Burn-out – Volksleiden oder Modekrankheit?

Gestresst und ausgebrannt: Immer mehr Deutsche klagen über psychische Leiden. Doch müssen Unternehmen und Gesellschaft wirklich etwas verändern – oder müssen wir einfach belastbarer werden?

Warum wir uns im Job häufig überfordern

Boris Gloger
  • Jeder Vierte im mittleren Management kann im Feierabend nicht abschalten
  • Nicht nur das Arbeitsumfeld, auch die Freizeit übt oft Leistungsdruck aus
  • Viele möchten oder können sich nicht eingestehen, dass sie überlastet sind

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Das mittlere Management – häufig befinden sich seine Angehörigen in einer ähnlich misslichen Lage wie das Zweitgeborene von drei Geschwistern, das Sandwichkind. Es hat nicht die ganze Verantwortung, wird auch eher mal sich selbst überlassen, und dennoch wird gerade von diesem Kind häufig sehr viel verlangt. Ähnlich erleben es auch die Manager auf den mittleren Führungsebenen. Die kontinuierlich steigenden Anforderungen von oben sind ihnen stets präsent, gleichzeitig müssen sie miterleben, wie ihre Teams im Effizienzwahn zusammengestrichen werden. Druck von oben und Druck von unten also, doch wo soll der entweichen?

In Gesprächen mit Führungskräften aus dem mittleren Management ist die Unzufriedenheit mit den eigenen Arbeitsbedingungen sehr häufig Thema. Die Gründe, die zu dem Frust führen, ähneln sich. Angesprochen auf das Topmanagement, wird immer wieder genannt: zu weit weg vom Markt und zu unflexibel für einen tatsächlichen Change. Oder beim Stichwort Mitarbeiter: zunehmend unmotiviert, da immer mehr Arbeit auf immer weniger Schultern verteilt werden muss. Interne Prozesse und Feedbackschleife? Führen zwar zu Meetingmarathons, aber nicht zu Ergebnissen. Und schließlich die Gesetzgebung: Sie hält nicht mit dem Tempo der Digitalisierung Schritt. Aus diesen Faktoren resultieren das Gefühl der Fremdbestimmung, gestiegener Leistungsdruck und die Notwendigkeit einer höheren Innovationsgeschwindigkeit. Ein Dreiklang, der häufig direkt in den Burn-out führt. Lösungswege sehen nur die wenigsten.

Mehr Schein als Sein?

In unserer Studie „Best Agers und ihr berufliches Umfeld“, die wir vor Kurzem zusammen mit Professor Erika Regnet von der Hochschule Augsburg durchgeführt haben, kamen wir zu folgendem Ergebnis: Mehr als ein Fünftel der Führungskräfte ab dem mittleren Management kann sich nach Feierabend nicht ausreichend erholen, knapp ein Viertel kann dann nur schwer oder gar nicht abschalten, und infolgedessen sieht sich jeder zehnte Manager in hohem Maße von Burn-out bedroht. Die Mehrheit der Manager beurteilt die eigene Leistungsfähigkeit jedoch sehr gut: Auf einer Skala von null bis zehn geben sie sich in Sachen Arbeitsfähigkeit den Wert 8,1 – nach Schulnotensystem entspricht das einer 2+.

Heißt das, in deutschen Führungsetagen ist alles prima? Aus meiner Sicht: nein. Viele der Manager – egal ob bewusst oder unbewusst – treiben Raubbau an ihrer eigenen Gesundheit und wollen sich nicht eingestehen, dass die Arbeit zu viel wird. So wird häufig der Leistungsgedanke mit ins Privatleben genommen – wir joggen nicht mehr, stattdessen muss es natürlich gleich der Marathon sein. Wir geben auch am Abend das absolute Maximum, um am nächsten Morgen eine optimale Performance abliefern zu können. Privater Ausgleich? Findet nicht statt und wird sogar ins Negative verkehrt.

Der Weg aus dem Hamsterrad

Wenn Sie erkennen, dass Sie in diesem Bermudadreieck aus Karriere, Druck und Erwartungen zu verschwinden drohen, sollten Sie sich grundsätzlich hinterfragen – anhand dieser Punkte:

1. Schränken Sie sich ein:

Man müsste meinen, Manager seien privilegiert, tatsächlich sind sie häufig Gefangene ihrer eigenen gestiegenen Ansprüche: teure Wohnung, teures Auto, teurer Urlaub, teure Hobbys. Man braucht den Job – oder gleich den nächstbesseren –, um all das zu finanzieren. Manager werden so zu Getriebenen, sie verlieren ihre Souveränität. Chefs spüren das, Mitarbeiter ebenso. Im Topmanagement ist davon meist nichts zu spüren. Eben weil die Elite weiß: Wenn hier jemand fällt, dann sehr weich. Also: Je stärker Sie Ihre Ausgaben überdenken und sich einschränken, desto größer wird Ihr finanzieller Spielraum und damit auch Ihre Unabhängigkeit – das wirkt sich auch auf Ihr Befinden und damit auf Ihr Auftreten als Führungsperson aus.

