Biete Beruf, suche Berufung: So klappt der Neustart in der Lebensmitte

Schon längst geht es im Job nicht mehr nur darum, Geld zu verdienen, sondern sich auch zu verwirklichen. Aber was, wenn man die Weichen für die Karriere plötzlich neu stellen muss?

Bei einem beruflichen Wechsel geht es nie um Leben und Tod

Antonio Fabrizi
  • Bis Anfang 40 hatte ich eine gut vergütete Position in einer Bank
  • Glücklich war ich mit diesem Leben allerdings nicht – und kündigte
  • Durch diesen Befreiungsschlag lernte ich, auf mich selbst zu hören

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Bei meiner Entscheidung, einen gut bezahlten und – damals noch – angesehenen Beruf aufzugeben, der mich bis in den wohlverdienten Ruhestand bringt, ging es nicht um Leben und Tod. Mein Name ist Antonio Fabrizi, und das hier ist die Geschichte hinter meinem „Neustart in der Lebensmitte“.

Kürzlich hat mich das „Manager-Magazin“ porträtiert. Die Reaktionen auf diese Veröffentlichung haben mich ehrlicherweise überrascht. Überwiegend gab es positives Echo, gekoppelt an ein großes Interesse von Menschen, die entweder einen ähnlichen Weg gegangen sind oder ihn „planen“. Ein kleinerer Teil äußerte sich negativ und persönlich beleidigend. Meiner Meinung nach sind Letztere für viele Menschen ausschlaggebend, den Wunsch nach beruflicher Veränderung und alternativen Lebensentwürfen über Bord zu werfen. Es ist eine Tatsache: Beim romantischen „Aussteigen-Wollen“ sind auch Urängste im Spiel.

Billy Joels Song blieb haften

Mein persönlicher Neustart beginnt mit einem Sprung in die 80er-Jahre. Rauschen die Jahre im fortgeschrittenen Alter nur so davon, ist in der Jugend leider das Gegenteil der Fall: Die Zeit schleicht zäh und mühsam dahin, das Leben in der öden Kleinstadt hängt an einem wie Ballast. Sehnsüchtig geht der Blick in die Zukunft, die alles verändern wird: Hinaus in die Welt, ein aufregendes Leben wartet bereits! Wie für viele andere in dieser Zeit diente die MTV-Ära mit der ganzen neuen Musik als Flucht aus der Vorstadt. Damals hörte ich Billy Joels „Piano Man“ und sah immer diese unterschiedlichen Menschen: an einer Theke sitzend, der Musik zuhörend. Ein Lebenstraum war geboren: eine Bar mit Livemusik!

Einige Jahre später. Die Zusage, im Kundenservice einer großen Bank arbeiten zu dürfen, erfüllte mich damals mit Stolz. Das Internet stand in den Startlöchern, Onlinebanking war eine Innovation. Der Neue Markt holte endlich das aufregende „Wall-Street-Feeling“ auch nach Deutschland. Mein beruflicher Lebenslauf war spannend und führte mich in die früher so herbeigesehnten Großstädte. Und gesellschaftlich war es damals noch beeindruckend, in einer großen deutschen Bank zu arbeiten.

Ein sorgenfreies Leben war das Ziel

Mein 30. Geburtstag war noch nicht erreicht, ich hatte eine glänzende Aussicht auf eine weitere Führungsposition, durfte an großartigen Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen und führte ein finanziell unbeschwertes Leben in Berlin. Bereits in meiner Anfangszeit wollte ich eine angemessen vergütete Tätigkeit, um mir ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Bis heute mache ich keinen Hehl aus meiner damaligen Haltung, die meiner Meinung nach auch eine legitime Einstellung eines jeden Arbeitnehmers sein sollte – auch wenn viele es nur ungern öffentlich zugeben wollen.

Der einzige Haken an der Geschichte war folgender – und die meisten Konzernmitarbeiter kennen das: In einer offiziellen Business-Mission und in Außenpräsentationen preist die Firma ihre soziale Kompetenz ersten Ranges. Intern jedoch verhindern narzisstische und emotionale Auswüchse ein gesundes und erfolgreiches Arbeiten. Es gibt zahlreiche Studien zum Thema Work-Life-Balance, sogar die Hirnforschung hat sich des Themas schon angenommen. Gleichzeitig aber ist in fast jedem Unternehmen eine Mobbingkultur zu finden, die sich trotz oder vielleicht sogar dank teurer Teambuilding-Maßnahmen immer nur noch weiter perfektioniert.

Die daraus entstandene Entscheidung zur ersten Kündigung war mehr als eine Mutprobe. Sie war auch ein Befreiungsschlag aus anerzogenen und gelernten Mustern. Nach einer schlaflosen Nacht und der Kündigung begann eine Zeit innerhalb der einzuhaltenden Frist, die mich bis heute geprägt hat – und aus heutiger Sicht die beste berufliche Erfahrung war: Sechs Monate können eine sehr lange Zeit sein, wenn Vorgesetzte die Kündigung als persönlichen Angriff werten.

Die Stimme aus dem Off meldete sich zurück

Aus heutiger Sicht zementierte sich in dieser Zeit meine Erkenntnis, dass man vieles im Leben leider nicht ändern kann. Aber die Art und Weise, wie man sich selbst dazu positioniert, ist entscheidend. Am Ende führte mich dieser Entschluss nicht in den befürchteten sozialen und finanziellen Abstieg. Ganz im Gegenteil: Der Weg führte in andere Konzernabteilungen, die mir nicht nur ein besseres Arbeitsumfeld boten, sondern auch den Glauben zurückgaben, dass professionelles Arbeiten möglich ist.

Drei weitere berufliche Veränderungen standen in den folgenden Jahren an. Sie fielen mir alle leicht. Und die letzte war dann auch die ausschlaggebendste. Der 40. Geburtstag stand bevor. Und Billy Joel begann im Hintergrund immer lauter zu singen.

Die Entstehung meines „Club 20457“ ist eine lange Geschichte, die an anderer Stelle erzählt werden muss. Nur so viel: Komischerweise hat mich diese Entscheidung keine einzige schlaflose Nacht gekostet. Es ist definitiv ein anderes Leben, und jeden verdienten Euro spürt man am folgenden Tag genauso in den Knochen wie das überwältigende Gefühl, die richtige Entscheidung im Leben getroffen zu haben.

Am Anfang erwähnte ich bereits die Reaktionen auf den Artikel im „Manager-Magazin“. Am Ende spielen Lesermeinungen, Vorgesetzte oder wer auch immer keine Rolle. Wer seinen persönlichen „Piano Man“ singen hört, wird eine Entscheidung treffen – oder auch nicht. Love it. Change it. Or leave it.

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Antonio Fabrizi
© Joerg Lang
Antonio Fabrizi

Geschäftsführer und Inhaber, Club 20457

Antonio Fabrizi ist Geschäftsführer und Gründer des Club 20457 in der Hamburger Hafencity, eine Bar und Location für Konzerte, Stand-Up-Comedy und Lesungen. Bevor er den Club vor rund vier Jahren eröffnete, arbeitete er lange Zeit bei der Deutschen Bank. Vier Mal kündigte er, vier Mal erhielt er ein neues, attraktives Angebot – ehe er sich dazu entschloss, seinen Lebenstraum zu verwirklichen und eine Bar zu eröffnen.

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