New-Work-Bewegung – Sollten Vorgesetzte neben dem Führen auch coachen?

In jüngster Zeit wird unter dem Dach der New-Work-Bewegung vermehrt gefordert, dass Führungskräfte auch die Rolle des Coaches für ihre Mitarbeiter übernehmen. Doch kann das funktionieren?

Prof. Dr. Nico Rose
  • So populär diese Forderung der New-Work-Bewegung ist, so irreführend ist sie auch
  • Ein Chef muss per Definition andere Ziele verfolgen als ein Coach
  • Es ist unethisch, wenn dem Mitarbeiter dieser Unterschied nicht verdeutlicht wird

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In jüngster Zeit wird unter dem Dach der #NewWork-Bewegung vermehrt gefordert, Führungskräfte mögen als Coach ihrer Mitarbeiter agieren. Das ist, freundlich formuliert, Unfug. Die Rollen eines Coaches und einer Führungskraft, zumindest in hierarchischen Organisationen, sind hochgradig widersprüchlich. Hier die gekürzte Form einer Coaching-Definition gemäß des Deutschen Verbands für Coaching und Training (dvct e. V.):

„Professionelles Coaching setzt ganz auf die Entwicklung individueller Lösungskompetenz. Der Klient bestimmt das Ziel des Coachings. Der Coach verantwortet den Prozess, bei dem der Klient neue Erkenntnisse gewinnt und Handlungsalternativen entwickelt.“

Der wesentliche Passus ist: Der Klient bestimmt das Ziel des Coachings. Ein professioneller Coach muss den Zielen des Klienten gleichgültig gegenüberstehen, in dem Sinn, dass letztlich alle Ziele gleich gültig sein könnten. Der Klient bestimmt, wo die Reise hingeht, der Coach hilft bei der Erstellung des Reiseplans und beim Verstehen der Landkarte. Aber Sinn und Zweck der Reise müssen vom Klienten kommen – und nur von ihm.

Der Knackpunkt: Führungskräfte in hierarchischen Organisation können per Definition gerade nicht gleichgültig sein gegenüber den Zielen ihrer Mitarbeiter. Sie haben Zielvorgaben, welche aus den Unternehmenszielen abgeleitet wurden. Auf Basis dieser Zielvereinbarungen werden wiederum Zielvorgaben für die eigenen Mitarbeiter definiert. Dies geschieht bei geschulten Führungskräften heutzutage selbstredend in einem dialogischen Prozess, den Mitarbeitern werden also Gestaltungsspielräume gegeben. Nichtsdestotrotz können sie ihre Ziele nicht frei wählen. Diese systembedingte Abhängigkeit ist mit einer klassischen Coach-Klienten-Beziehung unvereinbar.

Selbstverständlich können Führungskräfte sich für ihre Führungsaufgabe bestimmter Methoden bedienen, die im oder für den Coachingkontext entwickelt wurden, beispielsweise systemisch orientierte Fragetechniken. Doch ändert das rein gar nichts an der Tatsache, dass die Rechte und Pflichten einer Coach- beziehungsweise Führungsrolle grundverschieden bleiben.

Manche mögen nun sagen, dass es hier lediglich um eine sprachliche Nuance geht, aber das greift deutlich zu kurz. Es ist unethisch gegenüber den Mitarbeitern, wenn ihnen ihre disziplinarisch verantwortliche Führungskraft als Coach „verkauft“ wird. Denn am Ende des Tages bleibt trotz der Umbenennung eine hierarchische Abhängigkeit, welche mit der Rolle eines wohlwollend-neutralen Begleiters auf Augenhöhe unvereinbar ist.

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Prof. Dr. Nico Rose
© René Golz
Prof. Dr. Nico Rose

Professor für Wirtschaftspsychologie, Autor, Experte für Führung

Prof. Dr. Nico Rose ist Professor an der International School of Management in Dortmund und war bis Ende 2018 Vice President Employer Branding & Talent Acquisition bei Bertelsmann. Ab 2004 war er im HR internationaler Konzerne tätig, mit Intermezzi in der Forschung und einer Marketingberatung. Sein Fokus lag auf Employer Branding und Recruiting. Fasziniert von sinnstiftender Führung und Unternehmenskultur, studierte Rose 2013/14 bei Martin Seligman, Begründer der Positiven Psychologie, in den USA.

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