Dr. Bernd Slaghuis

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Teilzeit im Lebenslauf angeben? Warum es für deine Berufserfahrung egal ist, wie lange du im Büro gesessen hast

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Müssen Bewerber:innen im Lebenslauf angeben, ob sie Teilzeit gearbeitet haben?

Muss eine Position in Teilzeit im Lebenslauf als solche kenntlich gemacht werden? Der Fall von Laura Dornheim und ihrer geplatzten Wahl zu Münchens neuer IT-Referentin sorgt für viel Diskussion im Netz. 

Die BILD hatte vergangene Woche über die geplante und nun verschobene Wahl von Laura Dornheim zu Münchens neuer IT-Referentin und ihrem (Zitat) „aufgehübschtem Lebenslauf“ berichtet. Der Vorwurf: Sie habe darin nicht kenntlich gemacht, dass sie innerhalb ihrer sechsjährigen Zeit als angestellte Unternehmensberaterin rund zwei Jahre in Teilzeit tätig war, in der sie parallel an ihrer Doktorarbeit gearbeitet hatte.

Seitdem diskutiert sich das Netz heiß. Muss eine Teilzeit-Beschäftigung wirklich als solche im Lebenslauf kenntlich gemacht werden – und ist es sonst Betrug? Ab wie vielen Stunden Wochenarbeitszeit ist es Teilzeit, und was geht noch als Vollzeit durch? Ist ein entspannter Vollzeit-Sesselpupser-Job mehr wert als ein eng getakteter Teilzeit-Fulltime-Job? Die Meinungen auf Social Media gehen jedoch auffällig deutlich in eine Richtung – und auch ich reihe mich hier mit ein:

Der Wert von Berufserfahrung ist nicht die Zeit, die wir in einem Job verbringen, sondern was wir dort alles erfahren, gelernt und geleistet haben.
Dr. Bernd Slaghuis | Karriere-Coach

Ein (konstruiertes) Beispiel: 

Frauke, 45, arbeitet seit 20 Jahren durchgehend in einer Steuerberatung, von 2010 bis 2020 nach der Geburt ihres Sohnes jedoch in 50% Teilzeit. Frank, 40, ihr Kollege, ist seit 15 Jahren dort und hat immer Vollzeit gearbeitet.

Folgen wir der Logik der Rechnung, die die BILD im Fall Laura Dornheim reißerisch aufmacht, dann haben Frauke und Frank rechnerisch die identische Zeit im Beruf verbracht und damit die gleiche Berufserfahrung. Denn 10 Jahre zu 50 Prozent zählen schließlich nur halb – auch wenn Frauke 5 Jahre älter als Frank und 5 Jahre länger im gleichen Beruf ist.

Mal angenommen, Frank ist freiwillig ein ganz Fleißiger und hat seit 5 Jahren nach seiner Beförderung zum Seniorberater jede Woche 10 Überstunden auf seine 40-Stunden-Woche obendrauf gelegt. Muss er dann bei dieser Station im Lebenslauf angeben, dass er 125% gearbeitet hat?  

Dieses Beispiel zeigt die Absurdität der Argumentation. Aber ich lege noch einen drauf:

Friedhelm, 50, arbeitet als angestellter im Außendienst für den Vertrieb von Gartenschläuchen. Er erzählt mir im Coaching, dass er nur von Februar bis August bei seinen Gartencentern und Baumarkt-Kunden im Vertriebsgebiet richtig gut zu tun hat. Der Rest des Jahres sei mau, manchmal arbeite er weniger als eine Stunde pro Tag im Homeoffice. Sein Arbeitgeber wisse dies, und er erhält das ganz Jahr über sein volles Gehalt. Er sehnt sich danach, aus der monatelangen Langeweile zu entkommen und möchte mit mir an seiner Bewerbung arbeiten.

