Arbeiten in Zeiten von Corona: Homeoffice, sweet Homeoffice?

Millionen Menschen arbeiten derzeit von zu Hause aus. Das Konferieren und Kooperieren via Chat und Videokonferenz bietet riesige Chancen – hat aber auch Tücken. Wir zeigen, wie es richtig geht.

Homeoffice ist eine Entwicklungschance für Führungskräfte

Inga Höltmann
  • Was wir gerade erleben, ist eine Chance für die Wirtschaft und unsere Arbeit
  • Als Führungskraft sollten sie nun überprüfen: Kommunizieren Sie richtig?
  • Überprüfen Sie Ihre bisherigen Glaubenssätze und legen Sie klare Regeln fest

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Ja, ich habe mich entschieden, meinen Blick auf die Chancen und Vorteile dessen zu richten, was hierzulande gerade passiert. Und deshalb ist meine Botschaft: „Schlechte“ Zeiten sind gute Zeiten für New Work! Im Eiltempo setzen Unternehmen Veränderungen um, die vorher undenkbar erschienen, plötzlich sitzen Menschen im Homeoffice, denen zuvor mantraartig erzählt worden ist, dass das ja nicht möglich sei. Meetings werden ersatzlos gestrichen, und auf einmal finden Veranstaltungen virtuell statt, von denen wir uns das zuvor nicht vorstellen konnten.

Was wir gerade erleben, ist VUCA. Wer dieses Schlagwort noch nicht kennt – es setzt sich zusammen aus „volatility“ („Volatilität“), „uncertainty“ („Unsicherheit“), „complexity“ („Komplexität“) und „ambiguity“ („Mehrdeutigkeit“). VUCA bedeutet schlicht und ergreifend: Es treten jetzt Gegebenheiten ein, die in rasender Geschwindigkeit auf uns zugekommen sind, Umstände, die wir noch vor einem Jahr nicht haben kommen sehen, auf die wir uns nur sehr begrenzt vorbereiten konnten und die uns nun zwingen, rasch zu handeln. Das ist die Welt, in der wir uns heute bewegen.

Ich will hier keinesfalls eine Pandemie schönreden, sondern den Blick auf das richten, was uns in so einer Krise vielleicht ein wenig Mut und Hoffnung machen kann. Dazu gehört meiner Meinung nach, mit welchem Tempo wir Menschen in der Arbeitswelt auf diese Situation reagieren. Wie schnell wir Dinge umsetzen, wie unsere Köpfe rauchen und wie wir trotz räumlicher Trennung gemeinsam Lösungen ersinnen. Das zu sehen tut gut. Menschen ins Homeoffice zu schicken ist gerade eine Maßnahme, zu der viele Unternehmen greifen. Und auch wenn New Work natürlich viel mehr als das Homeoffice ist, so ist das doch ein gutes Experimentierfeld und ein wichtiger erster Schritt, sich der neuen Welt der Arbeit anzunähern.

Ich meine daher: Homeoffice ist eine Entwicklungschance! Nicht nur für die Mitarbeitenden, sondern vor allem auch für Führungskräfte.

Kommunikation in der Diaspora

Wenn die Mitarbeitenden und Kolleg/innen nicht mehr nonstop um einen herum sind und wenn man mal nicht eben zu ihnen rübergehen kann, dann ist das eine gute Gelegenheit, das eigene Führungsverhalten und vor allem auch das eigene Kommunikationsverhalten zu reflektieren.

Fragen Sie sich: Wie transparent bin ich in meiner Kommunikation? Habe ich auch die Kollegen und Kolleginnen im Kopf, die heute nicht da sind – weil sie krank sind, in Teilzeit arbeiten, in einem anderen Stockwerk sitzen? Bis vor Kurzem war „woanders arbeiten“ die Abweichung von der Norm. Wir waren es gewohnt, dass die Kolleg/innen um uns herum sitzen – viele Mitarbeiter/innen waren deshalb von relevanten Kommunikationsströmen abgeschnitten, wenn sie nicht vor Ort waren. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, sich das mal genauer anzuschauen: Welche Kommunikationskanäle gibt es bei uns im Unternehmen – und welche nutze ich denn eigentlich regelmäßig?

Aber der Check sollte auch andersherum ablaufen: Bin ich selbst gut ansprechbar? Viele Führungskräfte waren schon vor der Krise so von Meetings und Terminen absorbiert, dass sie immer unsichtbarer für ihre Mitarbeitenden wurden. Diese Gefahr nimmt nun noch zu. Daher sollten sich Führungskräfte fragen, wie sie mit ihren Kolleg/innen in der Diaspora in Kontakt und im Austausch bleiben wollen. Wie können sie das virtuelle Pendant einer offenen Tür sicherstellen? Ein erster Schritt kann sein, genau darüber mit seinen Mitarbeitenden zu sprechen: Was wünscht ihr euch? Was braucht ihr von mir? Wie kann ich euch unterstützen?

Eigene Glaubenssätze überprüfen

Jetzt ist auch ein guter Zeitpunkt, sich über eigene Glaubenssätze klar zu werden – gerade wenn es zuvor nur eine sehr beschränkte Homeofficeregelung gab. Oftmals steckt hinter „Das geht bei uns nicht“ eher „Wir wollen das nicht“ (denn dass es doch geht, sehen wir ja gerade). Und meistens gibt es auch gute Gründe, dass man das bisher nicht wollte – beziehungsweise vermeintlich gute Gründe.

