Fachkräftemangel – Mythos oder Mega-Problem?

Zu wenig junge Talente, zu wenig erfahrene Spezialisten: Das ist angeblich eine der größten Herausforderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Aber stimmt das überhaupt?

Lars Hahn
  • Es mangelt uns nicht etwa an Fachkräften, sondern es mangelt den Fachkräften
  • Denn: Unser Bildungssystem ist für die Digitalisierung nicht gut genug gerüstet
  • Damit wir zukunftsfähig bleiben, ist selbstbestimmtes Lernen wichtiger denn je

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Die einen sprechen unerbittlich vom Fachkräftemangel. Vom Untergang des Wirtschaftsstandorts Deutschland, weil uns in den nächsten Jahren wahlweise 3,5 Millionen, 6 Millionen oder 2 Millionen Fachkräfte bis 2020, 2030 oder gar 2050 fehlten.

Dann gibt es da die Untergangspropheten der anderen Seite: Sie sagen das Ende der Arbeit voraus. Im Schatten der Digitalisierung aller Wirtschaftsbranchen und Lebensbereiche werde die von Menschen getätigte Arbeit stark zurückgehen. Ganze Berufszweige würden in naher Zukunft verschwinden. Insgesamt bis zu 56 Prozent aller Arbeitsplätze seien durch die Digitalisierung vom Wegfall bedroht.

Die Bevölkerung wird in die Irre geführt

Beide Szenarien – Fachkräftemangel und Ende der Arbeit – haben gemeinsam, dass sie mit den Ängsten von Bevölkerung und Unternehmern spielen und die Menschen verunsichern. Unterhaltsamerweise beim gleichen Thema mit völlig entgegengesetzten Ergebnissen: Entweder geht Deutschland im internationalen Wettbewerb unter, weil wir nicht genügend Arbeitskräfte haben. Oder wir sind dem Untergang geweiht, weil wir für die vorhandenen Arbeitskräfte nicht genügend Arbeit haben.

Natürlich kann man entsprechende Szenarien immer in der aktuellen Realität belegen: So finden viele Unternehmen immer schwieriger genau diejenigen Fachkräfte, die sie benötigen. In manchen Branchen, wie dem Pflegebereich oder der Gastronomiebranche, gibt es in der Tat zu wenige Arbeitskräfte.

Die Szenarien hinken

Gleichzeitig werden ganze Branchen komplett umgekrempelt. Man erlebt, dass im Medienbereich, im Bankenwesen und im Handel durch Digitalisierung und E-Commerce unzählige Arbeitsplätze wegfallen, und ahnt, dass dies zukünftig auch in anderen Bereichen geschehen könnte. Indessen: Schaut man genauer hin, hinken beide Szenarien hinsichtlich der Kausalitäten.

Zu wenige Arbeitskräfte sind möglicherweise kein Problem der Zahl, sondern werden bisweilen durch – nennen wir es mal – verbesserungsfähige Arbeitsbedingungen verursacht. Der Wegfall von Arbeitsplätzen im Handel und im Medienbereich geht möglicherweise mit der gleichzeitigen Schaffung neuer Arbeitsplätze in zehn Jahre vorher unbekannten Geschäftsfeldern einher.

Die Digitalisierung frisst und schafft Arbeitsplätze

Das diversen Urhebern zugeschriebene Zitat „Alles, was digitalisiert werden kann, wird auch digitalisiert“ wird unsere Wirtschaft und Arbeitswelt in den nächsten Jahren bestimmen. Und zwar selbst dort, wo wir es vielleicht bisher nicht vermuten. Einige Buzzwords? Vernetzung, Industrie 4.0, künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Smart Health. Die Digitalisierung wird einerseits dazu führen, dass völlig neue Berufsfelder und Arbeitsplätze entstehen. Wir werden erleben, dass durch Innovationen spannende Jobs in Bereichen entstehen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Also nix mit dem globalen „Ende der Arbeit“!

Die Digitalisierung wird andererseits dazu führen, dass Roboter oder die künstliche Intelligenz so manche Tätigkeiten viel effizienter tun können, die heute noch durch Menschenhand oder Menschenhirn ausgeführt werden. Dort, wo Arbeitskräfte fehlen, wird Innovation alternative Lösungen schaffen. Also auch nix mit globalem Fachkräftemangel!

Digitalisierung: Qualifizierung tut not!

Unterdessen ist es eine Binsenweisheit, dass wir digitale Bildung und Qualifizierung benötigen. Immer mehr einfach qualifizierte Jobs werden wegfallen. Die Zukunft im Zeichen fortschreitender Digitalisierung gilt den hoch qualifizierten Tätigkeiten, bei denen oft Fähigkeiten und nicht mehr das Wissen im Vordergrund stehen. Und darin liegt bisher der Haken: Unser Bildungssystem ist dafür nicht ausgelegt.

Ein Thema wie Digitalisierung wird im Bildungswesen bisweilen durch Smartphone-Paranoiker sabotiert. Digital-, Medien- und damit Zukunftskompetenz wird per Zufall oder gar nicht generiert. Dabei geht es bei der Digitalisierung in erster Linie gar nicht um das Erlernen der Nutzung von Smartphone oder Tablet. Es geht um den Umgang mit Komplexität, rasanter Dynamik und weltweiter Vernetzung. Allerdings sind immer noch viele Lehrpläne in Schulen, Universitäten und Weiterbildungen stark wissensorientiert. Man lernt für die nächste Prüfung und weniger fürs Leben. Und somit gibt es doch so etwas wie einen Mangel. Jedoch: Es mangelt nicht an Fachkräften, es mangelt den Fachkräften!


Lars Hahn ist einer von über 100 XING Branchen-Insidern, die ab sofort regelmäßig ihre persönlichen Einsichten mit den mehr als 10 Millionen XING Mitgliedern teilen. Sie können ihm und weiteren XING Branchen-Insidern hier folgen, um keinen der Beiträge mehr zu verpassen.

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Lars Hahn
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Lars Hahn

Geschäftsführer und Karriereberater, LVQ Weiterbildung gGmbH

für Weiterbildung, Digitalisierung, Arbeitsmarkt

Lars Hahn ist Geschäftsführer der LVQ Weiterbildung gGmbH und Karriereberater. Der Diplom-Pädagoge beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Bildungsmanagement in der beruflichen Weiterbildung und mit Trends und Entwicklungen des Arbeitsmarktes. Als Corporate-Blogger veröffentlicht Lars Hahn regelmäßig Beiträge über Digitalisierung und die Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Karriere.

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