Ich und vermutlich niemand käme auf die Idee, Friedhelms Position mit ihren geringen Arbeitszeiten im Lebenslauf als Teilzeitjob zu kennzeichnen, denn laut Arbeitsvertrag war er schließlich Vollzeit dort beschäftigt. Tatsächlich hat er in den letzten 10 Jahren vermutlich weniger gearbeitet als Frauke in ihren 10 Jahren Mutter-Teilzeit. Ist es in der Sache gerecht und formal richtig, dass sich Frauke in ihrem Lebenslauf für ihren Teilzeitstatus erklären muss und der Wert ihrer Berufserfahrung hierdurch abgewertet wird, Teilzeit Vollzeitarbeiter Friedhelm jedoch nicht?

Berufserfahrung ist mehr als die Summe deiner Arbeitszeit

Wir müssen über Berufserfahrung reden. Und das, was ihren echten Wert ausmacht. Ein Gedankenexperiment: Sofern du schon einige Jahre im Beruf bist, dann stelle dir vor, neben dir sitzt gerade der 21-jährige Bachelor-Absolvent. Frisch von der FH oder Uni, in deinem oder einem ähnlichen Fachgebiet, vielleicht noch mit zwei kurzen Praktika oder Nebenjobs im Gepäck. Das, was dich in deinem Alter von ihm unterscheidet und alles das, was du durch Ausübung deines Berufs an Erfahrungen und Wissen gesammelt hast, das ist deine Berufserfahrung:

Du hast vielleicht verschiedene Arbeitgeber unerschiedlicher Branchen mit ihren Strukturen und Prozessen kennengelernt, schwierige Entscheidungen getroffen oder dich auf verschiedenen Ebenen im Unternehmen bewegt. Vielleicht hattest du auch Budget- oder Personalverantwortung, hast Mitarbeiter einstellen dürfen und womöglich auch entlassen müssen? Vielleicht hast du Zeiten im Ausland verbracht, Projekte geleitet, Bestehendes weiterentwickelt oder Neues aufgebaut. Du hast mit unterschiedlichen Vorgesetzten gearbeitet, hast Jahresgespräche und Gehaltsverhandlungen geführt, warst Teil verschiedener Teams und hattest vielleicht auch Kontakte auf der Schnittstelle zu externen Kunden, Kooperationspartnern oder Dienstleistern.

Viele meiner Klientinnen und Klienten sind überrascht, welche Fülle an Berufserfahrung und damit auch beruflicher Lebenserfahrung sich im Laufe der Jahre so angesammelt hat. 

Zurück zur Teilzeit: Ist das, was ich hier beispielhaft als Teil deiner wertvollen Berufserfahrung aufgeführt habe, abhängig von dem Status einer Teilzeit- oder Vollzeit-Beschäftigung? Kann sich der Teilzeit-Mitarbeiter schlechter auf allen Ebenen einer Organisation bewegen als sein Vollzeit-Kollege? Ist Mitarbeiterführung in Teilzeit weniger wert als der Vollzeit-Chef? In diesem Fall würde ich sogar Gegenteiliges behaupten. Hat die langjährige 50%-Mitarbeiterin weniger Branchenwissen als ihre Vollzeit-Kollegin? In den meisten Fällen und vor allem nach einigen Jahren im Berufsleben lautet die Antwort auf alle diese Fragen: Nein, es macht keinen relevanten Unterschied.  

Manche Teilzeit ist anspruchsvoller als ihr Vollzeitjob

Natürlich ist Teilzeit immer nur ein Teil von Vollzeit (ach was). Sicherlich gibt es Stimmen, die einen Vollzeitjob als intensiver und inhaltlich umfangreicher als eine Teilzeit-Beschäftigung bewerten. Andere werden behaupten, ihr (Vollzeit-)Job in Teilzeit ist erst die wahre Herausforderung.

