Politik ja, Partei nein: Wie politikverdrossen sind wir Bürger?

Viele würden sich kaum noch für Politik interessieren, klagen Experten und Politiker. Doch zeigen aktuelle Befragungen: Es mangelt nicht an Engagement, sondern an der Identifikation mit den Parteien.

In Deutschland herrscht eine Alte-Säcke-Politik

Wolfgang Gründinger
  • Die Älteren drücken den Jüngeren oft ihre Gesellschaftsvorstellungen auf
  • Darum sollten unter 18-Jährige ein Wahlrecht erhalten, wie alle anderen auch
  • Wir brauchen ein Mehr an Solidarität der Generationen – kein Weniger

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Es war ein Schlag ins Gesicht: Bei der Abstimmung über den Verbleib Großbritanniens in der EU haben die Alten der jungen Generation ihre Meinung diktiert. 71 Prozent der unter 25-Jährigen stimmten für den Verbleib in der EU – in krassem Gegensatz zu den Alten über 65, die zu 64 Prozent für den Austritt stimmten.

Im Gegensatz zu den Aussagen vieler Medienberichte war die Wahlbeteiligung der Jungen beim Brexit-Votum übrigens nur leicht unterdurchschnittlich, knapp zwei Drittel der 18- bis 24-Jährigen waren abstimmen. Aber selbst wenn 100 Prozent ihre Stimme abgegeben hätten – das Ergebnis wäre unverändert geblieben. Gegen die Übermacht der Alten kommen die wenigen Jungen einfach nicht an.

Was die Jungen wollen und die Alten bestimmen

Konflikte zwischen Alt und Jung gibt es, seit es Menschen gibt. Das historische Unikum aber ist: Heute sind die Alten so viele wie nie zuvor. In den westlichen Ländern ist ungefähr jeder dritte Wähler schon jetzt über 60, und in einer Demokratie übersetzt sich Masse in Macht. Wenn das Wahlvolk älter wird, dann geht das an der Politik nicht spurlos vorüber.

Der Brexit ist nicht der erste Fall von Alte-Säcke-Politik. Nehmen wir das Referendum in Irland 2015 über die Ehe für alle. Dort stimmten rund 90 Prozent der 18- bis 24-Jährigen für die Ehe für alle, aber nicht einmal die Hälfte der Generation 65 plus. Die Jungen konnten sich dennoch durchsetzen, weil Irland die jüngste Bevölkerung Europas hat – mit einem Medianalter von 36,0 Jahren, während Deutschland mit einem Medianalter von 45,6 Jahren die älteste Bevölkerung Europas hat.

Bei einer Mitgliederbefragung des CDU-Landesverbands Berlin im Jahr 2015 stimmten zwei Drittel der CDU-Mitglieder über 65 gegen die Ehe für alle, aber zwei Drittel der unter 30-Jährigen dafür. Die Jungen wollten eine andere Politik, aber die Alten waren in der Überzahl.

Die Alten sind in ihrer großen Mehrheit weniger liberal, weniger tolerant und weniger weltoffen. Zwei Drittel der Älteren glauben, der Islam sei eine Bedrohung und passe nicht in die westliche Welt – ganz anders als die Jüngeren.

Politik von Alten für Alte

Auch bei anderen Fragen, wo Werte und Weltanschauungen oder auch ökonomische Interessen zur Verhandlung stehen, gibt es handfeste Konflikte zwischen den Generationen. Eine ganze Reihe an Volksabstimmungen, beispielsweise über öffentliche Kinderbetreuung in der Schweiz oder über die Abschaffung der Wehrpflicht in Österreich, scheiterte am Veto der Alten.

Im sich ankündigenden Bundestagswahlkampf kristallisiert sich – wieder einmal – die Rente als eines der zentralen Themen heraus. Kinderarmut war noch nie Wahlkampfthema. Es gibt Talkshows zu Altersarmut, aber nicht zu Kinderarmut. Es gibt Rentenpakete, aber keine Kinderpakete.

Die Jungen werden es allein nicht schaffen

Eine Antwort darauf muss sein, dass auch die Jungen endlich eine Stimme bekommen. Die Jugendlichen unter 18 Jahren müssen ein Wahlrecht erhalten wie alle anderen auch.

Wir brauchen die Stimme der jungen Generation: in den Parteien, Parlamenten, Gewerkschaften, Beiräten und Kommissionen – an jedem Verhandlungstisch. Die Jugend muss beteiligt werden, wenn es um ihre Zukunft geht. In Irland gab es eine „Ring Your Granny“-Kampagne. Junge Leute riefen ihre Großeltern an, um sie zu überzeugen, beim Referendum für die Ehe für alle zu stimmen. Immerhin haben einige auf ihre Enkelkinder gehört.

Allein können es die Jungen nicht schaffen. Sie brauchen die Alten als einen mächtigen Bündnispartner. Deswegen ist ein Mehr an Solidarität der Generationen gefragt – kein Weniger.

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Wolfgang Gründinger
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Wolfgang Gründinger

Generationenforscher und Autor

Wolfgang Gründinger (Jg. 1984) ist Zukunftslobbyist, Autor und Digitalexperte. Er ist im Vorstand der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, European Digital Leader des World Economic Forum, assoziiertes Mitglied im Think Tank 30 des Club of Rome und im Vorstand des SPD-Forums Netzpolitik. Gründinger ist Autor des Buches „Alte Säcke Politik. Wie wir unsere Zukunft verspielen“.

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