Rassismus in Unternehmen und Gesellschaft: das ignorierte Problem

Erfahrungsberichte und Studien zeigen: Rassismus ist auch in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Wie kann es sein, dass er so häufig übersehen wird? Was können wir dagegen tun – auch am Arbeitsplatz?

Es reicht nicht, nicht erschossen zu werden

Aminata Touré

Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtages, Die Grünen

Aminata Touré
  • Häufig höre ich, Rassismus in den USA sei viel schlimmer als in Deutschland
  • Selbst wenn – das ist kein Grund, bei Geschichten aus Deutschland wegzuhören
  • Ich wünsche mir für jedes Bundesland einen Aktionsplan gegen Rassismus

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Die Ermordung von George Floyd, die Polizeigewalt gegenüber Schwarzen Menschen und der anhaltende Rassismus in den USA sorgen auch für Debatten in Deutschland.

Eine oft gestellte Frage ist dabei: „Kann man das überhaupt vergleichen?“ Manchmal wird auch einfach von Weißen postuliert: „Der Kampf Schwarzer Menschen hier ist doch nicht einmal ansatzweise vergleichbar mit dem derer in den USA!“

Gewalt ist nur die Spitze des Eisberges

Statistiken zur US-amerikanischen Polizeigewalt zufolge sind 24 Prozent derer, die durch Polizeigewalt getötet wurden, Schwarze, obwohl sie in der Gesamtbevölkerung nur 13 Prozent ausmachen („Washington Post“). Das ist eklatant – und nicht mit Deutschland zu vergleichen. Es geht bei den Protesten in den USA aber nicht nur um die Polizeigewalt. Die Gewalt ist die Spitze des Eisberges. Es geht um Rassismus in allen Bereichen des Lebens.

Was sich daher schon vergleichen lässt, ist, dass Rassismus gegen Schwarze dort so wie auch hier stattfindet. Man muss sich schon klarmachen, wie vermessen eine Aussage wie „Seid doch froh, hier zu sein. In den USA werden Schwarze erschossen, hier nicht!“ ist.

Dieser Satz besagt nichts anderes, als dass wir dankbar sein können, nicht erschossen zu werden. Wir geben uns aber nicht damit zufrieden, nicht erschossen zu werden. Wir verlangen den gleichen Respekt und die gleiche Behandlung, wie weiße Menschen sie erfahren.

Es fehlt nicht an Schwarzen, die sprechen, sondern an Weißen, die zuhören

Rassismus erfahren Schwarze Menschen und People of Color tagtäglich. Auch in Deutschland. Sie berichten davon, sie schreiben Bücher dazu, sie machen Musik dazu, sie positionieren sich zivilgesellschaftlich sowie politisch. Um nur einige Beispiele zu nennen: Tupoka Ogette, Natasha Kelly, Alice Hasters, die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), Each One Teach One und viele mehr. Sie alle kommunizieren auf die unterschiedlichste Art und Weise.

Es fehlt nicht an Stimmen, es fehlt am Zuhören. Aktives Zuhören, bei dem man nicht im ersten Impuls versucht, seine eigene Position zu vergleichen und davon zu sprechen, dass man als weiße Person ja schon mal „Rassismus“ im Urlaub erlebt hat, obwohl man nur von Vorurteilen sprechen kann. Rassismus – diese Erfahrung geht über eine Urlaubserfahrung hinaus.

Auch in Deutschland haben wir keine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Thema. Es wird so getan, als ginge Rassismus uns nichts an, frei nach dem Motto „Schlimmer sind die anderen“. Es gehört nicht zum Allgemeinwissen, dass auch Deutschland sich an kolonialen Verbrechen massiv beteiligt hat und Rassismen gegenüber Schwarzen Menschen genau aus dieser Zeit stammen und bis heute wirken. Kaum jemand hinterfragt, was es bedeutet, dass rassistische Wissenschaft den Grundstein für die Versklavung Schwarzer Menschen gelegt hat („Süddeutsche Zeitung“). Wir haben eine Menge aufzuarbeiten.

Rassismus ist strukturell – deshalb lasst uns über Strukturen sprechen

Es ist auch in Deutschland notwendig, dass wir uns mit Rassismus auseinandersetzen. Vor allem politisch. Eben weil es nicht immer nur um die Spitze des Eisberges gehen darf, um das, was leicht zu sehen ist. Deshalb habe ich mich in Schleswig-Holstein für einen Aktionsplan gegen Rassismus eingesetzt. Von Polizei über Justiz, Schule, öffentliche Verwaltung bis hin zur Zivilgesellschaft sind alle gefordert. So etwas wünsche ich mir in jedem Bundesland.

Denn was bisher geschehen ist, reicht offensichtlich nicht, weder hier noch in den USA. 2018 habe ich an der Konferenz der Congressional Black Caucus Foundation in Washington teilgenommen. Wir Schwarzen haben uns dort über den Rassismus ausgetauscht, den wir weltweit erleben. Das ist es, was uns zu Schwestern und Brüdern macht. Die Erfahrungen, die wir teilen, und der gemeinsame Kampf, diese Lebensrealität für uns zu verändern.

Wenn man aktiv zuhört, dann wird man verstehen, worum es geht. Vielleicht merkt man, dass man Teil einer Bewegung werden kann und sogar muss, egal welche Hautfarbe man hat, um für Schwarzes Leben und die Würde Schwarzer Menschen zu kämpfen.

Und vielleicht kommt man zumindest nicht mehr auf die Idee, jemandem zu sagen, er solle froh sein, dass er nicht erschossen wird.


Zuhören, lernen, weiterbilden: Diese Empfehlungen sind für alle, die sich näher mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen möchten.

Literatur

  • Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten – Alice Hasters (auch als Hörbuch auf Spotify)
  • Exit Racism – Tupoka Ogette (auch als Hörbuch auf Spotify)
  • Warum ich nicht länger über Hautfarbe spreche – Reni Eddo-Lodge
  • Sprache & Sein – Kübra Gümüsay
  • Ibram X. Kendi – How to be an Anti-Racist (ab September auf deutsch erhältich)
  • Deutschland Schwarz Weiß – Noah Show

Filme/Serien

  • I am not your Negro
  • Dear White People
  • When they see us
  • Who killed Malcom X
  • The 13th
  • If Beale Street Could Talk
  • Selma

Podcasts

Die Spotify-Playlist BLACK LIVES MATTER/RASSISMUS von Podstars liefert eine gute Sammlung von aktuellen deutsch- und englischsprachigen Podcasts.


Dieser Artikel erschien zuerst auf Bento.

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Aminata Touré
© Aminata Touré
Aminata Touré

Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtages, Die Grünen

Aminata Touré wurde 1992 in Neumünster geboren. Seit Juni 2017 sitzt sie für Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Schleswig-Holstein und ist in ihrer Fraktion Sprecherin für die Themen Migration und Flucht, Antirassismus, Frauen und Gleichstellung, Kinder und Jugend sowie Queerpolitik. Seit August 2019 ist sie außerdem Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtages. Aminata Touré ist die erste afrodeutsche und jüngste Vizepräsidentin in Deutschland.

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