Elternzeit: Kind da, Job weg?

Kehren Mütter oder Väter aus der Elternzeit zurück, landen vor allem Frauen oft in der „Teilzeitfalle“. Ein gesetzliches Rückkehrrecht soll dieses Schicksal beenden. Doch noch ist es nicht umgesetzt.

Kinderlose wie ich sind die neuen Sündenböcke der Nation

Kerstin Herrnkind

Autorin und Reporterin, Stern

Kerstin Herrnkind
  • Ich habe keine Kinder. Deshalb werde ich beschimpft
  • Dass ich brav Steuern zahle und mich an Gesetze halte, reicht nicht
  • Frauen sollen dem Land Kinder schenken - und zahlen dafür die Zeche

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Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle? Ich bin eine „Sozialschmarotzerin“. Meine Arbeitswoche hat in der Regel mehr als 40 Stunden. Fast die Hälfte meines Gehalts überlasse ich dem Staat an Steuern. Selbstredend füttere ich als angestellte Redakteurin Rentenkasse und Arbeitslosenversicherung. Die Pflegeversicherung kriegt von mir einen Extrazuschlag. Und als freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung zahle ich Monat für Monat ein paar Hundert Euro. Klar, als Privatpatientin würde ich viel Geld sparen. Aber ein Wechsel kommt für mich nicht infrage. Warum nicht? Ich bin eine Anhängerin des Solidarprinzips. Nun zahle ich auch dafür, dass Kinder über ihre Eltern mitversichert sind. Und zwar gern. Aus voller Überzeugung.

Ich hatte bislang auch das große Glück, nicht einen Tag meines nun schon über ein halbes Jahrhundert währenden Lebens auf staatliche Leistungen angewiesen zu sein. Keinen Cent Arbeitslosengeld, Wohngeld, geschweige denn Sozialhilfe oder Hartz IV, wie es heute heißt.

Warum ich keine Mutter bin? Ich habe mich nicht getraut

Noch was? Ach ja, mein Bundeszentralregisterauszug ist rein wie mein Gewissen. Nie habe ich mir etwas zuschulden kommen lassen. Gott, was für eine Streberin, denken Sie jetzt vielleicht. Doch da täuschen Sie sich gewaltig. Die Leute beschimpfen mich als „egoistisch“, „karrieregeil“, „nicht normal“, „schamlos“, „asozial“, „gefühllos“, um nur einige Adjektive zu nennen. Dass ich brav meine Steuern zahle und mich an Gesetze halte, reicht nicht. Es gibt Leute, die mir elementare Rechte streitig machen wollen. Mich zur Wählerin zweiter Klasse degradieren. Und vom Arbeitsmarkt verdrängen. Mir die Rente kürzen. Oder am besten gleich ganz streichen. Warum? Weil ich dem Land kein Kind geschenkt habe.

Ich bin eine typische Kinderlose. 1965 in Westdeutschland geboren. Mein Ausbildungsweg war lang. Etwa 20 Prozent der Frauen, die zwischen 1959 und 1968 geboren und gut ausgebildet sind, haben keine Kinder. Frauen wie ich haben, ohne es zu wollen, einen stillen Gebärstreik angezettelt. Warum ich nicht Mutter geworden bin? Die Antwort ist schlicht: Ich habe mich nicht getraut.

Kinder sind ein Karriererisiko für Frauen – immer noch

Politiker und Politikerinnen in diesem Land wollen, dass Frauen mehr Kinder kriegen. Doch wehe, Frauen lassen sich darauf ein. Überall lauern Fallen, die zuschnappen können: die Elternzeitfalle, die Frauen, wenn es schlecht läuft, aus dem Job katapultiert. Die Teilzeitfalle, in der Frauen ihre Stundenzahl nicht wieder aufstocken können, weil die Chefs nicht mitspielen. Die Armutsfalle, wenn sie ihr Kind allein durchbringen müssen. Alle zusammen werden sie zur Rentenfalle, und daran wird auch die Mütterrente nichts ändern. Wenn sie erst mal Kinder haben, lässt die Politik Frauen im Stich. Vater Staat verrät seine Töchter.

Denn anders als für Männer ist das Kinderkriegen für Frauen in diesem Land ein Hochrisikogeschäft. „Kinder sind in Deutschland nach wie vor ein Risiko fürs Berufsleben von Frauen“, schreibt Jutta Allmendinger, eine der bekanntesten Soziologinnen Deutschlands, in ihrem Buch „Verschenkte Potenziale? Lebensverläufe nicht erwerbstätiger Frauen“. Frauen vor diesem Hintergrund vorzuhalten, dass sie sich gegen Nachwuchs entscheiden, ist gelinde gesagt eine Unverschämtheit.

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Kerstin Herrnkind
© Herrnkind
Kerstin Herrnkind

Autorin und Reporterin, Stern

Kerstin Herrnkind (Jg. 1965) ist Journalistin und Autorin des Buches „Vögeln fürs Vaterland? Nein danke! Bekenntnisse einer Kinderlosen“, das gerade im Westend Verlag erschienen ist. Sie wurde in Bremen geboren und arbeitet seit 1999 beim „Stern“. 2016 wurde sie mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet.

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