Wirtschaftswunder China – Sind wir zu naiv gewesen?

Für China galt sehr lange nur „höher, schneller, weiter“. Doch auf einmal lahmt die Konjunktur; die Nervosität bei Exporteuren und Anlegern steigt. Was können wir von China künftig noch erwarten?

Ich erlebe die Krise als absurdes Theater

Henrik Bork

Unternehmer in Peking

Henrik Bork
  • Im Alltag bekommen wir in China von Problemen wenig zu spüren
  • Viele Branchen, wie E-Commerce oder Tourismus, boomen sogar
  • Wirklich schwierig wird es, wenn die Schuldenblase platzen sollte

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Wie erlebt ein Unternehmer in Peking die „Krise der chinesischen Wirtschaft“, von der zurzeit die Rede ist? Meine Antwort: als absurdes Theater.

Ein typischer Herbstmorgen in Peking. Ich lese in den Zeitungen und online von der „Abkühlung der chinesischen Wirtschaft“. Von den jüngsten Börsentumulten in Schanghai. Das Wort „Crash“ springt mir ins Gesicht. Die Abwertung des chinesischen Renminbi, die vergeblichen Versuche der Pekinger Führung, die Währung zu stützen. Ob nun die „fetten Jahre“ in China vorbei seien und Gefahren für die gesamte Weltwirtschaft drohten, lautet die Frage.

Noch immer streben viele chinesische Firmen an die Börse

Dann lege ich die Zeitung beiseite, lese meine E-Mails und Nachrichten im chinesischen Netzwerk Wechat, wende mich also meiner Arbeit als Unternehmensberater und Vermittler von Luxusreisen zu. Ein chinesischer Kunde hat mir das Foto seines neuen Range Rovers geschickt. In der Garage hat der gerade noch Platz gefunden, neben der Rolls-Royce-Sammlung. Eine andere Kundin bittet um Fotos von unserem Flug im Heißluftballon über die Toskana.

Alle Chinesen, so scheint es an manchen Tagen, wollen ihre Firmen an die Börse bringen oder haben es schon geschafft. Auch die Löhne unserer Angestellten steigen immer weiter – nicht gerade ein Zeichen für eine implodierende Volkswirtschaft. Wie passt all das zu den Nachrichten vom Niedergang der chinesischen Wirtschaft? Klingt absurd, nicht wahr?

In Ostchina sieht die Welt anders aus

Und doch: Das ist ja gerade die Falle, in die viele ausländische Unternehmer in China so oft tappen – den eigenen beschränkten Blickwinkel mit dem Gesamtbild zu verwechseln. Dann schimpfen sie auf die Journalisten, die angeblich überall nur Krisen wittern. Tatsache ist, dass Chinas Wirtschaft insgesamt deutlich langsamer wächst als bisher, während bestimmte Branchen – wie zum Beispiel E-Commerce oder die Reisebranche – nach wie vor einen Boom erleben.

Auf Fahrten durch das Jangtse-Delta in Ostchina kann man derzeit riesige Stapel unverkaufter Holzbretter sehen. Die Nachfrage nach Immobilien ist eingebrochen, daher werden auch keine Möbel gebraucht. Möbelfirmen gehen zu Tausenden pleite, das Holz verrottet in den Lagern. Ganze Zweige der chinesischen Wirtschaft, ganz besonders die Stahlindustrie oder die Baubranche, haben schwer zu kämpfen.

Das Land ächzt unter einem hohen Schuldenberg

Der Kursrutsch an der Börse in Schanghai war hingegen nur eine Korrektur – kein Crash. Auch die Abwertung des Renminbi fiel moderat aus, nach Jahren kräftiger Aufwertung im Vergleich zum Dollar. Die wirklichen Gefahren für Chinas Wirtschaft hingegen werden in der aktuellen Debatte nur selten angesprochen: Chinas Volkswirtschaft ist nach Jahren hoch dosierter Konjunkturspritzen schwer verschuldet, hat also reale Probleme. Die Regierung verwaltet eine selbst geschaffene Blase, die irgendwann tatsächlich platzen könnte.

Teil des absurden Theaters ist es also, dass wir uns gern die falschen Themen aussuchen, um uns über China aufzuregen. Mein persönliches Fazit, ohne Gewähr und Anspruch auf absolute Gültigkeit: Zurzeit wächst China ein wenig langsamer, ein wenig organischer als bisher, aber es gibt keinen Grund zu übertriebener Sorge. Langfristig aber drohen wirkliche Gefahren – vor allem wegen der immensen Staatsverschuldung. Jedes gute Theaterstück hat eben mehrere Akte.

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Henrik Bork
© Henrik Bork
Henrik Bork

Unternehmer in Peking

Henrik Bork (Jg. 1962) lebt seit mehr als zwei Jahrzehnten in China. Der Absolvent der Henri-Nannen-Schule war elf Jahre lang Asienkorrespondent der „Süddeutschen Zeitung“. 2012 hat er sich in Peking mit der Unternehmensberatung Asia Waypoint selbstständig gemacht, die Investoren berät. Gemeinsam mit seiner chinesischen Frau hat er außerdem das Internet-Start-up Lychee.com gegründet, das Webseiten für Online-Buchungen von Luxushotels baut, unter anderem für Mastercard und Condé Nast Traveller in China.

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