Immer wieder geht durch die Presse, dass wieder ein Politiker seinen Lebenslauf mehr oder weniger krass geschönt oder sagen wir eher: gefälscht hat. Sei es, dass ein Doktortitel auf tönernen Füßen steht oder sogar das Abitur nie abgelegt wurde. Da fragt sich mancher: Ist das mittlerweile normal geworden? Macht man das heute so, auch im Arbeitsleben, in Bewerbungen? Vielleicht machen es ja alle, und ich bin der einzige Depp, der ehrlich ist und sich wundert?
Aus den letzten zehn Jahren als Coach für Beruf und Bewerbung kann ich sagen: Nein, so schlimm ist es wirklich nicht.
Viele Bewerber übertreiben massiv
Die weit überwiegende Mehrheit der Bewerber ist ehrlich und hat den Abschluss, der im Lebenslauf steht, auch gemacht, und bei dem Unternehmen, das dort aufgeführt wird, auch wirklich gearbeitet. Auch Zeugnisse werden selten getürkt – Diana Durchschnittsbewerberin und Nik Normalkandidat hätten für Urkundenfälschung weder die Fähigkeiten noch die Nerven.
Was allerdings gang und gäbe ist: Viele Bewerber übertreiben massiv und schönen ihre Erfahrungen – das muss doch schließlich die Maßnahme sein, die jeder Coach und Bewerbungstrainer als essenzielles „Sich-Verkaufen“ empfiehlt, oder?
Da wird dann in jedem Praktikum die Welt gerettet, jedes Drei-Wochen-Projekt war strategisch und man selbst mindestens Teilprojektleiter (dass man sich hauptsächlich selbst gemanagt hat, muss man ja nicht sagen). Führungsverantwortung hatte man natürlich auch, der Schülerpraktikant muss schließlich auch von jemandem die Kantine gezeigt bekommen.
Jedes Detail wird auf das Idealbild getrimmt
Weil alle zu wissen glauben, wie man sein muss – extrovertiert, teamfähig und natürlich brennend an einer Karriere mit Personalverantwortung interessiert –, wird jedes Detail so auf das Idealbild hin getrimmt. Antworten auf alle nur denkbaren Fragen im Vorstellungsgespräch werden akribisch vorbereitet, sodass nur ja keine Schwäche zu sehen ist, sondern alles der optimalen Selbstdarstellung dient.
Mit so ein bisschen Schönfärberei ist aber ja nicht viel Schaden angerichtet, kann man mit Fug und Recht behaupten – in einem Vorstellungsgespräch kommt doch sowieso heraus, was jemand so draufhat. Stimmt, wenn ein erfahrener Personaler und eine fähige Abteilungsleiterin dabei sind, zerplatzt so mancher geschlagene Schaum wie die sprichwörtliche Seifenblase.
Da es aber Fehlbesetzungen auch in diesen Rollen gibt, bleibt so mancher Bluffer unentdeckt.
Seien Sie ehrlich zu sich selbst
Der echte Schaden tritt dann ein, wenn die Einstellung geklappt hat und der neue Mitarbeiter startet – und zwar Schaden gar nicht nur für das Unternehmen, das sich hat blenden lassen, sondern vielmehr für den Mitarbeiter selbst: Er hat einen Job bekommen, der nicht zu ihm passt, weil er jemanden gespielt hat, der er nicht ist.
Daher kann ich nur raten: Seien Sie ehrlich zu sich selbst und auch bei Ihrer Präsentation im Bewerbungsprozess – alles andere rächt sich, so oder so. Finden Sie das eine Unternehmen und die Rolle, wo Ihre vermeintlichen Schwächen Ihre Stärken sind, statt sich mit vielen anderen darum zu bemühen, einem Ideal nahezukommen, das meist noch nicht mal diejenigen ernsthaft erwarten, die die Stellenanzeigen schreiben.
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