Ingo Hamm

Ingo Hamm

for Zukunft der Arbeit, Wirtschaft & Management, Job & Karriere

Woran Sie im Homeoffice merken, dass New Work in Ihrem Unternehmen nur ein Buzzword ist

© markusspiske/1000 Bilder

Wann waren Sie eigentlich das letzte mal im Büro? Wachen Sie nachts schweißgebadet auf, weil Ihnen plötzlich klar wird, dass seit Monaten dort niemand mehr Ihre Stechpalme gegossen hat? Und Sie ärgern sich, dass Ihnen die Finanzbuchhaltung bereits zum dritten Mal die eingereichten Kosten für Ihre privaten Kaffeekapseln nicht anerkennen will?

Sie arbeiten zu Hause fleißig und vielleicht auch erfüllt – aber bekommen Sie überhaupt noch mit, was bei Ihrem Arbeitgeber so alles geht? Nun, damit geht es Ihnen so wie zur Zeit Millionen anderen in Deutschland auch, die im Homeoffice Dienst tun. Vielleicht schätzen Sie sich in neuer Freiheit und Selbstbestimmtheit glücklich und halten mittlerweile Mobbing für eine Kleinstadt in Englang und Resilienz für einen Arbeitervorort in Moskau.

Aber Achtung: Mit Zoom, Smartphone & Co. sind Sie digital ganz vorn dabei, aber sozial vielleicht ganz hinten dran. „Flurfunk“ meint bestimmt nicht den häuslichen Ikea-Boulevard.

Es wird Zeit, sich einmal zu überlegen, was Sie alles NICHT mitbekommen. Es wird Zeit, sich aus der Ferne einmal Gedanken zu machen über das, was von der Unternehmens- und Führungskultur geblieben ist.

Die 10 Tipps in diesem und im nächsten Teil helfen Ihnen hoffentlich ein wenig dabei.

Der CC-Wahnsinn

Viele Mails bekamen Sie schon immer, und im Homeoffice sind es noch mal mehr geworden. So weit, so Digitalisierung sozusagen. Aber wenn die Liste der Adressaten in cc immer größer wird, ist das ein sicheres Anzeichen für Prozess- und Kommunikationsversagen. Gezielte Kommunikation findet immer weniger statt, Botschaften und Aufträge werden per Schrot verschossen, nach dem Motto: Es wird schon jemanden treffen. Aufgaben werden quasi „über-delegiert“.

❗️Tipp: Löschen Sie Mails, in denen 1. nur Sie in cc sind oder 2. mehr als zwei weitere Adressaten in cc sind. Beides ein sicheres Anzeichen für eine unwichtige Randinformation zu einer noch unwichtigeren Randrolle.

❗️Chef-Tipp: Führen Sie einen No-CC-Tag ein – wer neben dem eigentlichen Empfänger noch andere Adressaten bespielen möchte, sollte sie separat und persönlich noch mal informieren – das drückt obendrein echte Wertschätzung aus.

Die Di-Mi-Do-Wohnung

Die Kollegin mit weit entferntem Wohnsitz erzählt Ihnen, dass sie ihre Di-Mi-Do-Wohnung am Arbeitsort gekündigt hat. Was für die Kollegin der Vorteil ewiger und vollumfänglicher Homeoffice-Tätigkeit sein mag, ist für die Unternehmenskultur eine erste Auflösungserscheinung, wo das Homeoffice das echte Office ersetzt und nicht mehr ergänzt. Mit der Lust aufs Büro und den Feierabendschwatz schwindet auch das Commitment – und morgen wird beim nächsten austauschbaren Arbeitgeber angeheuert, der einem noch längere Leine lässt.

❗️Tipp: No Office – No Company! Wenn das Büro als gemeinsamer Anker für den Kollegenkreis keine Rolle mehr spielt, dann fehlt die Identität – und es wird Zeit, das Unternehmen zu wechseln.

