Gendersprache: Ist das der richtige Schritt zur Gleichberechtigung?

Immer mehr Medien benutzen Gendersternchen, inzwischen werden sie sogar im Radio mitgesprochen. Was nutzt das der Gleichberechtigung?

Nicht zu gendern ist auch keine Lösung

Karen Schmied

Programmchefin Radio Fritz, Rundfunk Berlin Brandenburg

Karen Schmied
  • Bei Radio Fritz sprechen wir seit September das Gendersternchen mit
  • Die Reaktionen reichen von Beifall bis Hass
  • Die Lösung mag nicht ideal sein, aber sie ist besser als der alte Status Quo

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Am 1. September haben wir bei Fritz (dem jungen Programm des Rundfunk Brandenburg) begonnen, in den Nachrichten das Gendersternchen zu sprechen. Allein die Ankündigung rief ein riesiges Medienecho hervor – es fühlte sich an, als ob man darauf gewartet hat, dass was passiert in der Debatte um gendergerechte Sprache. Und wir bekamen viel Beifall und viel Hass. In der Aufteilung etwa 50:50.

Gegendert wurde in unseren Nachrichten schon viel länger. Es waren beispielsweise die „Lehrerinnen und Lehrer“, nun sind es die „Lehrer ·innen“. Kürzer zum Schreiben und zum Sprechen. In der Schriftsprache taucht das Gendersternchen immer mehr öffentlich auf, in Stellenausschreibungen, Briefen oder E-Mails. Und es hieß: „im Radio funktioniert das nicht“. Wir haben es off Air einfach ausprobiert und waren überrascht, wie gut es sogar klang.

Junge Menschen wollen Gendergerechtigkeit

Warum haben wir diesen Schritt gewagt? Die Entscheidung wurde uns nicht aufgedrückt, sie kam von selbst immer näher. Während die Fritz-Chefetage an einem neuen Nachrichtenkonzept arbeitete, das auch die Frage nach dem Gendern beinhaltete, kamen die Nachrichtenkolleg·innen zeitgleich mit dem Vorschlag, das Gendersternchen zu sprechen. Unsere Redaktion ist jung, so wie das Publikum, für das wir senden. 14-29 Jahre in der Medienanalyse-Zielgruppe. Auch von Hörer·innen oder anderen jungen Gesprächspartner·innen kam und kommt das Gendersternchen mehr und mehr zu uns. Funfact: Bei der Verleihung des „Deutschen Radiopreises“ Anfang September in Hamburg fiel auf, dass alle jungen Gewinner·innen in ihren Dankesreden auf der Bühne das Gendersternchen gesprochen haben.

Wir merken regelmäßig, dass gendergerechte Sprache bei jungen Menschen eine zunehmend größere Rolle spielt und es ihnen immer wichtiger wird – oder sie zumindest offener für das Thema sind. Die scharfe Kritik, die uns erreichte, kam ausnahmslos von älteren Menschen. Seit unserem Start on Air habe ich lediglich zwei Beschwerdemails bekommen.

Linksgrünversiffte Sprachverhunzung?

Natürlich gibt es Argumente dagegen. Beispielsweise, dass es in Großbritannien auch ohne weibliche Form funktioniert. Oder dass wir die Sprache „verhunzen“. Auch, dass Männer jetzt zu kurz kommen, weil es gesprochen nach zu viel weiblicher Form klingen könnte. Oder ob wir keine anderen Sorgen hätten.

Wir sollen doch dieses linksversiffte Getue lassen und es Flüchtlingen nicht noch schwerer machen, die deutsche Sprache zu lernen. Ist es so schwer, das Gendern beim Lernen einer anderen Sprache mitzulernen? Ich stelle es mir gerade andersrum vor. Und wieso linksgrün? Ja, aus der Richtung wurde vor ganz vielen Jahren das erste Mal wahrnehmbar gegendert, heute tun es alle Parteien – außer die Rechten.

Was verhunzt unsere Sprache (allein das schon das Wort „verhunzen“ lässt mich den Kopf schütteln)? Anglizismen, Populistische Phrasen, derbe Wörter, Jugendwörter oder gendergerechter Ausdruck?

Aber viel wichtiger ist: Für uns geht das Gendersternchen über die männliche und weibliche Form hinaus. Es umschließt alle Geschlechter, Menschen, die sich weder weiblich noch männlich fühlen. Das ist unser Zeichen für Toleranz, Offenheit, Gleichberechtigung und Vielfalt. Dass dabei die Sprache verhunzt wird, können wir ebenfalls nicht nachvollziehen. Unsere Sprache lebt, sie steht nicht still. Immer kamen und kommen regelmäßig neue Wörter oder Ausdrücke hinzu, sogar ganz offiziell. Manchmal über das Küren von Jugendwörtern, manchmal über gesellschaftliche Ereignisse oder sie schleichen sich über andere Sprachen ein. Das ist nicht neu – unsere Sprache lebt weiter.

Gerechtigkeit muss sich auch in der Sprache wiederfinden

Die Gesellschaft für deutsche Sprache empfiehlt das Gendersternchen nicht, Eine wirklich sinnvolle Empfehlung haben wir in der Recherche aber auch nicht gefunden.

Vielleicht ist das gesprochene Sternchen nicht die finale Lösung zu einer gendergerechten deutschen Sprache. In jedem Fall ist es ein kontroverser Diskussionspunkt und in unseren Augen für den Moment das richtige Zeichen. Ich glaube daran, dass die Sprache viel zur Einstellung beträgt. Unsere Gesellschaft ist in der Geschlechterfrage nicht gerecht. Frauen verdienen weniger, die Frauenquote liegt bei gerade einmal 30 Prozent und gilt nur für Vorstände, queere Menschen werden immer noch benachteiligt. Eine gerechte Sprache kann unser Bewusstsein dafür schärfen.

Nein, Fritz allein wird die Welt und die deutsche Sprache nicht verändern. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Aber Haltung dürfen wir zeigen. Und dazu stehen, dass wir in einer Demokratie leben, in der eine Gleichstellung im Grundgesetz verankert, in den meisten Köpfen aber noch lange nicht angekommen ist.

Wie auch immer der Weg weiter geht: Nicht zu gendern ist auch keine Lösung.

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Karen Schmied
© Karen Schmied / RBB
Karen Schmied

Programmchefin Radio Fritz, Rundfunk Berlin Brandenburg

Karen Schmied ist seit 2012 Programmchefin von Fritz (Rundfunk Berlin Brandenburg). Fritz wandelt sich momentan von einer Radio- zu einer Digitalmarke und produziert Inhalte für 14-bis 29-Jährige in Berlin und Brandenburg – im Radio, im Netz und in den Social Media Kanälen. Zuvor war Schmied Redakteurin bei Fritz, 1LIVE (WDR), DASDING (SWR) und volontierte bei Radio Energy 103,4 Berlin. Sie studierte Medienmanagement in Dresden und absolvierte eine Führungskräfte-Ausbildung beim rbb.

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