planzahlspiele, Budgetierungsexzesse, aufwendige Abstimmungsschleifen und Irrläufe im Vorschriftengeflecht bleibt keine Zeit.

Je schwerfälliger eine Organisation, desto anfälliger ist sie für Überholmanöver. So ist zunächst eine Transformation in einen agileren Zustand vonnöten. Alles, was eine Organisation langsam macht, muss weg. Und alles, was sie schnell macht, muss her. Um das schaffen zu können, muss vehement umgebaut werden. Mit Werkzeugen von gestern ist die Zukunft nun mal nicht zu packen.

Viel ist Selbstbeschäftigungsprogramm

Klassische Managementformationen sind die meiste Zeit damit beschäftigt, sich selbst zu organisieren, anstatt sich ums Geschäft und die Kunden zu kümmern. Prozessbesessenheit, Zielfetischismus und verkrampfte Regelwerke sind eine kolossale Verschwendung von Zeit, Geld, Engagement und Talenten, die sich niemand mehr leisten kann.

Bürokratie macht ein Unternehmen langsam und dumm, weil alles einem vordefinierten Weg folgen muss und in starren Verfahrensweisen versinkt. Standards erzeugen zudem Isomorphie: Alles gleicht sich immer mehr an. Doch nur das Besondere, das Faszinierende, das Bemerkenswerte hat eine Zukunft. Bei Vergleichbarem hingegen entscheidet am Markt der Preis. Dann soll es wenigstens billig sein.

Über kluge Prozesse und dumme Prozesse

Im Eilschritt die Zukunft erreichen heißt also zuallererst: rigide Strukturen lockern, Altlasten entsorgen und Hürden entfernen, um flotter laufen zu können. Alles Unkraut, das die jungen Triebe am Wachsen hindert, muss weg. Die Schnelligkeitslücke muss eiligst geschlossen werden. Dabei können nicht nur die altgedienten, erfahrenen Mitarbeiter helfen, sondern vor allem die jüngeren Beschäftigten mit ihrem unverstellten Blick und dem immanenten Drang, die Dinge agiler, digitaler und kollaborativer zu machen.

Ganz ohne Strukturen und Regeln geht es natürlich nicht, schon allein deshalb ist plus/minus 50 eine vernünftige Zielzahl. Überschaubare Statuten und einleuchtende Funktionsroutinen sichern ein notwendiges qualitatives Leistungsniveau. Und sie helfen, böse Fehler zu vermeiden. Solche Prozesse sind kluge Prozesse. Dumme Prozesse hingegen verplempern wertvolle Zeit. Sie sorgen für Stillstand und Ohnmacht.

Bürokratie sorgt für Selbstvermehrung

Wenn ein Handbuch zum Gesetzbuch wird, sind die Mitarbeiter vor allem damit beschäftigt, den vorbestimmten Arbeitsabläufen akribisch zu folgen, selbst dann, wenn das der größte Blödsinn ist. Und die ihnen Vorgesetzten begreifen sich als Hüter der Vorschriftensammlung. Verkrustung ist damit vorprogrammiert. Initiativlosigkeit und Konformität stellen sich ein.

Zudem sorgen solche Systeme für Selbstvermehrung: Jeder Ausrutscher hat eine weitere Vorschrift zur Folge, quasi als kollektives Bestrafungsprogramm für das Missgeschick einer einzelnen Person. Am Ende wird das Ganze derart komplex, dass alles wie in einem Panzer erstarrt. Also „entregeln“ Sie! Werden Sie wendig, pfiffig und schlank.

Die entscheidende Frage: Was muss weg?

Entschlackungsprogramme gehören in den tagtäglichen Ablauf, weil bei zunehmender Arbeitsdichte und steigender Komplexität kaum noch Raum für das Wesentliche bleibt. Überregulierung und ein ausuferndes Berichtswesen sind Zeitfresser par excellence. Und ständig werden den bereits überlasteten Mitarbeitern weitere Projekte aufgebrummt.

Doch vor dem Obendrauf muss erst was unten weg. Wer die Zukunft erreichen will, braucht Beweglichkeit. Regeln, Standards und Normen von früher sind dabei nur hinderlich. Sie lähmen das Vorankommen, frustrieren die Mitarbeiter und verärgern die Kunden.

