Digitale Transformation: Wieso verläuft die Digitalisierung so mühsam?

Die digitale Transformation ist für viele Unternehmen Schrecken und Chance zugleich. An allen Enden versuchen Firmen sie umzusetzen, der Erfolg ist aber nicht immer garantiert.

Die deutsche Industrie wiegt sich in trügerischer Sicherheit

Marc Ziegler
  • Im Internet of Things ist die (vorausschauende) Datenanalyse elementar
  • Noch sind Firmen wie Siemens oder Bosch bei Hardware führend
  • US-Wettbewerber wie Google drängen aber mit Macht in den Markt

5.435 Reaktionen

Global betrachtet haben die deutschen Unternehmen die erste Halbzeit der digitalen Transformation verloren, welche sich fast ausschließlich im B2C-Internet („Consumer Web“) abspielte. In der westlichen Welt werden die zentralen Spielfelder (E-Commerce, digitale Werbung, Suchmaschinen, soziale Netzwerke) uneinholbar von den amerikanischen digitalen Supermächten rund um Google, Apple, Amazon und Facebook dominiert.

Auch zu Beginn der zweiten Halbzeit, dem potenziell noch viel größeren Industrie-4.0-Markt („Industrial Internet of Things“, kurz: IoT), droht Deutschland den Anschluss zu verlieren. Die (vorausschauende) Datenanalyse und daraus gewonnene Business-Entscheidungen in Echtzeit sind hier die Schlüsselfelder. Beides sind Kernkompetenzen der großen Digitalspieler und IT-Konzerne, die mit großer Macht in den IoT-Markt eindringen und sich sukzessive auch in die unteren, hardware-getriebenen Schichten der IoT-Kompetenzpyramide einkaufen oder strategische Partnerschaften mit Vertretern dieser Schichten eingehen.

Die amerikanischen IT-Riesen verfügen über eine pralle „Kriegskasse“

Noch sind die unteren Hardwareschichten die große Domäne der heimischen Industriespieler wie Siemens, Bosch & Co., denn hier sind tiefe Kenntnisse der industriellen Fertigungsprozesse und Automatisierungskompetenzen gefragt. Dies verhindert ein allzu rasches Vordringen der Digitalspieler und damit eine Vormachtstellung im Industrial Internet, so die überwiegende Meinung der Manager deutscher Industriegiganten. Doch das ist eine trügerische Gewissheit angesichts massiver Cash-Reserven der amerikanischen IT-Riesen. Alleine Apple, Google, Microsoft, Cisco und Oracle verfügten Anfang 2016 über freie Cash-Bestände in Höhe von 430 Milliarden US-Dollar, ein Vielfaches der Cash-Vorräte aller DAX-30-Unternehmen zusammen.

Wenn sich Google, Apple & Co. durch smarte Akquisitionen oder strategisch geschickte, ausgewählte Partnerschaften verstärken, wird es für die etablierten Industriespieler schwer – wie sich aktuell etwa in der Automobilbranche bereits zeigt: Mit großen Anstrengungen arbeiten Apple und Google an dem langfristigen Ziel, das perfekt vernetzte, autonome Fahrzeug zu entwickeln. So haben sie die Hersteller inzwischen regelrecht dazu gezwungen, ihre Autos wahlweise (oder parallel) mit Apple CarPlay oder Android Auto zu vernetzen. ### Google verknüpft inzwischen alles – vom Kühlschrank bis zum Sprinkler

Google hat zudem allein in den letzten 24 Monaten mehr als zehn Robotics-Unternehmen aufgekauft; aus der viel diskutierten 3-Milliarden-Akquisition des intelligenten Thermostatherstellers Nest durch Google ist inzwischen ein Smart Home Ecosystem entstanden. Neben den Anschlussakquisitionen von Dropcam (Videoüberwachung), myEnergy (personalisierte Energieeffizienzempfehlungen) und Revolv (Hausautomatisierung) hat Nest ein strategisches und innovatives Partnernetzwerk mit haushaltsnahen Hardwarespielern gesponnen, zum Beispiel mit Whirlpool (intelligente Haushaltsgeräte), LIFX (intelligente Leuchten), Kevo (intelligente Schlösser) und Rachio (intelligente Sprinkler). Dadurch gelingt es Google, auch in der für das Unternehmen bislang uneinnehmbaren Festung des Haushalts Bewegungsdaten zu erheben, um ein vollumfassendes Bild seiner Nutzer zu erstellen.

