Brauchen wir heute noch Betriebsräte?

Sie gelten als das wichtigste Mitbestimmungsinstrument der Arbeitnehmer. Dennoch finden sich Betriebsräte vorrangig in großen Unternehmen. Als problematisch erachten das aber nicht alle Experten.

Der digitale Wandel erfordert nicht mehr Betriebsräte

Dr. Oliver Stettes

Leiter Kompetenzfeld „Arbeitsmarkt und Arbeitswelt“, IW Köln

Dr. Oliver Stettes
  • Einrichtung von Betriebsräten liegt in erster Linie in der Hand der Mitarbeiter
  • Die Digitalisierung ändert nichts an dem Vertretungsbedürfnis der Arbeitnehmer
  • In vielen Firmen existieren bereits alternative Formen der Interessenvertretung

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Die betriebliche Mitbestimmung gehört neben der Tarifordnung und dem Kündigungsschutz zu den gesetzlich verankerten Säulen der Arbeitsmarktordnung, in deren Schatten grundsätzlich das Miteinander von ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen geregelt und die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen bestimmt werden. Sie nimmt damit nicht nur eine arbeitsmarktpolitisch zentrale Position ein, sondern auch eine verbandspolitische. Dies gilt insbesondere für die Gewerkschaften.

Die Einrichtung eines Betriebsrats ist allerdings nicht obligatorisch, sondern erfordert die Initiative der Beschäftigten. Das bedeutet, dass aus deren Perspektive ein Interesse bestehen muss, ihre Angelegenheiten gegenüber einer Geschäftsführung durch gesetzlich legitimierte Sprecherinnen und Sprecher vertreten zu lassen. Damit ist im Grunde auch die Frage beantwortet, ob wir heutzutage noch einen Betriebsrat brauchen. Das entscheiden vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelung die Beschäftigten eines Betriebs selbst.

Wo Unsicherheiten herrschen, sind Neugründungen wahrscheinlich

Der Verbreitungsgrad von Betriebsräten ist im Zeitablauf relativ konstant geblieben. In knapp jedem zehnten Betrieb ist eine gesetzliche Interessenvertretung eingerichtet. Wo sie existiert, findet sie in der Regel einen breiten Rückhalt in der Belegschaft, nimmt man die Wahlbeteiligung bei Betriebswahlen zum Maßstab, die im Jahr 2014 bei rund 77 Prozent lag. Neugründungen sind hingegen relativ selten zu beobachten. Die Wahrscheinlichkeit einer Neugründung ist dort relativ groß, wo die Beschäftigten unsicher sind, wie sich die Arbeitgeberseite in Zukunft verhalten wird und ob aus diesem Verhalten eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen resultieren kann. Oder die Einrichtung eines Betriebsrats erfolgt als Reaktion auf Entscheidungen der Geschäftsführung, die im Auge zumindest von Teilen der Belegschaft die Initiative zur Gründung erforderlich gemacht haben. Beide Umstände signalisieren, dass die betriebliche Mitbestimmung auf gesetzlicher Basis in erster Linie eine Schutzfunktion einnimmt.

Wo ein Betriebsrat existiert, können seine Mitglieder im Namen der Belegschaft weitreiche Informations-, Beratungs- und Mitbestimmungsrechte geltend machen. Nun kann man grundsätzlich darüber diskutieren, ob die im Betriebsverfassungsgesetz niedergelegten Einwirkungsmöglichkeiten der betrieblichen Interessenvertretung angemessen sind oder nicht. Dies bringt nicht zuletzt der Umstand mit sich, dass in der Praxis eben auch Interessenkonflikte zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite ausbalanciert werden müssen.

Wenn im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Arbeitswelt von mancher Seite jetzt gefordert wird, die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte auszuweiten, ist dies allerdings unangemessen. Der digitale Wandel lässt die Möglichkeiten eines Betriebsrats unberührt, im Interesse der Belegschaft zu agieren. Es findet sich auch keine empirische Evidenz dafür, dass die Belegschaften in hoch digitalisierten Unternehmen ein verstärktes Schutz- beziehungsweise Vertretungsbedürfnis verspüren. Zwischen dem Digitalisierungsgrad und der Wahrscheinlichkeit, dass ein Betriebsrat existiert, besteht kein signifikanter Zusammenhang.

Auch alternative Formen müssen von den Mitarbeitern getragen werden

Nun darf man auch nicht vergessen, dass vielerorts bereits alternative Formen der Interessenvertretung existieren, die von den Beschäftigten offenkundig als ausreichend oder besser geeignet bewertet werden. Dazu zählen Belegschaftssprecher oder -gremien sowie runde Tische, an denen Geschäftsführungen und Mitarbeitervertreter sitzen.

Nicht zuletzt besitzen viele Beschäftigte im hohen Umfang Handlungs- und Entscheidungsspielräume an ihren Arbeitsplätzen. Diese sollen angemessene und schnelle Reaktionen auf veränderte oder plötzlich auftretende berufliche Herausforderungen ermöglichen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden aber hierzu nur bereit sein, wenn ihre Interessen und Präferenzen bei der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen angemessen Berücksichtigung finden. Eine Geschäftsführung sollte dies stets im Auge haben. Dies gilt vor dem Hintergrund der Herausforderungen des digitalen Wandels allemal. Letzterer ist daher auch kein Grund, eine Ausweitung gesetzlicher Mitbestimmungsrechte zu fordern.

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Dr. Oliver Stettes
© Oliver Stettes
Dr. Oliver Stettes

Leiter Kompetenzfeld „Arbeitsmarkt und Arbeitswelt“, IW Köln

Dr. Oliver Stettes (Jg. 1970) absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Industriekaufmann und studierte anschließend Volkswirtschaftslehre in Köln. Er promovierte an der Universität Würzburg. Seit 2004 ist er am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln tätig; seit 2011 leitet er das Kompetenzfeld „Arbeitsmarkt und Arbeitswelt“.

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