Einen neuen Arbeitgeber interessiert – und darum geht es ja in jedem Lebenslauf, ob ein Jobwechsler die nötige Berufserfahrung für eine zu besetzende Position mitbringt und als Mensch in das Unternehmen sowie ins Team passt. Das Fach- und Erfahrungswissen einer seit fünf Jahren in Teilzeit arbeitenden Bewerberin kann umfangreicher sein als das ihres Vollzeit-Mitbewerbers. Am Ende gilt: Fachwissen punktet, Persönlichkeit entscheidet. Und auch deiner Persönlichkeit ist es egal, ob du bisher Vollzeit oder Teilzeit gearbeitet hast.

Teilzeit in Lebenslauf angeben? Meine Tipps für Bewerber

Klar ist: Lügen im Lebenslauf ist tabu. Falsche Zeitangaben, geschönte Budgetverantwortung oder höhere Anzahl Mitarbeiter, falsche Noten oder sogar gänzlich erfundene Stationen. Dies alles kann nicht nur zu einem Vertrauensbruch vor dem ersten Tag, sondern auch zur späteren Aufhebung eines Arbeitsvertrages führen. 

Ein Unterlassen der Information über den Status einer Beschäftigung als Teilzeit oder Vollzeit kann ich (als Nicht-Jurist) für den Lebenslauf eines „normalen“ Arbeitnehmers (abseits von Politikern und Personen des öffentlichen Lebens, die unter medialer Beobachtung stehen) nicht als Lüge erkennen. Wer als Jurist anderer Meinung ist, kläre mich bitte auf. Doch dann wären Millionen Lebensläufe Betrug und auf dieser Basis geschlossene Arbeitsverträge betroffen.

Mein Fazit

Du musst eine Teilzeit-Beschäftigung oder gar Teilzeit-Phasen innerhalb einer Position nicht als solche im Lebenslauf kenntlich machen. 

Ist es dir jedoch wichtig, einem zukünftigen Arbeitgeber gegenüber Klarheit zu schaffen, dann kannst du hinter der Position die Anzahl der Wochenarbeitsstunden oder den prozentualen Grad deiner Teilzeit-Beschäftigung angeben.

Dies kann in den folgenden Situationen sinnvoll sein:

  • Du führst mehrere Jobs parallel im Lebenslauf auf und ein Leser fragt sich, wie du das alles schaffst oder diese Stellen im Verhältnis zueinander stehen.
  • Du möchtest deutlich machen, dass du bisher bereits in Teilzeit gearbeitet hast, wenn du dich wieder auf Teilzeit-Stellen bewirbst.
  • Zu deiner Bewerberstory gehört es, wie du Familie und Beruf unter einen Hut bekommen hast (gilt natürlich für alle m/w/d).
  • Es gibt parallel zu deiner angestellten Tätigkeit andere Aufgaben, die wichtiger Teil deines Lebens waren oder sind, wie etwa eine selbständige Tätigkeit, ein Ehrenamt oder die Pflege von Angehörigen.

Du siehst, dass es mir bei diesem Thema weniger um ein Muss, sondern um mehr Klarheit für den Leser deines Lebenslaufs geht. Ist der Hinweis auf eine Teilzeit-Beschäftigung wichtig, um deine berufliche Vergangenheit oder deine Ziele für die Zukunft zu verstehen, dann schaffe diese Klarheit. Falls nicht, musst du eine Teilzeit-Beschäftigung nicht als solche kenntlich machen – geschweige dich als Bewerber:in mit Teilzeit-Vergangenheit minderwertig fühlen. Denn für den echten Wert deiner Berufserfahrung zählt nicht, wie viele Stunden du in einem Job verbracht hast, sondern was du dort erfahren hast. Wer dies heute nicht versteht, sollte in Zukunft besser nicht dein neuer Arbeitgeber werden.

Wie gehst du mit Teilzeitjobs in deinem Lebenslauf um? Was ist deine Meinung zum Thema als Bewerber:in oder als Recruiter:in? Diskutiere gern unten in den Kommentaren mit! ✍️

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Karriere- und Business-Coach, Dr. Bernd Slaghuis

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Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 1.800 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.
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