Brauchen wir das Grundeinkommen für die Arbeitswelt von morgen?

Digitalisierung und der Kampf ums Klima werden unsere Wirtschaft umkrempeln. Werden wir für unsere Arbeit in Zukunft eine Art staatliches Ersatzeinkommen benötigen? Und wer soll das finanzieren?

Frank Thelen
  • Die Grundsicherung sollte an individuelle Gegenleistungen gekoppelt werden
  • Finanzieren ließe es sich etwa mit einer Robotersteuer
  • Das größte Problem ist nicht Geld, sondern die Suche nach neuem Lebenssinn

34.578 Reaktionen

Wer sich noch immer gegen jede Form des Grundeinkommens sträubt, der hat nicht verstanden, wie groß der Umbruch wirklich ist, in dem wir uns befinden. Es stimmt: Bisher hat sich die Arbeitswelt immer wieder allen neuen Bedingungen angepasst. Wir sind zurzeit in Deutschland so nah an der Vollbeschäftigung wie sehr lange nicht mehr. Aber das ist nur eine Momentaufnahme. Denn der Umbruch, der uns in den kommenden 15 Jahren bevorsteht, ist ohne Beispiel.

Wer sich auf die Kraft des Marktes verlässt, um ihn zu regulieren, überschätzt den Markt und lässt viele Millionen Betroffene im Regen stehen. Autonome Autos und Züge, künstliche Intelligenz, die bei Operationen assistiert oder Rechtstexte recherchiert – selbst mit großer Fantasie können wir nur an der Oberfläche dessen kratzen, was uns durch die digitale Revolution bevorsteht.

Sicher aber ist: Den klassischen Nine-to-five-Job, den man 40 Jahre lang ausübt, möglicherweise noch in ein und demselben Unternehmen, gibt es zusehends nicht mehr. Und auch das bisherige Ziel der Vollbeschäftigung ist durch die zunehmende Automatisierung überholt. Aus meiner Sicht wird deshalb ein neues, modernes System der sozialen Absicherung nötig sein.

Das Grundeinkommen wird uns absichern – aber nicht bedingungslos

Am effektivsten und gerechtesten dürfte dabei ein Grundeinkommen sein, das allerdings nicht bedingungslos ist, sondern in Abhängigkeit von Lebensphase und Qualifikation entsprechende Gegenleistungen fordert. Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr wären dabei natürlich freigestellt, ebenso wie Senioren oder dauerhaft Erwerbsunfähige.

Doch welche Gegenleistungen wären denkbar? Natürlich zuvorderst das Ausüben eines Berufes und jegliche Maßnahmen der Bildung und Weiterbildung. Die Erziehung von Kindern wäre gleichfalls eine anzuerkennende Aufgabe. Und auch sonst gibt es viele Bereiche, in denen man für die Gemeinschaft aktiv werden könnte: Einsatz für den Umweltschutz, Trainer in Sportvereinen, Vorlesen in Kindergärten, Unterstützung älterer Menschen, kreative Tätigkeiten oder die Vorbereitung der Gründung eines Unternehmens.

Ein solches Grundeinkommenskonzept könnte helfen, unsere Gesellschaft auf vielen Ebenen nach vorn zu bringen, und großes kreatives und soziales Potenzial entfesseln. Außerdem würde es Menschen ohne Festanstellung endlich eine Perspektive, Motivation und Würde geben – anders, als dies zum Beispiel von vielen bei Hartz IV empfunden wird.

Es wird nicht mehr für jeden von uns Arbeit geben

Wie man ein solches Grundeinkommen finanzieren könnte, ist natürlich nicht ganz einfach zu beantworten. Klar ist, dass im Gegenzug alle anderen Sozialleistungen, wie Arbeitslosengeld I und II, Renten, Pensionen oder auch Kindergeld und BAföG, abgeschafft oder angepasst werden müssten. Zur weiteren Finanzierung könnte auf Einsparungen, die durch Roboter und KI-Systeme erzielt werden, eine einfache Steuer erhoben werden. Roboter, Serverfarmen und autonome Fahrzeug brauchen ja keinen Lohn, weswegen es nur fair wäre, wenn es einen entsprechenden Ausgleich für den Wegfall der damit verbundenen Steuern gäbe. Nicht vernachlässigt werden dürfen auch die positiven Effekte, die sich durch solch ein Modell für die gesamte Volkswirtschaft ergeben würden.

