Trend #6 – Robo-Recruiting: Stellen uns künftig Maschinen ein?

87 Prozent der von XING befragten Personaler rechnen damit, dass künstliche Intelligenz in 15 Jahren eine wesentliche Rolle spielt. Wer trifft bessere Personalentscheidungen: Mensch oder Maschine?

Menschen sollten über Menschen entscheiden

Dr. Bernd Slaghuis
  • Algorithmen und KI schützen noch nicht vor der Diskriminierung von Bewerbern
  • Neue Technologie ist keine Erlaubnis, Verantwortung als Mensch abzugeben
  • Nur wer als Recruiter echtes Interesse an Menschen hat, macht einen guten Job

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Matching-Apps, Cultural-Fit-Analysen, Interviewbots: Die Digitalisierung hat längst auch die Spielwiesen von HR-Abteilungen erobert: Bewerbungen werden von Software durchleuchtet und mit Schlüsselbegriffen abgeglichen; der Interviewroboter erstellt aus Wortwahl und Stimmmelodie eines Bewerbers ein exaktes Persönlichkeitsprofil; Analysen von Big Data ermitteln die Wahrscheinlichkeit dafür, ob ein Kandidat länger als fünf Jahre bleibt.

Ich sehe förmlich das Glänzen in den Augen vieler Personaler, die sich dies alles sehnlichst wünschen. Weil sie es leid sind, mit Fachwissen vollgepumpte Lebensläufe zu studieren und sich durch Anschreiben voller Floskeln zu quälen. Weil ihnen Perfektionismus und Ungeduld als größte Schwächen zu den Ohren herauskommen und es zunehmend anstrengend wird, die immer bunteren Werdegänge von Jobwechslern zu durchschauen. Was liegt näher, diese als lästig empfundene Routineaufgaben des Recruitings endlich auch zu automatisieren?

Neue Technologien sind kein Grund, Verantwortung als Mensch abzugeben

Zukunftsforscher, KI-Experten und erste Studien sind sich einig: Künstliche Intelligenz wird in der Lage sein, bessere Entscheidungen bei der Mitarbeiterauswahl zu treffen, als es Recruitern je unter dem verzerrenden Einfluss von Sympathie und unbewussten Vorurteilen gelingen dürfte. Dass KI-Recruiting aktuell aber noch in die Irre führen kann, hat jüngst der Fall Amazon gezeigt. Das System hatte intelligent erkannt, dass in den vergangenen Jahren mehr Männer als Frauen bei Amazon eingestellt worden waren, und als Folge Bewerberinnen systematisch abgewertet. Jedes mathematische Modell ist immer ein vereinfachtes Abbild der (menschlichen) Realität.

Es mag sein, dass Sprachanalysen in Zukunft ein zutreffendes Persönlichkeitsprofil eines Kandidaten erstellen können, und natürlich darf es nicht sein, dass Michael mehr Aufmerksamkeit als Müslüm erfährt. In meiner Wahrnehmung geht es bei der Diskussion um den Einsatz neuer Technologien im Recruiting jedoch weniger um die Lösung eines komplexen Optimierungsproblems zur Mitarbeiterauswahl oder das Ausschalten diskriminierender Einflüsse, sondern viel eher um die willkommene Chance, menschliche Verantwortung abzugeben. Menschen werden bei Fehlern entlassen, Maschinen erhalten ein Update oder werden ausgeschaltet.

Lese ich, dass sich ein Großteil der Personaler für die erste Sichtung einer Bewerbung gerade einmal eine Minute Zeit nimmt, dann tendiert ihr echtes Interesse an dem Menschen hinter einem PDF-Dokument gegen null. Recruiter, die keine Lebensläufe und Anschreiben mehr sehen können und sich sicher darin glauben, Bewerber auf den ersten Blick in Schubladen zu stecken, sollten sich einen anderen Job suchen. Motiviert durch Monotonie, Frust oder Angst vor Fehlern, ist es menschlich feige und logisch falsch, Maschinen besser über fachliche Eignung, Persönlichkeit und Passung von Bewerbern urteilen zu lassen.