2. Suchen Sie sich neue Freunde

Im Laufe der Karriere verengt sich bei vielen Führungskräften der Blick dramatisch. Immer mehr wird das berufliche Umfeld zum Zentrum des eigenen Lebens. Freunde finden sich häufig nur noch auf der Arbeit. Aus zwei Gründen: Zum einen weil Netzwerken ja bekanntlich das A und O ist, und so werden aus Kollegen Verbündete und aus Verbündeten Freunde. Zum anderen weil sich die Lebensstile angleichen: Wer bis 21 Uhr im Büro hockt, sucht sich im Zweifelsfall einen Trainingspartner, der genauso lange arbeitet.

3. Kommunizieren Sie wahrhaftig

Authentizität fängt bei der Sprache an. Leider ist unser Buzzword-Managerdenglisch ein Kauderwelsch, das auf Tarnen, Tricksen, Täuschen ausgelegt ist. Jede Kaffeepause wird zum Meeting deklariert, jede Entlassungswelle ist eine prozessuale Effizienzanpassung. Wer so mit seinem Team redet, verliert schnell den Rückhalt. Doch wenn das Team die Solidarität aufkündigt, steigt die Krankheits- und Fehlerquote. Das mittlere Management muss das auffangen und die Lücken wieder stopfen. Also: Kommunizieren Sie eindeutig und ehrlich mit Ihrem Team, um einen ewigen Kampf gegen Windmühlen zu vermeiden.

4. Vertrauen Sie Ihren Mitarbeitern

Viele Manager stecken bis über beide Ohren im operativen Geschäft, weil sie ihren Teams nicht zubilligen, Herausforderungen anders zu lösen als vorher, weil sie (aus Angst) keine Fehlerkultur zulassen und weil sie sich schier für unverzichtbar halten. Das führt zu zwei Konsequenzen: Erstens verliert das mittlere Management vor lauter Tagesgeschäft schnell die strategischen Ziele aus den Augen. Zweitens sinkt die intrinsische Motivation im Team, weil Mitarbeiter eben gern auch selbstbestimmt arbeiten wollen. Steuern Sie deshalb Ihr Team über klar definierte Ziele und geben Sie ihm einen stärkeren Entscheidungsspielraum.

5. Holen Sie das Topmanagement mit ins Boot

Es ist paradox: Alle reden von Effizienz, doch das hört beim Thema Meetings auf. Die Zeit, die für interne Besprechungen aufgewendet wird, steigt unaufhörlich. Knapp die Hälfte der Manager, so zeigt unsere Umfrage, verbringt bis zu 50 Prozent ihrer Arbeitszeit in Meetings. Das ist schlichtweg zu viel. Doch dem Topmanagement ist das oftmals nicht bewusst. Machen Sie der oberen Etage transparent, was für ein Zeitfresser sich hier breitgemacht hat. Wer für schlankere Prozesse plädiert, hat normalerweise keine schlechten Karten.

Nehmen Sie sich gerade jetzt, wo das Jahresende vor der Tür steht und die besinnliche Weihnachtszeit naht, Zeit und überdenken Sie sich, Ihre Methoden und Ihre Gesundheit. Wir alle können noch mehr tun, damit wir langfristig gesund und leistungsfähig bleiben.


Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser! Kennen Sie selbst auch die Probleme des mittleren Managements? Teilen Sie die Handlungsempfehlungen des Autors? Wir freuen uns auf spannende und hitzige Diskussionen!

Veröffentlicht:

Boris Gloger
© Privat
Boris Gloger

Initiator von Scrum4Schools

für Agiles Management, neues Arbeiten

Boris Gloger ist Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung borisgloger consulting GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main und Wien. Er gilt als Scrum-Pionier im deutschsprachigen Raum und unterstützt Unternehmen in agilem Organisationsmanagement und agiler Produktentwicklung. Gloger ist Autor mehrerer Fachbücher und hat bis heute mehr als 5000 Manager und Teams in Scrum ausgebildet. Mit der Initiative Scrum4Schools begleitet er (Hoch-)Schulen, die abseits des klassischen Frontalunterrichts lehren möchten.

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