Trend #6 – Robo-Recruiting: Stellen uns künftig Maschinen ein?

87 Prozent der von XING befragten Personaler rechnen damit, dass künstliche Intelligenz in 15 Jahren eine wesentliche Rolle spielt. Wer trifft bessere Personalentscheidungen: Mensch oder Maschine?

Personaler machen leider einen mieseren Job als Algorithmen

Henrik Zaborowski
  • Die meisten Recruiter wählen ihre Kandidaten nach kruden Kriterien aus
  • Wenn wir ihr Wissen für die Programmierung von KI verwenden – dann gute Nacht
  • Doch auch KI hat eine Schwäche: Sie begründet ihre Auswahl nicht

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DER Schlüssel erfolgreicher Stellenbesetzungen liegt bei den handelnden Personen im Unternehmen. Also HR und Hiring-Managern. Als Recruiter merke ich sehr schnell, welcher Entscheider selbstreflektiert ist, Lebenserfahrung besitzt, sich selbst nicht so wichtig nimmt (alles Grundvoraussetzungen im Recruiting!) und wirklich seine offenen Stellen besetzen will. Auf die Mehrheit der Personaler und Führungskräfte trifft dies leider nicht zu.

Nach welchen Kriterien in Deutschland Bewerber „ausgewählt“ werden, ist an Ignoranz schwer zu toppen. „Schlechtes Foto“, „Nicht genug Mühe im Anschreiben gegeben“, „Brüche im Lebenslauf“ oder „Kennt unsere Branche nicht“ sind nur eine Auswahl aus dem Gruselkabinett. Darum sage ich: Unsere Personalauswahl kann durch künstliche Intelligenz (KI) nur besser werden! Aber nicht weil KI darin so gut ist – sondern weil die handelnden Menschen darin so schlecht sind.

Wer füttert die künstliche Intelligenz mit Daten?

KI steht erst an den Anfängen. Sie entwickelt sich. Oder sollte ich besser schreiben: Der Mensch entwickelt sie? Denn auch wenn selbstlernende Algorithmen sich selber weiterentwickeln, bauen sie ja auf etwas auf. Auf dem, was die Entwickler angelegt haben. Womit wir wieder beim Problem sind: Mit welchem Verständnis von Eignungsdiagnostik, Zusammenhängen von Persönlichkeit, Berufserfahrung, Erfolgen, Hobbys et cetera füttern wir die KI? Wenn wir das gleiche Unverständnis aus den Köpfen der Personaler und Hiring-Manager in die KI übertragen, dann perfektioniert sie am Ende das Falsche.

Software, die Frauen automatisch benachteiligt

Ein Problem wird schon jetzt sichtbar. Die Entwickler wissen am Ende nicht, wie die KI zu ihren Entscheidungen kommt. Schließlich lernt sie ja selber. Zu welchen falschen, ungewollten Ergebnissen das führt, fällt aber nicht zwingend sofort auf. Weil zum Beispiel Frauen in der Vergangenheit schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt hatten, werden sie auch in Zukunft benachteiligt oder aussortiert wie die Beispiele von Amazon oder der staatlichen österreichischen Arbeitsagentur AMS zeigen.

Amazon musste vor einem Jahr sein KI-Recruitingprojekt beenden, weil das System aus den bestehenden Daten schlussfolgerte, dass man bei Amazon männliche Kandidaten bevorzuge. Entsprechend wurden in der Testphase auch Bewerbungen von Frauen schlechter bewertet. Ähnliches beim Arbeitsmarktservice (AMS): Dort stufte ein Softwaretool die Chancen für Frauen automatisch herunter. Für die KI waren das anhand der vorhandenen Daten jeweils logische Entscheidungen, die aber eben komplett am gewünschten Ziel vorbeigingen.