Bewerber skeptisch gegenüber Robo-Recruiting

Für Bewerber ist es befremdlich, das erste Gespräch mit einem Sprachcomputer zu führen. Sie empfinden es auch nicht als wertschätzend, wenn fünf Minuten nach dem Upload ihrer Unterlagen die automatisch generierte Standardabsage im Mailpostfach landet. Eine aktuelle Studie hat allerdings ergeben, dass KI auch auf Bewerberseite auf Interesse stoßen kann. Und zwar dann, wenn etwa Persönlichkeitsanalysen zu einer sicheren Passung mit Job und Team beitragen. Wie auf Arbeitgeberseite soll auch hier die Technik dafür herhalten, sich als Mensch nicht mehr selbst mit anderen Menschen beschäftigen zu müssen. Eine Entwicklung, die sowohl auf individueller als auch gesellschaftlicher Ebene hohes Konfliktpotenzial birgt.

Menschen werden in Zukunft noch enger zusammenarbeiten

Eine Studie des McKinsey Global Institute prognostiziert, dass bis 2030 24 Prozent mehr soziale und emotionale Fähigkeiten von Arbeitnehmern gefordert sein werden als heute. Soft Skills zählen in Zukunft mehr als gute Noten, gekaufte Zertifikate und erlerntes Fachwissen. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger für gesunde menschliche Zusammenarbeit, dass Arbeitgeber und Mitarbeiter auf einer guten Beziehungsebene zueinanderfinden, statt persönliches Bauchgefühl und Sympathie zugunsten von Auswahlgerechtigkeit technisch zu neutralisieren. Eine Verringerung von Diskriminierung im Recruiting wird nicht durch Ausschluss des Menschen von Entscheidungen über Menschen gelingen, sondern durch eigenes Bewusstsein und die richtige Haltung sich selbst sowie anderen Menschen gegenüber.

Zukunft der Arbeit erfordert mehr echtes Interesse für Menschen

Recruiter werden in den nächsten Jahren dann einen guten Job machen, wenn sie sich wirklich für Menschen interessieren, statt sich aus Angst vor Fehlern auf Kollege Roboter zu verlassen. Digitalisierung im Recruiting darf den Menschen hinter einem Datensatz nicht vergessen. Algorithmen und künstliche Intelligenz können Entscheidungsprozesse unterstützen, doch auch in 20 Jahren sollten immer noch Menschen über Menschen entscheiden – und zwar in allen Lebensbereichen.


15 Jahre XING

Vor 15 Jahren gab es weder soziale Medien noch Smartphones, agiles Arbeiten war hierzulande unbekannt. Unvorstellbar, was in den kommenden 15 Jahre alles Neues entstehen und wie sich unsere Arbeitswelt entwickeln wird! In welchen Berufen werden wir künftig überhaupt arbeiten – und wie? Wie verändert die künstliche Intelligenz den Recruiting-Prozess? Wird die Arbeitswelt von morgen gerechter sein – oder tiefer gespalten?

Zusammen mit dem Zukunftsforscher und Gründer des Trendbüros, Professor Peter Wippermann, hat XING 15 Trends untersucht, die Arbeitnehmer und Unternehmen betreffen und die Gesellschaft verändern werden. Unsere Prognosen basieren auf der wissenschaftlichen Expertise des Trendbüros, einer repräsentativen Umfrage unter den XING Mitgliedern und E-Recruiting-Kunden sowie aus unserer Erfahrung als Vorreiter beim Thema New Work.

Die 15 Trends lassen wir seit dem 5. November täglich auf XING diskutieren – hier auf XING Klartext, von unseren XING Insidern und im XING Talk. Alle Beiträge finden Sie gesammelt auf einer News-Seite.

  • In der Woche ab dem 5. November drehte sich alles darum, was sich für den einzelnen Arbeitnehmer ändert.
  • Ab dem 12. November diskutieren wir eine Woche lang die Folgen des Wandels für Unternehmen.
  • Eine Woche später, ab dem 19. November, thematisieren wir, wie sich unsere Gesellschaft verändern wird.

Bei Fragen, Feedback und Ideen erreichen Sie die Redaktion von XING News unter klartext@xing.com. Wir freuen uns auf spannende und hitzige Diskussionen!

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Dr. Bernd Slaghuis
© Privat
Dr. Bernd Slaghuis

Ökonom, Karriere- und Business-Coach

for Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Dr. Bernd Slaghuis ist promovierter Ökonom, Systemischer Coach und Experte für neue Karrieren und gesunde Führung. In seiner Kölner Coaching-Praxis hat er sich auf Anliegen der Karriereplanung und beruflichen Neuorientierung sowie das Coaching von Führungskräften aus dem mittleren Management spezialisiert. Er schreibt in seinem Karriere-Blog „Perspektivwechsel“ über seine Sichtweisen auf Karriere, Bewerbung sowie Führung und hält zu diesen Themen deutschlandweit Vorträge und gibt Seminare.

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