Befristete Arbeitsverträge: Was dürfen sich Unternehmen erlauben?

Nicht mehr als 20 Krankentage in zwei Jahren und max. zwei Verkehrsunfälle mit geringem Schaden: Die Entfristungspraxis der Deutschen Post sorgte für Empörung. Experten sehen dieses Gebaren kritisch.

Bei Entfristungen entscheidet der Chef nach Leistung

Schekib Fischer
  • Arbeitnehmer sind vor Kündigungen in der Regel gut geschützt
  • Bei der Entfristung hingegen zählt allein die Einschätzung des Arbeitgebers
  • Die Kritik an der Praxis der Deutschen Post ist rein sachlich unbegründet

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Will ein Arbeitgeber Personal entlassen, etwa weil der Arbeitnehmer nur unterdurchschnittliche Leistungen erbringt oder fünf Wochen im Jahr arbeitsunfähig ist, die Arbeitnehmerin schwanger wird oder Elternzeit verlangt, ist das ein ziemlich aussichtsloses Vorhaben. Denn keiner der Fälle ist ein zulässiger Kündigungsgrund. Zahlreiche Regelungen – vom Kündigungsschutzgesetz bis hin zu den Vorschriften zum Sonderkündigungsschutz für Mütter, Arbeitnehmer in Elternzeit, Betriebsräte – verhindern, dass Arbeitnehmer allein aufgrund der subjektiven Einschätzung des Arbeitgebers entlassen werden können. Arbeitsrecht ist zuallererst Arbeitnehmerschutzrecht.

Hat der Arbeitgeber aber eine sachgrundlose Befristung für zwei Jahre in den Vertrag geschrieben, ist von diesem Schutz faktisch wenig übrig. Konkret heißt das: Falls der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nur deshalb nicht entfristet, weil eine Arbeitnehmerin schwanger wurde und der Arbeitgeber sich zu den Gründen gar nicht äußert, hat sie kaum eine Möglichkeit, gegen diese Entscheidung erfolgreich vorzugehen.

Auf die Leistung kommt es an – und die beurteilt nur der Chef

Arbeitgeber können nach derzeitiger Rechtslage frei entscheiden, ob entfristet wird oder nicht. Dies muss weder nach außen getragen noch begründet werden, sodass die Entscheidung faktisch einer gerichtlichen Überprüfung entzogen wird. Hat der Arbeitgeber eine Auswahl zu treffen, wer aus einer Gruppe entfristet wird, werden in der betrieblichen Realität soziale Gesichtspunkte, wie zum Beispiel Schwangerschaft, das Alter oder Krankheit, nicht entscheidend sein, sondern nur, wer „abgeliefert“ hat. Dass es hauptsächlich auf die Leistung ankommt, haben einige Unternehmen in den vergangenen Wochen nochmals deutlich betont, um sich von der Deutschen Post abzugrenzen, die seit Bekanntwerden ihrer Entfristungspraxis in der Kritik steht.

Das klingt auf den ersten Blick gut und mag den Befürwortern des Leistungsprinzips gefallen, wäre da nicht die rechtliche Besonderheit, dass es bei der Frage, ob etwas „geleistet“ wurde, nur auf die subjektive Einschätzung des Arbeitgebers ankommt. Liefert der Arbeitgeber nach den zwei Jahren auch noch einen Sachgrund für eine weitere Befristung, kann er diesen Zustand über viele Jahre – bis zur Grenze des sogenannten institutionellen Rechtsmissbrauchs – ausreizen.

Eine gesetzliche Änderung ist nicht in Sicht

Dass Arbeitgeber faktisch willkürlich entscheiden dürfen, ob und, falls ja, wer entfristet wird oder nach welchen Kriterien entfristet wird, ist vom Gesetzgeber erlaubt. Daher ist die Empörung über den „Fall Post“ zumindest sachlich unbegründet. Die Praxis ist auch nicht gesetzeswidrig. Und die Pläne, die sich im Koalitionsvertrag zur Befristung finden, lassen keine nennenswerte Änderung dieser arbeitnehmerunfreundlichen Rechtslage erwarten.

Für Arbeitnehmer heißt das weiterhin, dass sie Angriffsflächen suchen und fristgerecht klagen müssen, falls sie sich gegen Befristungsabreden wehren wollen. Das kann der Fall sein, wenn diese einer AGB-Prüfung nicht standhalten. Etwa dann wenn die Befristung erst auf der zehnten Seite eines Arbeitsvertrages unter der Überschrift „Sonstiges“ erwähnt wird. Oder wenn Formvorschriften nicht eingehalten werden. Ein typischer Fall aus der Praxis: Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren zunächst mündlich eine Befristung, und der Arbeitsvertrag wird erst nach Jobantritt von beiden Seiten unterzeichnet. Dann ist die Vereinbarung regelmäßig nichtig und führt dazu, dass der Arbeitnehmer einen unbefristeten Vertrag hat. Gute Chancen bestehen auch dann, wenn die Befristung länger als zwei Jahre dauert, es dafür aber keinen Sachgrund gibt.


Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser: Wie beurteilen Sie die Entfristungspraxis der Deutschen Post?

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Schekib Fischer
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Schekib Fischer

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Schekib Fischer (Jg. 1983) ist Partner der Arbeitsrechtskanzlei Fischer Rechtsanwälte in Frankfurt am Main. Er ist seit 2011 als Rechtsanwalt zugelassen und seitdem ausschließlich im Arbeitsrecht tätig. Vor seinem Wechsel in die Kanzlei Fischer im Jahr 2012 war er in zwei international agierenden Wirtschaftskanzleien und in der Arbeitsrechtskanzlei Ulrich Fischer tätig. Er hat in Frankfurt am Main Rechtswissenschaften studiert.

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