„Sorry, bin total im Stress“: Wie verändert uns permanente Belastung?

Überstunden ohne Ende, Ärger mit dem Partner und kranke Kinder daheim: Stress bestimmt den Alltag vieler. Doch während manche Menschen unter ihm leiden, kommen andere ohne Druck gar nicht aus.

Leistungsdruck vernichtet den Unternehmenserfolg

Dr. Daniel Hunold
  • Hohe Arbeitsbelastung und enge Deadlines führen zu Blockaden im Gehirn
  • Lösungen für neuartige Probleme entstehen nur in druckfreien Situationen
  • Sie können sich diese Situationen selbst schaffen

17.432 Reaktionen

Ohne Druck, Überwachung und Sanktionen machen Mitarbeiter wie Sie doch, was sie wollen. Sie nutzen die Gutmütigkeit des Vorgesetzten aus. Daher brauchen Sie Druck, um in die Gänge zu kommen. Der Unternehmenserfolg muss gesichert werden. – Klingt erst einmal logisch, oder?

Eine neue Situation

Was über Jahrhunderte funktionierte, klappt bloß heutzutage nicht mehr. Die Komplexität der Arbeit hat sich in den vergangenen Jahrzehnten massiv verändert. Früher dachte eine einzige Person für die gesamte Belegschaft, die dann die Tätigkeiten ausführte.

Heute treten bei den meisten Berufen täglich neue, unvorhergesehene Probleme auf, für die keine vorgefertigte Lösungsschablone existiert. Jeder Tag bringt neue Herausforderungen, die individuell zu meistern sind – und das oft in kürzester Zeit, mit wenig Ressourcen, aber unter höchsten Erwartungen. Und die Lage bessert sich auf absehbare Zeit nicht.

Die Folgen des Leistungsdrucks

Das Problem ist bloß: Wenn wir unter massiven Erfolgsdruck gesetzt werden, schaltet sich unser Überlebensmodus ein. In diesem Zustand fokussiert sich unser Verstand maximal auf die Bändigung einer vermeintlichen Gefahr: Wir sind bereit zum Kampf. Wir greifen instinktiv auf Überlebensstrategien zurück – und verlieren uns dabei ungewollt in der modernen Arbeitswelt. Denn im Überlebensmodus schaltet das Gehirn unsere Zentren für Lernen und Kreativität ab. Das aber sind genau die Kapazitäten, die wir brauchen, um neuartige Probleme zu lösen.

In der Folge wird in Drucksituationen zu lange an Altbewährtem festgehalten. Wir verdoppeln unseren Einsatz. Der Unternehmenserfolg verlangt ja Ergebnisse, Ergebnisse, Ergebnisse. Doch die stellen sich nicht ein. Jetzt gehen uns auch noch die genialen Ideen aus – und das Gefühl der Hilflosigkeit breitet sich aus. Zusätzlich zum Druck von oben setzen wir uns selbst unter Druck. Wir ziehen unseren Selbstwert aus der Arbeit und wollen niemanden enttäuschen. Dummerweise ignorieren wir gerade, dass wir schon längst an unserer Kapazitätsgrenze arbeiten. Egal. Wir machen trotzdem weiter wie bisher. Die Folge: unternehmerischer Misserfolg und Burn-out.

Druckfrei zu genialen Lösungen

Angenommen, wir nähmen den Druck aus der Gleichung heraus. Was würde in unserem Kopf passieren?

Ein anderer Modus wird im Gehirn möglich. Neurowissenschaftler nennen ihn „Diffused Mode“. Ein druckfreier Zustand, in dem das Gehirn anfängt, frei zu assoziieren. Ein Problem schwirrt frei, ohne unser Zutun, in unserem Kopf herum. Alles, was wir bisher kennen, wird mit dem Problem in Verbindung gebracht, bis eine geniale Idee wie aus dem Nichts erscheint. Bei meiner Doktorarbeit entstanden die besten Ideen bei meinen fest eingeplanten täglichen 30-minütigen Spaziergängen. Im Büro wäre ich wegen des Termindrucks nie darauf gekommen. Ich musste mich zuerst vom Druck befreien.

Ein weiteres Beispiel, das Sie bestimmt kennen: Sie sind abends kurz vor dem Einschlafen und – zack! – fällt Ihnen eine geniale Lösung ein. Doch die ist hier fehl am Platz, das ist ja Ihr Privatleben. Falls Ihnen das passieren sollte, empfiehlt es sich, immer einen Block neben dem Bett zu haben. Kurz notieren, wieder vergessen und in den verdienten Schlaf eintauchen.

Während der Arbeitszeit Probleme lösen

Den Königsweg stellt die Schaffung von Freiräumen während der Arbeitszeit dar. Jede Aktivität, die wenig anspruchsvoll und nicht auf Leistung ausgerichtet ist, wirkt drucklösend und führt zum freien Assoziieren. Neben dem 30-Minuten-Spaziergang passen auch andere Tätigkeiten wie Yoga, Jonglieren, das Spielen eines bekannten Stücks auf einem erlernten Instrument oder Fahrrad fahren. Die physische Bewegung belebt und entspannt das Gehirn gleichzeitig.

Lernen Sie, den Stress anfänglich für kurze Zeit auszublenden. Nach den ersten Erfolgserlebnissen werden Sie mit dem Druck genauso entspannt umgehen wie ich. Nehmen Sie sich jetzt mehr und mehr druckfreie Räume, um Ihre Kreativität aktiv zu fördern. Sie können diese Freiräume sogar von Ihrem Vorgesetzten fordern, denn Sie tragen jetzt mehr zum Unternehmenserfolg bei als zuvor.


Der Autor ist auch Speaker auf der New Work Session, die morgen, am 4.Juni, in der SchücoArena in Bielefeld stattfindet. Das Thema der XING-Veranstaltung lautet “Innovationskultur - New Work als Motor für neues Arbeiten in der Region”. Programm, Vorabend-Events, Speakerliste und Link zum Ticketverkauf finden Sie hier.

Veröffentlicht:

Dr. Daniel Hunold
© Daniel Hunold
Dr. Daniel Hunold

Dozent, Speaker und Social-Media-Unternehmer

Daniel Hunold, (Jg. 1985) ist promovierter Betriebswirt. Er arbeitet als Dozent, Speaker und Social-Media-Unternehmer. Mit seinem Youtube-Kanal „Motiviert Studiert“, seinem gleichnamigen Blog und als Gastautor bei Stern.de spricht er vor allem die Generation XYZ an. Thematischer Schwerpunkt sind Lernfreude, Leistungsdruck und wie man mit diesen Herausforderungen richtig umgeht. Als Dozent wurde ihm 2015 der Preis für hervorragende Lehre von der Universität Greifswald verliehen.

Mehr anzeigen

Werd kostenlos XING Mitglied, um regelmäßig Klartext-Debatten zu aktuellen Themen zu lesen.

Als XING Mitglied gehörst Du zu einer Gemeinschaft von über 21 Mio. Berufstätigen allein im deutschsprachigen Raum. Du bekommst außerdem ein kostenloses Profil, spannende Fach-News und passende Job-Vorschläge.

Mehr erfahren