Vollzeitmutter: Verkannter Traumjob oder altmodisches Rollenmodell?

Während die Politik über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf debattiert, entscheiden sich immer mehr Frauen für einen anderen Weg: Sie bleiben bewusst zu Hause – und werden dafür oft kritisiert.

Ich bin Vollzeitmutter und will mich nicht entschuldigen

Noémi Schrodt
  • Entscheidet man sich gegen seinen Beruf, gilt man schnell als unemanzipiert
  • Das öffentliche Bild einer Vollzeitmutter ist noch immer sehr klischeebehaftet
  • Dabei ist selbstbestimmt, wer sein Leben nach seinen Wünschen gestaltet

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Ich bin studierte Pianistin und Musikpädagogin. Ich lebe in einer modernen, gleichberechtigten Partnerschaft, bin vielseitig interessiert und alles andere als konservativ. Ich bin Mutter eines einjährigen Kindes und momentan wieder schwanger. So weit, so gewöhnlich für eine Großstädterin in meinem Alter.

Allerdings habe ich mich zu einem Schritt entschlossen, für den man sich als junge Frau heute nahezu rechtfertigen muss – ich möchte meine Kinder bis zum vierten Lebensjahr zu Hause betreuen. Ich bin damit Vollzeitmutter, mein Mann verdient das Geld. Und genau das ist ein Problem. Nicht für mich, da ich schlicht und ergreifend sehr glücklich mit diesem Lebensmodell bin. Auch nicht für meinen Mann, mit dem ich diesen Entschluss gemeinsam trage. Sondern für viele Menschen, für die ich irgendwie nicht so recht ins Bild einer modernen Frau und Mutter zu passen scheine.

Wir verzichten auf Vieles, aber nicht auf Zeit mit unseren Kindern

Immer wieder höre ich Fragen wie: „Und wann kommt dein Kind in die Kita?“. Oder auch Bemerkungen wie: „Na ja, wenn du es dir leisten kannst, nicht arbeiten zu gehen …“. Natürlich habe ich das Glück, dass ich nicht alleinerziehend bin. Dass ich nicht in einem Beruf arbeite, in dem ich schnell den Anschluss verpasse. Trotzdem verfügen mein Mann und ich über ein durchschnittliches Haushaltseinkommen. Wir verzichten auf viele Dinge, um bei einem keine Abstriche machen zu müssen – bei der Zeit für unsere Kinder.

Ich habe mich entschieden, ganz für meine Kinder da zu sein. Ein sehr persönlicher Entschluss, den jeder für sich fassen muss. Während vor einigen Jahren die Mutter, die rasch wieder ihre Arbeit aufnahm, als Rabenmutter beschimpft wurde, stehen plötzlich Frauen wie ich auf der falschen Seite. „Das Comeback der Hausfrau“ titelte der „Spiegel“ neulich – und bringt allein mit dieser Wortwahl auf den Punkt, was in dieser Debatte im Argen liegt. Seit wann ist es eigentlich spießig, altmodisch und konservativ, Mutter zu sein? Und warum impliziert man noch immer Dauerwelle und Sonntagsbraten mit einer Frau, die nicht zwischen Kita und Karriere hin- und herpendeln will? Warum nur hat die Mutterschaft einen derart negativen Beigeschmack bekommen?

Die Freiheit der Entscheidung soll jedem selbst überlassen sein

Es scheint mit einmal das Abstruseste der Welt, als Mutter die ersten Lebensjahre seines Kindes mit diesem verbringen zu wollen. Politiker, Chefs, Kollegen, Freunde, sie alle mahnen und kritisieren, sprechen von „vergeudetem Potenzial“, wenn eine Mutter länger als nur ein Jahr mit ihrem Kind zu Hause bleibt – und geben mit Begriffen wie „Herdprämie“ der öffentlichen Debatte einen Beigeschmack, der mehr als fragwürdig ist.

Ich möchte mir nicht vorschreiben lassen, wie ich mein Leben zu gestalten habe. Wann ich wieder arbeiten sollte. Wie ich meine Kinder großziehe. Das ist in meiner Vorstellung wenig modern und selbstbestimmt. Es ist nicht altbacken, unemanzipiert oder egoistisch, wenn man genau das tut, was man wirklich will – und sich für sein Kind entscheidet. Ich möchte anderen Müttern Mut machen. Wer sich als Vollzeitmutter definiert, ob für eine beschränkte Zeit oder dauerhaft, der soll dafür genauso anerkannt werden wie jene Mütter, die rasch wieder in ihren Beruf zurückkehren. Dazu gehört für mich auch eine gleichwertige Entlohnung von Erziehungsarbeit zu Hause und staatlicher Kinderbetreuung.

Wir Frauen haben heutzutage die große Chance, frei wie nie unser Leben gestalten zu können. Lasst uns sie auch nutzen!

Veröffentlicht:

Noémi Schrodt
© Privat
Noémi Schrodt

Vollzeitmutter und Publizistin

Noémi Schrodt (Jg. 1986) lebt seit 2013 in Berlin. Sie studierte Klavier und Musikpädagogik in Bremen. Nach einigen Jahren gern gelebter Berufstätigkeit als Musiklehrerin widmet sie sich jetzt für mindestens ein Jahrzehnt ebenso leidenschaftlich rund um die Uhr ihrer Familie. Seit 2015 publiziert sie gemeinsam mit der Vollzeitmutter Helena von Hutten Online-Artikel zum Thema „Selbstbestimmte Mutterschaft heute“ und „Mehr Rechte für Kinder“.

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