Wovon sollen wir im Alter wirklich leben können?

Die Angst vor Altersarmut ist ein Dauerthema, besonders vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Über das richtige Rentenkonzept streiten Politiker sowie Experten. Welches ist zukunftsweisend?

Die Rente mit 63 ist kein unfinanzierbares Geschenk

Prof. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup

Wirtschaftswissenschaftler, Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen

Prof. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup
  • Wirtschaftsverbände fürchten Belastungen der Unternehmen und Beitragszahler
  • Kosten des Rentenpakets sind bezogen auf das Volkseinkommen aber nichtig
  • Zudem wird dadurch der Arbeitsmarkt entlastet – und der Staat profitiert

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Seit dem 1. Juli 2014 gilt die Altersrente mit 63. Demnach können abhängig Beschäftigte nach 45 Rentenversicherungs(Beitrags-)jahren beziehungsweise Arbeitsjahren ohne Abschläge in Rente gehen. Ab dem Jahrgang 1953 steigt das abschlagsfreie Eintrittsalter aber schon um zwei Monate an. Der Jahrgang 1964 und jünger kann dann erst ab dem 65. Lebensjahr eine abschlagsfreie Rente erhalten. Also von einer allgemeinen Rente mit 63 nach 45 Arbeitsjahren kann nicht gesprochen werden. Begründet wird diese Differenzierung (Restriktion) mit der allgemeinen Anhebung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre, die gesamtwirtschaftlich in einem der reichsten Länder der Erde nicht nachvollziehbar ist.

Ein langer politischer Streit

Lange gab es politischen Streit um die Rente mit 63. Zum Schluss wurde noch gestritten, ob Zeiten der Arbeitslosigkeit angerechnet werden sollen. Ergebnis: Zeiten des ALG-I-Bezugs werden anerkannt – in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn aber nur, wenn sie Folge einer Insolvenz oder Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers sind. Zeiten des Bezugs von Arbeitslosenhilfe und ALG II finden dagegen keine Berücksichtigung. Dies trifft völlig unberechtigt Langzeitarbeitslose.

Die Kosten des Rentenpakets wurden von der Bundesregierung bis 2018 auf 13,5 Milliarden Euro geschätzt. Jahresdurchschnittlich auf 3 Milliarden Euro. Wirtschaftsverbände sehen darin eine unerträgliche Belastung der Unternehmen und zukünftigen Beitragszahler. Welch ein ideologischer Unsinn. Richtig ist, dass die Rente mit 63 lediglich einer lächerlichen Belastung entspricht. Bei einem erwirtschafteten kumulierten Volkseinkommen in Deutschland von 2014 (2. Halbjahr) bis 2018 in Höhe von knapp 11.000 Milliarden Euro liegt sie bei 0,1 Prozent bezogen aufs Volkseinkommen. Da muss man sich dann wohl kaum Finanzierungssorgen machen. Und selbst wenn man die Rente mit 63 nur von den Arbeitgebern bezahlen ließe, läge die „Belastung“, bezogen auf die Unternehmens- und Vermögenseinkommen, auch nur bei schlappen 0,4 Prozent. Wo ist also das gesamtwirtschaftliche Finanzierungsproblem? Es existiert schlicht und ergreifend nicht!

Das Arbeitsangebot wird verknappt

Für die Menschen, so viel werden es am Ende nicht einmal sein, die nach 45 Berufsjahren in den Ruhestand gehen können, bedeutet die Rente mit 63 dennoch ein paar Jahre mehr Lebensqualität. Sie unterliegen keiner Fremdbestimmung mehr und keinem Arbeitsstress in Unternehmen und staatlichen Verwaltungen, sondern können in Folge ihr Leben selbst bestimmen. Und auch die Arbeitslosen und weiter Beschäftigten können profitieren. Das Arbeitsangebot wird sinnvollerweise durch die Rente mit 63 in Anbetracht bestehender Massenarbeitslosigkeit und prekarisierter Arbeitsmärkte verknappt. Hierdurch erhalten die Arbeitslosen eine erhöhte Beschäftigungschance und die Beschäftigten mehr Spielraum für Arbeitsentgelterhöhungen. Gleichzeitig profitiert auch noch der Staat. Weniger Arbeitslose bedeuten weniger staatliche Alimentierung durch Arbeitslosengeld (ALG I und II) und weniger Ausfälle bei Steuern und Abgaben. Im Befund legen Letztere sogar zu.

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Prof. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup
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Prof. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup

Wirtschaftswissenschaftler, Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen

Prof. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup ist Hochschullehrer für Wirtschaftswissenschaft mit dem Schwerpunkt Arbeitsökonomik an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, Bocholt, Recklinghausen. Zudem ist er Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik („Memorandumgruppe“) und hat weit über 400 Veröffentlichungen herausgebracht, davon 45 Bücher und Monografien. Zuletzt erschienen: „Krisenkapitalismus und EU-Verfall“, „Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft“.

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