Wie sollten und müssen deutsche Firmen jetzt reagieren?

Diese und viele weitere Beispiele untermauern die Notwendigkeit des raschen und strategisch überlegten Handelns seitens der Industrie.

Nur wer über tief greifendes Hardware-, Software- und Anwenderwissen verfügt, kann die volle Leistungskraft für seine Kunden über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg verbessern. Oberste Priorität sollte dabei sein, die (neu) entstehenden gigantischen Datenmengen gewinnbringend zu nutzen und so zum aktiven Teil des industriellen Datenökosystems zu werden. Damit verknüpft sind einerseits der Aufbau technologischer Kompetenzen (intelligente Datenverknüpfung, Management komplexer Datenstrukturen, vorausschauende Datenanalysen und daraus abgeleitete entscheidungsrelevante Information sowie deren Visualisierung) und andererseits die Entwicklung nachhaltiger datengetriebener Geschäftsmodelle.

Bei industriellen IoT-Anwendungen etablieren sich zunehmend Geschäftsmodelle, die eher mit digitalen als mit traditionellen industriellen Geschäftsmodellen verwandt sind. Aus Kundenperspektive werden nutzungs- und ergebnisorientierte Leistungsbezugsformen immer wichtiger und lösen sukzessive eigentums- bzw. lizenzbasierte Modelle ab.

Die eigentliche IoT-Wertschöpfung kann grundsätzlich die folgenden vier Ausprägungsformen annehmen:

IoT zur Absatzförderung des industriellen Kernproduktes: Hier dient die IoT-Lösung zur Differenzierung gegenüber Wettbewerbsprodukten.

IoT zum Ausbau des Servicegeschäfts: Die IoT-basierten Lösungen sind Teil des (margenträchtigeren) Servicegeschäftes.

IoT-Anwendung als eigenständiges Angebot: Die Lösungen und Services sind unabhängig von einem industriellen Kernprodukt.

Offene(s) IoT-Plattform/Ökosystem: Es handelt sich um eine standardisierte Analytics-Plattform, auf der auch IoT-Applikationen von Drittanbietern integriert werden können.

Unabhängig davon, welchen Pfad Industrieunternehmen im IoT-Geschäft einschlagen, er ist gleichbedeutend mit einer Transformation der Organisation, die wiederum neue Anforderungen an Mindset, Kompetenzen, Prozesse, Partnerschaftsmanagement, Steuerungsmechanismen und Geschwindigkeit stellt.

Letztlich ist aber das Bestreben, am industriellen Internet, und damit am Datenökosystem, aktiv teilzunehmen, alternativlos. Die deutsche Industrie hat es selbst in der Hand, das industrielle Datengeschäft mitzugestalten und den Wandel vom reinen Hardwarespiel zum softwaregetriebenen Lösungs-/Servicegeschäft erfolgreich zu bewältigen.

Veröffentlicht:

Marc Ziegler
© goetzpartners
Marc Ziegler

Partner und Head of Ditgital Business, goetzpartners

Marc Ziegler ist Partner und Head of Digital Business im Münchner Büro des Beratungsunternehmens goetzpartners. Er hat über 50 nationale und internationale Unternehmen aus dem TMT- (Telekommunikation, Medien, Technologie) und Industriesektor in die digitale Zukunft begleitet. Vor seiner Tätigkeit bei goetzpartners war er Managing Partner bei Detecon International, Partner bei Diebold Deutschland, CEO des Medienclusters NRW und Gründer und CEO von TimeLabs.

Mehr anzeigen

Werd kostenlos XING Mitglied, um regelmäßig Klartext-Debatten zu aktuellen Themen zu lesen.

Als XING Mitglied gehörst Du zu einer Gemeinschaft von über 21 Mio. Berufstätigen allein im deutschsprachigen Raum. Du bekommst außerdem ein kostenloses Profil, spannende Fach-News und passende Job-Vorschläge.

Mehr erfahren