Die entscheidende Frage ist demnach nicht: „Was brauchen wir noch?“ Sondern sie lautet zunächst: „Was muss weg?“ Und hiernach stellt sich die Frage: „Was muss anders werden?“ Die Mitarbeiter wissen übrigens längst, was das ist - und die Liste ist lang. Zum Start fängt man am besten dort an, wo sich schnell was bewegen lässt. Dies ist auch deshalb sehr hilfreich, weil erste Erfolgserlebnisse so zügig sichtbar werden.

Auf Monsterjagd mit „Kill a stupid rule“

Neben unliebsamen Gewohnheiten, rigiden Prozessen, überflüssigem Papierkram, antiquierten Routinen, lästigen Arbeitsabläufen, unnötigen Verfahren, bremsenden Vorschriften und sonstigen Bürokratiemonstern kann man sich bei der Gelegenheit von vielen weiteren Monstern trennen:

  • Schreibstil-, Textbaustein- und Floskelmonster
  • Kundenverärgerungsmonster
  • Meeting-, Powerpoint- und eMailmonster

Für all diese Zwecke empfiehlt sich ein minus50-Programm. Knackig formuliert man das zum Beispiel auch so: „Kill a stupid rule.“

So starten Sie ein Sofortprogramm

„Kill a stupid rule“ wurde ursprünglich von US-Banker Vernon Hill entwickelt. Er belohnte jeden Mitarbeiter mit 50 Dollar, der eine bestehende Vorschrift ausmachte und abschaffen half, die daran hinderte, die Kunden der Bank glücklich zu machen.

Eine ideale „Kill a stupid rule“-Ausgangsfrage ist diese:

„Von welchen untauglichen Standards, Regeln und Verfahren und von welchem administrativen Blödsinn sollten wir uns schnellstmöglich trennen?"

Am besten machen Sie gleich einen Schnelltest, um sich von der Wirkung dieses Vorgehens zu überzeugen. Bitten Sie dazu im Rahmen eines Abteilungsmeetings die Anwesenden, sich zu zweit zusammenzusetzen und innerhalb von zehn Minuten so viele „stupid rules“ wie nur möglich zu finden und auf Haftzettel oder Moderatorenkärtchen zu schreiben. Gruppieren Sie diese dann an einer Pinnwand. Wahrscheinlich werden Sie sich wundern, wie auf einmal die Funken sprühen und was da so alles zusammenkommt.

Die Suche nach der besten Lösung

Um hiernach rasch in den Exzellenzbereich vorzudringen, stellen Sie die folgende Frage,

"Was ist die allerbeste Idee, wie wir es stattdessen machen können?"

Diese Frage muss exakt so gestellt werden, weil sonst meist nur Allerweltslösungen vorgeschlagen werden. Wieder wird zu zweit gearbeitet. Jedes Tandem sucht sich eine Regel an der Pinnwand aus und macht sich an die Arbeit.

Aus meiner Workshop-Erfahrung heraus kann ich sagen: Die Leute werden unglaublich schnell fündig. Das meiste Wissen steckt schon im Unternehmen, es müsste nur herausgekitzelt werden. Die so lang gelebte Praxis, Konzepte im „obersten Stock“ auszuhecken, um sie dann nach unten durchzudrücken, führt – vor allem bei der jungen Generation – zu Unlust und Frust. Zudem erweist sich das, was aus dem Elfenbeinturm kommt, wo man weit weg von der Praxis ist, sehr oft als Flopp.

Besser: interne Unternehmensberatung

Grundsätzlich gilt: Wer unternehmerisch handelnde Mitarbeiter will, muss diese auch unternehmerisch mitarbeiten lassen. Geplante Aktionen werden dann nicht nur praxisorientierter und facettenreicher, sondern auch engagierter umgesetzt. Am Ende steht der „Mein-Baby-Effekt”: Was man selbst geschaffen hat, lässt man nicht mehr im Stich.

Eines ist ebenfalls sicher: Die Beschäftigten wollen beteiligt werden. 84 Prozent der im Rahmen einer Haufe-Studie befragten knapp 12 000 Mitarbeiter aus Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz wünschen sich mehr Mitsprachemöglichkeiten bei Unternehmensentscheidungen.

