Was bleibt nach acht Jahren Obama?

Am 24. April eröffnet der US-Präsident die Hannover Messe – es wird sein letzter offizieller Deutschland-Besuch sein. Nicht nur die Beziehung zu Europa hat sich in seiner Amtszeit verändert.

Obama hat seit jeher ein unromantisches Verhältnis zu Europa

Dr. Martin Thunert
  • Die transatlantischen Beziehungen haben sich in den letzten Jahren verbessert
  • Trotzdem ist Obamas Verhältnis zu Europa äußerst nüchtern und rein strategisch
  • Deutschland wird von der US-Administration als Führungsmacht wahrgenommen

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In der Ära Obama haben sich die transatlantischen Beziehungen verbessert, wenn man das sehr gestörte Verhältnis zum Zeitpunkt des Irak-Krieges 2003 bis 2005 zum Maßstab nimmt. Doch bei genauem Hinsehen setzte die Verbesserung bereits in den beiden letzten Amtsjahren der Bush-Administration ein – sowohl was die Regierungsbeziehungen als auch was das US- beziehungsweise Europabild der Öffentlichkeit auf beiden Seiten des Atlantiks angeht. Bei Licht betrachtet, hatte Obama von Anbeginn ein pragmatisches und dezidiert unromantisches Verhältnis zu Europa. Wie seine Vorgänger ist Obama von der Schwerfälligkeit der Brüsseler Entscheidungsprozesse und den vielen Gruppenfotos der Regierungschefs genervt. Seine Leidenschaft und sein strategisches Interesse gelten insbesondere dem asiatisch-pazifischen Raum, Europa ist weiterhin ein essenzieller Verbündeter, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Auch die nüchterne Reaktion Obamas auf den NSA-Skandal passt in dieses Muster.

Die Bundesrepublik ist wichtiger als die Briten

Innerhalb Europas ist Deutschland während der Ära Obama für die USA wichtiger geworden, die Bedeutung der Sonderbeziehung zu Großbritannien hat abgenommen, da die Briten nach US-Geschmack zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind und an ihrem Platz in Europa zweifeln. Die Obama-Administration sieht Deutschland eindeutig als europäische Führungsmacht (Russland/Ukraine-Krise, Euro-Krise und so weiter) – mit Ausnahme militärisch-geheimdienstlicher Angelegenheiten, in denen insbesondere Frankreich (Terrorismusbekämpfung) und nach wie vor Großbritannien bedeutender sind.

Kanzlerin Angela Merkel ist in den USA bekannter und angesehener als je ein Kanzler vor ihr, und die Einstellungen der US-Bevölkerung zu Deutschland sind überwiegend positiv. Obgleich die US-Öffentlichkeit die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin bewundert, vernimmt man zunehmend skeptische Töne, ob Deutschland die Folgen des Massenzustroms bewältigen wird. Knappe Mehrheiten in den USA glauben Anfang 2016, dass die hohe Migrantenzahl sowohl Deutschlands Wohlstand als auch die Sicherheit des Landes bedrohen wird.

Am Ende der Ära Obama gibt es überraschende Überschneidungen in den gesellschaftlichen Entwicklungen auf beiden Seiten des Atlantiks, manche sprechen bereits – verfrüht – von einer Rollenumkehrung. Heute werden die Rechte von Homosexuellen in den USA mehr respektiert als in vielen europäischen Staaten, weiche Drogen sind auf dem Weg der Legalisierung, die Bedeutung der Religion nimmt ab. Mit der Gesundheitsreform ist Amerika ein kleines Stück sozialstaatlicher geworden, und die US-Bankenregulierung ist strenger als die europäische. Die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik wurde unter Obama trotz weltweiter Spionage risikoscheuer und militärisch zurückhaltender, Frankreich scheint heute eine robustere Sicherheits- und Antiterrorpolitik zu befürworten als die USA.

Sanders und Syriza werden von jungen Amerikanern verehrt

Zahlreiche junge Menschen begeistern sich insbesondere in Südeuropa, aber auch an amerikanischen Colleges für Bewegungen wie Podemos und Syriza oder für Politiker wie Bernie Sanders, die politische Revolutionen ankündigen, sich als kapitalismuskritische Sozialisten verstehen und Freihandelsabkommen ablehnen. Ein anderer, älterer und meist weißer Teil der Bevölkerung unterstützt Politiker und Bewegungen, die eine Rückkehr in ethnisch und kulturell homogenere Zeiten versprechen, als Amerika noch unangefochten groß war und Europa nur ein paar Gastarbeiter kannte. Dem Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP weht der Wind von rechts ebenso sehr ins Gesicht wie von links.

Dies sind noch vorläufige Beobachtungen, die sich in der Nach-Obama-Zeit verändern können. Doch vielen dämmert, dass Europa in Zukunft mehr auf sich allein gestellt sein wird. Manche feiern dies als Emanzipation von den USA, bei anderen überwiegen nostalgische Gefühle für ein früheres, weltpolitisch wagemutiges Amerika.

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Dr. Martin Thunert
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Dr. Martin Thunert

Politikwissenschaftler, Heidelberg Center for American Studies (HCA)

Dr. Martin Thunert lehrt Politikwissenschaft mit dem regionalen Schwerpunkt Nordamerika am Heidelberg Center for American Studies (HCA) und am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg. Darüber hinaus arbeitet er zum Thema Politikberatung und ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Politikberatung (ZPB). Thunert ist ferner assoziiertes Mitglied des Zentrums für Nordamerikastudien (ZENAF) der Universität Frankfurt für Kanadastudien.

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