Da kann es helfen, sich auf die Spur dieser Glaubenssätze zu machen und sie auf den Prüfstand zu stellen. Da kann die Warum-warum-warum-Technik helfen. Ein Beispiel:

  • Bei uns geht Homeoffice nicht, weil es mir wichtig ist, auch räumlich nah an meinen Mitarbeitenden zu sein.
  • Warum?
  • Weil es mir wichtig ist, auf dem Laufenden zu sein, woran genau sie arbeiten, und überprüfen zu können, wo sie stehen.
  • Warum?
  • Weil sich das in der Vergangenheit immer wieder als sinnvoll erwiesen hat, da auf dem Laufenden zu sein und gegebenenfalls korrigierend einzugreifen.
  • Warum?
  • Wenn ich nicht eng begleite, unterlaufen meinen Mitarbeitenden Fehler, und ich muss die dann geradebiegen.

Der Glaubenssatz hier scheint also zu sein, dass die Mitarbeitenden Fehler machen, wenn man sie nicht beaufsichtigt.

Und es kann auch gut sein, dass man diese Erfahrung in der Vergangenheit gemacht hat. Meiner Erfahrung nach gibt es aber viele Gründe, warum Fehler unterlaufen – und die Wahrscheinlichkeit, dass der Grund dafür ist, dass alle außer dem Chef unfähig sind, ist dann doch eher gering.

Fehler unterlaufen dann, wenn Prozesse nicht transparent niedergelegt sind, sodass man sich verlässlich an ihnen orientieren kann. Fehler unterlaufen, wenn sich Vorgaben regelmäßig ändern, aber niemand so genau weiß, was denn jetzt eigentlich der aktuelle Stand ist. Fehler unterlaufen, wenn Menschen nicht richtig eingearbeitet werden. Fehler unterlaufen, wenn Prozesse nicht genau definiert sind und jede/r sich seinen eigenen Weg suchen muss. Fehler unterlaufen, wenn Menschen überlastet sind und nach Abkürzungen suchen.

Es gibt also viele Gründe für Fehler oder Ungenauigkeiten – doch mehr Kontrolle ist meistens nur eine kosmetische Lösung. Dadurch dass Menschen ins Homeoffice gehen, entstehen diese Probleme nicht – sie treten nur klarer als Handlungsaufforderung zutage. Und das bringt mich zu meinem dritten Punkt:

Gemeinsam Homeofficeregeln besprechen

Führungskräfte sollten diese Gelegenheit nutzen, mit ihren Mitarbeitenden strukturiert zusammenzuarbeiten, auch wenn alle im Homeoffice sitzen: Geben Sie sich gemeinsam Regeln. Die technische Seite ist nur das eine, was für funktionierende Remote-Arbeit notwendig ist. Vor allem aber braucht es Kommunikation und Verständnis – und ein neues Set an gemeinsamen Regeln.

Machen Sie sich auf die Suche nach Antworten auf solche Fragen: Wann beginnen wir morgens mit der Arbeit? Wird von uns erwartet, zu einem bestimmten Zeitpunkt mit der Arbeit zu beginnen, oder sind wir da flexibel? Wie schnell sollten wir auf Mails antworten? Ist es auch okay, sich mal zwei Stunden rauszuziehen und nicht erreichbar zu sein, um ganz konzentriert arbeiten zu können? Solche Fragen sollten wir uns stellen, wenn die gewohnte Struktur aus dem Büro wegfällt. Es ist wichtig, auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu schauen und mit ihnen zusammen herauszufinden, was sie brauchen.

Als Führungskraft sollte man diese Regeln aber nicht vorgeben. Ich empfehle, sie stattdessen gemeinsam im Team zu erarbeiten, sie auszutesten und dann in Iterationen zu gehen. So kann es durchaus passieren, dass unterschiedliche Teams derselben Organisation sich unterschiedliche Vereinbarungen geben – und auch das kann vollkommen richtig sein.

Vor allem: Bitte ersetzen Sie nicht jedes Meeting, das Sie vorher hatten, durch eine Telko! Jetzt ist eine gute Gelegenheit, Meetings und Telkos zu streichen und zu gucken, welche tatsächlich fehlen. Und sich gleichzeitig zu überlegen: Wie können wir all die anderen Interaktionen ersetzen, die kurzen Schnacks in der Teeküche, sodass sich niemand im Homeoffice einsam fühlt? Da kann vielleicht schon ein Slack-Channel reichen oder jeden Morgen ein kurzes Telefonat mit der Lieblingskollegin. Die momentanen Umstände zwingen uns, kreativ zu werden – und genau darin stecken viele Chancen.

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Inga Höltmann
© Inga Höltmann
Inga Höltmann

Journalistin und Gründerin, Accelerate Academy

Inga Höltmann ist Gründerin der Accelerate Academy, einer Plattform für neues Arbeiten und neues Lernen, und Macherin der „New Work Masterclass“, ein digitales Format für Organisationsentwicklung. Sie ist außerdem Wirtschaftsjournalistin und bekannt für ihren Newsletter und ihren Podcast „#FutureofWork“.

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