Niedriglöhne trotz Vollbeschäftigung: Warum verdienen wir so wenig?

Dem deutschen Arbeitsmarkt geht es so gut wie lange nicht. Dennoch steigen die Löhne nur moderat. Warum ist das so?

Die Politik muss den Mindestlohn erhöhen

Prof. Dr. Peter Bofinger

Mitglied, Sachverständigenrat

Prof. Dr. Peter Bofinger
  • Eine weitere Lohnerhöhung könnte aber dem Euroraum zugutekommen
  • Die Politik muss den Mindestlohn zum Jahr 2018 um 2 Prozent anheben

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Trotz einer sehr guten Beschäftigungslage steigen die Löhne in Deutschland nur moderat. Im zweiten Quartal 2017 lagen die Tariflöhne auf Stundenbasis um 2,1 Prozent höher als im Vorjahr. Bei einer Inflationsrate von 1,6 Prozent fiel damit der Anstieg der Reallöhne mit rund 0,5 Prozent sehr bescheiden aus. Er war jedenfalls weitaus geringer als das Wirtschaftswachstum, das sich preisbereinigt auf 2,1 Prozent belief. Unter Berücksichtigung von Sonderzahlungen dürfte die Lohnentwicklung etwas besser ausfallen, aber am grundsätzlichen Problem ändert das nichts.

Wenn die Tariflöhne vergleichsweise gering steigen, ist das vor allem darauf zurückzuführen, dass wir in den vergangenen Jahren sehr niedrige Inflationsraten hatten. Die Tarifpartner gingen davon aus, dass sich daran nicht allzu viel ändern würde, und kamen daher zu aus heutiger Sicht eher bescheidenen Abschlüssen.

Die Produktivitätsentwicklung, die von Experten als Grund für geringe Lohnsteigerungen genannt wird, ist aus meiner Sicht kein Argument für die aktuelle Entwicklung. Wir hatten in der Vergangenheit einen recht schwachen Produktivitätsanstieg, aber das hat sich seit 2016 deutlich gebessert. Bei einem Produktivitätsanstieg von rund 1 Prozent und unter Berücksichtigung der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank von knapp 2 Prozent würde man auf Lohnsteigerungen von rund 3 Prozent kommen.

Der einfachste Ausweg aus der EZB-Geldpolitik? Die Löhne anheben!

Mit Blick auf den Euroraum könnte es durchaus noch etwas mehr sein. In den anderen Mitgliedstaaten ist die Arbeitslosigkeit deutlich höher als in Deutschland – das dämpft dort die Lohnentwicklung. Im Ergebnis liegt die Inflationsrate des Euroraums immer noch unter dem Zielwert der EZB. Wenn wir temporär höhere Lohnsteigerungen in Deutschland zulassen würden, könnte dieser Zielwert schneller erreicht werden. Die EZB könnte dann früher aus der bei uns so ungeliebten Nullzinspolitik aussteigen.

Wie können wir das erreichen? Konkret ansetzen kann die Politik beim Mindestlohn. Statt ihn erst wie geplant 2019 anzuheben, könnte der Mindestlohn schon 2018 um gut 2 Prozent erhöht werden. Er würde dann von derzeit 8,84 Euro auf über 9 Euro steigen. Zudem wäre bei der guten Kassenlage der öffentlichen Hand ein Nachschlag auf den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst von nur 2,0 Prozent für dieses Jahr möglich.

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Prof. Dr. Peter Bofinger
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Prof. Dr. Peter Bofinger

Mitglied, Sachverständigenrat

Prof. Dr. Peter Bofinger (Jg. 1954) ist Professor für VWL an der Universität Würzburg und dienstältestes Mitglied im Sachverständigenrat, Arbeitsgebiet Europapolitik. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die europäische Integration, die Geld- und Währungspolitik sowie die Energiepolitik. Er ist Autor der Bücher „Wir sind besser, als wir glauben. Wohlstand für alle“ und „Zurück zur D-Mark? Deutschland braucht den Euro“.

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