Wie mobil ist unsere Arbeitswelt?

Die Digitalisierung macht es möglich: Arbeiten, wo man möchte. Doch so attraktiv das klingt: Viele Firmen hinken beim mobilen Arbeiten hinterher – und nicht immer sind die eigenen Erfahrungen positiv.

Freiheit im Beruf lässt sich nicht durch Standards regeln

Dr. Bernd Slaghuis
  • Viele Arbeitnehmer fühlen sich in ihrem Beruf wie in einem Gefängnis
  • Regeln und Prozesse werden als unverrückbar wahrgenommen – zu Unrecht
  • Es ist an den Arbeitgebern und Arbeitnehmern, diese Mauern einzureißen

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Eingeengt von Regelungen des Unternehmens. Kleingehalten vom Chef. Keine Freiheit innerhalb der eigenen Tätigkeit. Arbeitnehmer beklagen sich oft über ihren Arbeitsalltag. Und sie harren in dieser Situation aus. Sie haben in ihrem kleinen Kästchen innerhalb der Mauern verlernt, selbst der Chef ihres Lebens zu sein. Stattdessen hängen sie fest in einer jammernden Opferhaltung aus scheinbarer Fremdbestimmung, bedingungsloser Abhängigkeit und dem Gefühl von Ohnmacht aus Angst vor Veränderung.

Liegt irgendwann die Kündigung des Arbeitgebers auf dem Tisch, empfinden es viele von ihnen als Befreiung: „Endlich hat mir der Chef die Entscheidung abgenommen, den nächsten Schritt gehen zu müssen“, sagen mir viele Arbeitnehmer, die hilfesuchend zu mir ins Coaching kommen. Es kommt mir vor wie die seit Langem ersehnte Entlassung aus dem schrecklichen Gefängnis. Doch bei genauerem Hinsehen haben sich viele dieser mächtig anmutenden Mauern vor allem in ihren eigenen Köpfen aufgebaut:

  • einschränkende Denk -und Verhaltensweisen, die mit der Zeit Gewohnheit geworden und nie wieder hinterfragt worden sind,
  • unverrückbar wahrgenommene Regeln und Arbeitsprozesse,
  • vermutete Erwartungen des Chefs oder der Kollegen, die ausschließlich auf Annahmen und Interpretationen beruhen.

Mauern in den Köpfen sind das Ergebnis von (schlechten) Erfahrungen

Keine Frage, sowohl die echten Mauern aus längst überholten Vorschriften und alter Führung in der Organisation als auch die imaginären Mauern in den Köpfen von Arbeitnehmern müssen eingerissen werden. Denn sie treiben Angestellte nicht nur in die innere Kündigung, sondern lähmen die gesamte Organisation. Entsprechend sollten Arbeitgeber nicht nur über Freiheit sprechen, sondern sie im Alltag individuell erlebbar machen. Chefs sollten ihre Angestellten fragen, was für sie Freiheit im Beruf konkret bedeutet, und ihre Mitarbeiter aktiv ermuntern, Freiheiten im möglichen und oftmals sogar erwünschten Rahmen in Anspruch zu nehmen. Mauern in den Köpfen sind das Ergebnis von (schlechten) Erfahrungen, oftmals verbunden mit Angst, Unsicherheit und fehlender Klarheit. Führungskräfte können daran arbeiten, Freiheit für ihre Mitarbeiter zu legalisieren.

Die andere Seite, die Arbeitnehmer, sollte sich in ihrem aktuellen Handlungsraum bewusst umsehen: Wo existieren tatsächlich Mauern, und wo sind Mauern mit der Zeit nur in ihrem Kopf entstanden? Beschäftigen sich Angestellte umfangreich mit dieser Fragestellung, entwickeln sie sehr schnell gute Ideen, was sie tun können, um in ihren Positionen im aktuellen Unternehmen mehr Freiheit zu erlangen. Häufig ist es eine Mischung aus Selbstdisziplin und mehr Klarheit durch Gespräche mit Chef und Kollegen. Das Verrückte: Oftmals freuen sich Vorgesetzte über die Initiative und begrüßen die neu erlangte Freiheit. Denn auch Chefs wissen es zu schätzen und profitieren davon, wenn ihre Mitarbeiter mehr Selbstverantwortung übernehmen und sich die Freiheit nehmen, die sie wirklich benötigen, um sich zu motivieren und gute Leistungen zu erbringen.

Freiheit ist keine neue Regel, sondern persönliches Erleben

Echte Freiheit im Beruf lässt sich meiner Meinung nach nicht durch Standards regeln. Für Gerechtigkeit braucht Freiheit zwar einen Rahmen, doch statt einengender hoher Mauern habe ich ein Bild von Leitplanken im Kopf, die keine Angst erzeugen, sondern Sicherheit auf einem Weg geben und im Gegensatz zu Mauern eine gute Sicht auf die vielen Chancen und Möglichkeiten erlauben. Innerhalb dieser Leitplanken sollte es in der Verantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters liegen, wie viel und welche Freiheit in einer bestimmten Situation persönlich wichtig und in der Sache zielführend ist.

Wem konzentriertes Arbeiten im Büro wichtig ist, der wäre mit dem Kreativworkshop im Wald überfordert. Wer auf innovative Ideen nur in Bewegung an der frischen Luft kommt, empfindet es als ungerecht, vorher ausstempeln zu müssen. Wer im Homeoffice bessere Konzepte als im Großraumbüro schreiben kann, der sollte diese Option in Anspruch nehmen dürfen. Und auch der Großkonzern, der aus Platzmangel alle seine Angestellten zwingt, zwei Tage pro Woche am heimischen Küchentisch zu arbeiten, macht mit dieser Freiheit lange nicht jeden Mitarbeiter glücklich.

Viele Arbeitgeber haben erkannt, dass Freiheit für ihre Mitarbeiter ein wichtiger Wert ist. Doch sie tun, was sie gern tun: Sie regeln es. Gleicher Freigang für alle! Wie im Gefängnis. Und für alle Kopfschüttler unter Ihnen, die jetzt gerade denken „Das funktioniert bei uns doch eh nicht!“ oder „Der Slaghuis hat leicht reden als Selbstständiger!“ – willkommen in Ihrem Gefängnis!

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Dr. Bernd Slaghuis
© Privat
Dr. Bernd Slaghuis

Ökonom, Karriere- und Business-Coach

für Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Dr. Bernd Slaghuis ist promovierter Ökonom, Systemischer Coach und Experte für neue Karrieren und gesunde Führung. In seiner Kölner Coaching-Praxis hat er sich auf Anliegen der Karriereplanung und beruflichen Neuorientierung sowie das Coaching von Führungskräften aus dem mittleren Management spezialisiert. Er schreibt in seinem Karriere-Blog „Perspektivwechsel“ über seine Sichtweisen auf Karriere, Bewerbung sowie Führung und hält zu diesen Themen deutschlandweit Vorträge und gibt Seminare.

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