Die Vordenker unserer Zeit befassen sich mit diesen Fragestellungen schon lange, und ihnen ist klar, dass es in Zukunft nicht mehr für jeden von uns einen herkömmlichen, voll ausfüllenden Beruf geben wird und muss. Umso wichtiger ist, dass diese Erkenntnis auch bei den Politikern hierzulande ankommt und wir die Weichen frühzeitig in die richtige Richtung stellen.

Denn ein viel größeres Problem als die Finanzierung des Grundeinkommens wird die Suche derjenigen, die in Zukunft keinen Beruf mehr ausüben müssen oder können, nach einem sie erfüllenden Sinn in ihrem Leben werden. In der heutigen Gesellschaft definieren wir uns stark über unseren Beruf. Diese Einstellung muss sich mit dem Inkrafttreten des Grundeinkommens ändern. Hier sehe ich die eigentliche Herausforderung. Aber wir müssen uns dieser Herausforderung stellen und schon jetzt offen über diese Themen diskutieren. Denn das Grundeinkommen wird kommen.


15 Jahre XING

Vor 15 Jahren gab es weder soziale Medien noch Smartphones, agiles Arbeiten war hierzulande unbekannt. Unvorstellbar, was in den kommenden 15 Jahre alles Neues entstehen und wie sich unsere Arbeitswelt entwickeln wird! In welchen Berufen werden wir künftig überhaupt arbeiten – und wie? Wie verändert die künstliche Intelligenz den Recruiting-Prozess? Wird die Arbeitswelt von morgen gerechter sein – oder tiefer gespalten?

Zusammen mit dem Zukunftsforscher und Gründer des Trendbüros, Professor Peter Wippermann, hat XING 15 Trends untersucht, die Arbeitnehmer und Unternehmen betreffen und die Gesellschaft verändern werden. Unsere Prognosen basieren auf der wissenschaftlichen Expertise des Trendbüros, einer repräsentativen Umfrage unter den XING Mitgliedern und E-Recruiting-Kunden sowie aus unserer Erfahrung als Vorreiter beim Thema New Work.

Die 15 Trends lassen wir seit dem 5. November täglich auf XING diskutieren – hier auf XING Klartext, von unseren XING Insidern und im XING Talk. Alle Beiträge finden Sie gesammelt auf einer News-Seite.

  • In der Woche ab dem 5. November drehte sich alles darum, was sich für den einzelnen Arbeitnehmer ändert.
  • Ab dem 12. November diskutierten wir eine Woche lang die Folgen des Wandels für Unternehmen.
  • Ab dem 19. November thematisieren wir, wie sich unsere Gesellschaft verändern wird.

Bei Fragen, Feedback und Ideen erreichen Sie die Redaktion von XING News unter klartext@xing.com. Wir freuen uns auf spannende und hitzige Diskussionen!

Veröffentlicht:

Frank Thelen
© Freigeist Capital
Frank Thelen

Seriengründer und Tech-Investor, Freigeist Capital

für Startups, Tech, Innovation, Venture Capital

Frank Thelen (Jg. 1975) ist europäischer Seriengründer, Tech-Investor und TV-Persönlichkeit („Die Höhle der Löwen“) mit Sitz in Bonn. Seit 1994 gründet und leitet er technologie- und designgetriebene Unternehmen. Er ist Gründer und CEO von Freigeist Capital.

Mehr anzeigen

Werd kostenlos XING Mitglied, um regelmäßig Klartext-Debatten zu aktuellen Themen zu lesen.

Als XING Mitglied gehörst Du zu einer Gemeinschaft von über 21 Mio. Berufstätigen allein im deutschsprachigen Raum. Du bekommst außerdem ein kostenloses Profil, spannende Fach-News und passende Job-Vorschläge.

Mehr erfahren