Feiern fällt aus

Die lang ersehnte Weihnachtsfeier wurde ebenso wie der Neujahrsempfang abgesagt, Restaurantbesuche im Team erscheinen zu riskant, und für das Sommerfest wurde schon ein Zoom-Link verschickt. Dabei ist der emotionale Jahresauftakt/-abschluss essenziell für alle Mitarbeiter. Es geht weniger um Gratisessen und Vollrausch auf Betriebskosten, sondern um eine gemeinsame Lockerungsübung und ein bewusstes, gepflegtes Verlassen des immer gleichen Arbeitskontextes und eine sanfte Annäherungen an die privaten Ichs der Kollegen.

❗️Chef-Tipp: Für ein Zusammenkommen gibt es immer eine Möglichkeit, sei es ein gemeinsamer Winterspaziergang mit Thermoskannen oder auch online, garniert mit einer netten Idee zum zwanglosen, aber nicht zu privaten Austausch (etwa: „Jeder erzählt die Geschichte zu seiner mit Glühwein gefüllten Lieblingstasse“ oder „Hier ist etwas, was garantiert noch niemand von mir wusste!“).

Nach der Krise ist vor der Krise

Dank Digitalisierung sind im Homeoffice die allermeisten Routinetätigkeiten kein Problem. Aber plötzlich stoßen Sie beim Chef bei allen weiterführenden Themen, die sich nicht einfach per E-Mail-Reply lösen lassen, auf eine gläserne Wand: „Gehaltserhöhung! – In der Pandemie?“, „Neuer Laptop? – Kein Geld!“, „Idee für neues Projekt! – Du lieber Himmel …“

Eine Führung, die die Gestaltung von Zukunft – seien die Umstände auch noch so hart – vor sich her schiebt, kann den Mitarbeitern kein bereicherndes Arbeitsumfeld bieten. Ohne Ziele keine selbstverantwortliche Zielerreichung und somit keine Selbstverwirklichung und somit keine Arbeitszufriedenheit.

❗️Tipp: Sprechen Sie Neues oder Forderndes persönlich an, mindestens im vertraulichen Telefonat – und nicht per E-Mail, die in der Flut abzuarbeitender To-dos schnell untergeht.

Arbeiten erst abends

Ihr Kind muss zum dritten Mal in Quarantäne, und Sie möchten es nicht schon wieder zwei Tage lang am Stück „Peppa Wutz“ gucken lassen, während Sie – im Kampf um Bandbreite – von Zoom über Skype zu Teams und wieder zurück hecheln. Sie erhoffen sich vom Chef eine empathische Lösung, worauf der Vorschlag kommt: „Kein Problem, wir sind familienfreundlich, Sie dürfen gern auch erst um 18 Uhr anfangen zu arbeiten.“ Offenkundig gibt es hier kein Gespür für das besondere Spannungsfeld von „Beruf & Familie“, das in Pandemiezeiten viele Mitarbeiter an die Grenzen der Leistungsfähigkeit bringt.

❗️Tipp: Hoffnungsloser Fall, suchen Sie sich eine neue Stelle, vor allem einen neuen Chef, der selbst Familie hat und die Herausforderungen kennt.

❗️Chef-Tipp: Bei aller Liebe für Diversity – vernetzen Sie vor allem „Leidensgenossen“, damit eine Atmosphäre gedeihen kann, in der sich Teammitglieder gegenseitig verstehen und gegenseitig unterstützen.

. . .  [Fortsetzung folgt!]

About the author

Ingo Hamm
Ingo Hamm

Professor für Wirtschaftspsychologie, h_da Hochschule Darmstadt

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Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie, war McKinsey-Berater, arbeitete auf Konzernseite und folgte schließlich seinem forscherischen Freiheitsdrang. Er hat seitdem zahlreiche Bücher publiziert und unterstützt als Speaker, Moderator und Berater den stetigen Wandel in Organisationen.
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