Unternehmen sollten Software nur als Assistenz einsetzen

Meine These: Künstliche Intelligenz ergibt für die meisten Unternehmen in der Personalauswahl nur sehr, sehr wenig Sinn. In Zeiten, in denen ich mich über fünf Bewerbungen freue (was für die meisten Unternehmen gilt), lasse ich keine KI darüberlaufen – sondern lade alle zum Auswahlverfahren ein. KI kann aber vorher helfen, „Kandidaten“ zu identifizieren, die aufgrund fachlicher Qualifikationen für den Job passen könnten. Gerade bei Jobs, von denen HR fachlich oftmals keine Ahnung hat, ist KI der perfekte Assistent. Ob diese „Kandidaten“ dann aber zu Bewerbern werden, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Trotz der schlechten Leistung wähle ich den Menschen

Wenn ich wählen soll zwischen Pest und Cholera, zwischen KI und Mensch als Entscheidungsträger – ich würde immer den Menschen nehmen. Nicht weil er so gut ist. Aber den Menschen kann ich fragen, warum er diese bestimmte Entscheidung trifft – und entsprechend mit Argumenten gegensteuern. Wenn er selbstreflektiert ist, Lebenserfahrung besitzt, sich selbst nicht so wichtig nimmt und wirklich seine Stellen besetzen will. Mist, da waren sie ja wieder, meine vier Probleme.


Worauf Personaler besser achten können, welche Chancen ihnen entgehen und welche Erfahrungen Henrik Zaborowski selbst in seiner Laufbahn gemacht hat, erfahren Sie jetzt in einer neuen Folge des XING E-Recruiting Podcasts. Titel der neuen Folge: “Warum 30 Prozent der abgesagten Kandidaten bestens zum Job passen” Hören Sie direkt in den Podcast rein oder besuchen Sie alternativ die Kanäle iTunes, Spotify oder Soundcloud.


15 Jahre XING

Vor 15 Jahren gab es weder soziale Medien noch Smartphones, agiles Arbeiten war hierzulande unbekannt. Unvorstellbar, was in den kommenden 15 Jahre alles Neues entstehen und wie sich unsere Arbeitswelt entwickeln wird! In welchen Berufen werden wir künftig überhaupt arbeiten – und wie? Wie verändert die künstliche Intelligenz den Recruiting-Prozess? Wird die Arbeitswelt von morgen gerechter sein – oder tiefer gespalten?

Zusammen mit dem Zukunftsforscher und Gründer des Trendbüros, Professor Peter Wippermann, hat XING 15 Trends untersucht, die Arbeitnehmer und Unternehmen betreffen und die Gesellschaft verändern werden. Unsere Prognosen basieren auf der wissenschaftlichen Expertise des Trendbüros, einer repräsentativen Umfrage unter den XING Mitgliedern und E-Recruiting-Kunden sowie aus unserer Erfahrung als Vorreiter beim Thema New Work.

Die 15 Trends lassen wir seit dem 5. November täglich auf XING diskutieren – hier auf XING Klartext, von unseren XING Insidern und im XING Talk. Alle Beiträge finden Sie gesammelt auf einer News-Seite.

  • In der Woche ab dem 5. November drehte sich alles darum, was sich für den einzelnen Arbeitnehmer ändert.
  • Ab dem 12. November diskutieren wir eine Woche lang die Folgen des Wandels für Unternehmen.
  • Eine Woche später, ab dem 19. November, thematisieren wir, wie sich unsere Gesellschaft verändern wird.

Bei Fragen, Feedback und Ideen erreichen Sie die Redaktion von XING News unter klartext@xing.com. Wir freuen uns auf spannende und hitzige Diskussionen!

Veröffentlicht:

Henrik Zaborowski
© Privat
Henrik Zaborowski

Recruitingexperte und Redner

Henrik Zaborowski (Jg. 1972) ist seit 18 Jahren in der Recruitingbranche tätig. Nach mehreren Stationen als freiberuflicher und angestellter Personalberater sowie als Inhouse Recruiter ist er seit Ende 2013 als Redner und Recruitingexperte selbständig. Er gibt als Berater, Blogger und Speaker Impulse für einen menschenzentrierten Ansatz im Recruiting. Er ist eingebunden in ein Netzwerk von Human Resources Experten aus Industrie, Beratung, Startups und Wissenschaft.

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