77 Prozent der Befragten wären zudem motivierter, wenn sie mehr einbezogen würden. Und 73 Prozent glauben, dass die eigene Firma erfolgreicher wäre, wenn sich die Mitarbeiter stärker einbringen könnten. Also: Niemand braucht teure Unternehmensberatung, um bürokratische Schwachstellen zu finden. Der eigene Mitarbeiterkreis kann das viel besser.

Millennials als Bürokratie-Monsterkiller

Geht es um Change, dann können die Millennials, die ins Internetzeitalter hineingeborenen Digital Natives, der Voraustrupp sein. Sie können sogar zum Sprachrohr der älteren Kollegen werden, die Veränderungen längst ebenfalls wollen, dies aber oft nicht zu sagen wagen, weil das in der Gehorsamskultur der Vergangenheit unüblich war.

Gerade junge High Potentials sind für die Jagd nach altem Bürokratiefirlefanz bestens geeignet. Sie haben (hoffentlich!) moderne Methoden der Zusammenarbeit im Rahmen ihres Studiums gelernt. Und im Zuge von Praktika, die sie gerne in jungen Firmen machen, wurden sie mit zeitgemäßen Formen der Arbeit und einem schlanken, hierarchiearmen Umfeld vertraut.

Zudem schätzen Millennials Aufgabenstellungen, an denen sie sich auspropieren und wachsen können. Co-kreativ nutzen sie die „Weisheit der Vielen“ und integrieren dankbar jede hilfreiche Idee, ganz egal, von welcher Seite sie kommt. Experimentell suchen sie nach Neuentwürfen und besseren Lösungen als die, die es gibt.

Mit Tablet oder Klemmbrett unterwegs

Schicken Sie also ein paar forsche Millennials mit Tablet-Computern – oder wenn so was nicht da ist, mit einem Klemmbrett - und folgendem Auftrag durchs Unternehmen:

"Von welchen überholten Standards, Regeln und Verfahren sollten wir uns schnellstmöglich trennen? Sammelt das zusammen mit Verbesserungsvorschlägen bei den Kollegen mal ein."

Damit klar ist, dass die Bürokratie-Monsterjäger mit einem Auftrag und als Bote der Geschäftsleitung unterwegs sind, können sie ein entsprechendes Zeichen tragen. Mir gefällt zum Beispiel das Propeller-Basecap, also eine Kappe mit Propellerflügeln obendrauf. Das tragen bei Google die Noogler, das sind neue Mitarbeiter, während ihrer Einarbeitungszeit. Natürlich werden alle über diese Aktion im Vorfeld informiert. So können sie sich schon mal Gedanken machen.

Mit der Sprechblasen-Methode auf Bürokratiejagd

Eine weitere Methode, um auf Monsterjagd zu gehen, ist die Sprechblasenmethode, und die geht so: Man malt zwei Sprechblasen, die sich gegenüberstehen. In die eine kommt eine Frage, die andere ist leer, damit der befragte Mitarbeiter seine Antwort dort einsetzen kann. Das klingt dann zum Beispiel so:

"Wenn Sie einen Zauberstab hätten, welche entbehrlichen, untauglichen oder überholten Prozesse würden Sie als Erstes verschwinden lassen."

Oder so:

„Hätten wir ein Forum mit dem Namen >Was bei unseren Abläufen total nervt<, welches wären die drei Hauptdiskussionspunkte?“

Dieser Ansatz hat etwas Verspieltes und fordert die Kreativität geradezu heraus. Junge Leute werden ihn lieben. Allerdings können Scherzkekse damit ihr Online-Unwesen treiben. Neben Offenheit muss bei dieser Methode deshalb folgende Regel gelten: Diskretion. Das schreiben Sie so: „Nur für interne Zwecke. Ziel dieser Aktion ist es, dass wir gemeinsam ein Hochleistungsteam werden.“

(Die sind Ausschnitte und Tools aus meinem Buch "Fit für die Next Economy - Zukunftsfähig mit den Digital Natives":  )

Wer schreibt hier?

Anne M. Schüller
Anne M. Schüller

Keynote Speaker, Business Coach, Anne Schüller Management Consulting

für Touchpoint Management, Unternehmensführung, Kundenorientierung

Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu ihrem Kundenkreis zählt die Elite der Wirtschaft.
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