100 Millionen Franken. So viel Geld entgeht den Schweizerinnen zusammengenommen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen. Pro Jahr. Denn die Schweizer verdienen für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten bis heute deutlich mehr als ihre Kolleginnen: im Durchschnitt 18,3 Prozent brutto pro Stunde. Dass ausgerechnet die wohlhabende Schweiz damit im Globalen Gleichstellungsindex 2018 auf Platz 20 landete – eine traurige Bilanz.
Die neuen Entgeltgleichheitsgesetze sollen das nun ändern. Bis Sommer 2021 müssen Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten ihre Entgeltstrukturen analysieren und alle vier Jahre neu überprüfen. Ein cleverer Schachzug. Wer hinschaut, handelt in der Regel auch. Hosen runter und zur Kasse bitte!
Beobachten lässt sich das in Großbritannien, hier müssen Unternehmen seit 2018 ihren Gender-Pay-Gap veröffentlichen – und präsentieren zusammen mit den oft peinlichen Zahlen meist auch ehrgeizige Gleichstellungstrategien. So mündet das britische Naming and Shaming in konkrete Maßnahmenpakete und zeigt schnelle Erfolge. Die öffentliche Rundfunkanstalt BBC reduzierte den Gap in einem Jahr um ein Fünftel, die Tageszeitung „Guardian“ konnte die Lohnlücke nahezu halbieren, und das Hotelunternehmen Marriott reduzierte den Gap auf 1,1 Prozent.
Transparenzzwang herrscht auch in Frankreich. Seit dem Frühjahr 2019 müssen Unternehmen ihren Gleichstellungsindex errechnen. Säumige Unternehmen werden öffentlich benannt – und müssen mit Sanktionen bis zu 1 Prozent des jährlichen Gehaltsvolumens rechnen, bis sie ihre Hausaufgaben gemacht haben.
Auch in Island werden Unternehmen zur Kasse gebeten, wer nicht fristgerecht nachweist, dass gerecht bezahlt wird, wird zur Kasse gebeten, Tag für Tag, bis zum Nachweis. Die derzeit wirksamsten Entgeltgleichheitsgesetze der Welt gelten für Unternehmen ab einer Größe von 25 Beschäftigten und lassen die isländische Lohnlücke im Raketentempo schmelzen.
Auf freiwilliger Basis passiert wenig
Deutschland und die Schweiz haben einen anderen Weg gewählt: Freiwilligkeit. In Deutschland sichert das Entgelttransparenzgesetz den Beschäftigten zwar seit 2017 einen Auskunftsanspruch zu, nicht aber eine Angleichung der Einkommensunterschiede. Die Folgen: In Deutschland stagniert die statistische Lohnlücke bei 20 Prozent, auch Frauen in Führungspositionen sind weiterhin eine Seltenheit – außer auf Aufsichtsratsebene in börsennotierten Unternehmen. Hier ist seit 2015 ein Frauenanteil von 30 Prozent Pflicht. Wirksamer wäre auch in Hinblick auf die Gehälter eine Umkehrung der Beweislast, verbunden mit Sanktionen. Die Unternehmen müssten von sich aus transparent anzeigen, dass sie gleiche und gleichwertige Tätigkeiten gleich entlohnen – oder Strafzahlungen leisten.
Auch in der Schweiz kamen die Unternehmen auf freiwilliger Basis nur in seltenen Ausnahmen der Aufforderung zur Entgelttransparenz im sogenannten Lohngleichheitsdialog nach: Zwischen 2009 und 2013 nahmen gerade einmal 20 Unternehmen teil. Gute Absichten allein genügen eben nicht, in keinem Land der Welt.
Klare Regeln bei Fußball, Frauenquote und fairer Bezahlung
Ob Fußball, Frauenquote oder faire Bezahlung: Wenn alle nach den gleichen Regeln spielen, wird es am Ende für alle fair. Zum Glück gehen inzwischen viele Unternehmen ganz ohne Gesetze und Sanktionen mit gutem Beispiel voran. Die Wirtschaftsprüfungsgruppe Deloitte, der Personaldienstleister Randstad, die Cafékette Starbucks, Konzerne wie Ikea, Nestlé, Novartis oder Pepsico, sie alle haben sich der Equal Pay International Coalition angeschlossen. Dem global agierenden Softwareanbieter Adobe gelang es zuerst in Indien, dann auch an allen anderen Standorten, die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen in rasantem Tempo zu schließen – trotz der unterschiedlichsten gesetzlichen und arbeitsrechtlichen Voraussetzungen vor Ort.
In der Schweiz gehört die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY zu den wenigen Unternehmen, die den Lohngleichheitsdialog erfolgreich beendeten. Und auch Ikea setzt schon seit 2010 Maßstäbe für die rund 3000 Beschäftigten in der Schweiz: Unter CEO Simona Scarpaleggia hält man als einziges Unternehmen weltweit den höchsten Zertifizierungslevel Edge.
Nichtstun ist teurer
Was Adobe, EY und Ikea eint: Gleichstellung wird nicht als Frauenthema begriffen. Das Ziel lautet Gleichheit für alle Beschäftigten, unabhängig vom Geschlecht oder der jeweiligen Gesetzeslage. Und zwar aus einem einfachen Grund: Wer fair führt, wirtschaftet klüger. Längst ist Gleichstellung als Business-Case erkannt worden. Divers zusammengesetzte Teams erzielen bessere Ergebnisse, die Unternehmen sind wirtschaftlich stabiler, die Fluktuation geringer. Langsam, aber sicher spricht sich herum, dass Nichtstun die Unternehmen sehr viel teurer zu stehen kommt. In uneinsichtigen Unternehmen kann ein klarer politischer Kurs wie in Großbritannien, Frankreich oder Island die Entwicklung enorm beschleunigen.
Der Zwang zur Transparenz und spürbare Sanktionen könnten auch in Deutschland und in der Schweiz viel bewirken. Wo ein Wille ist, führen viele Wege zur Lohngerechtigkeit. Wo nicht, helfen Gesetze.
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