Unser heutiges Bildungssystem krankt aus meiner Erfahrung an zwei Dingen: Es macht Kinder und junge Menschen nur bedingt dafür fit, die Herausforderungen der Zukunft zu bestehen. Und es wird vielen Kindern in ihren persönlichen Möglichkeiten nicht gerecht.
Wirtschaft und Gesellschaft benötigen Menschen, die unternehmerisch denken, Probleme und Herausforderungen antizipieren, kreative neue Lösungen finden und Freude daran haben, Verantwortung zu übernehmen. Wir benötigen Menschen, die ein unternehmerisches Mindset mitbringen, die Spaß an Herausforderungen haben und sich zutrauen, dass sie diese mit ihren Möglichkeiten bewältigen können.
Eine schwedische Methode befähigt Schülerinnen und Schüler auf ganz andere Weise
Auch wenn sich in den vergangenen Jahren in unseren Schulen schon einiges verbessert hat, dominiert immer noch ein Wertesystem, das Fehler sucht, statt Stärken zu stärken, und stumpf gelerntes Wissen besser benotet als die kreative Lösung von neuen Herausforderungen. Damit erziehen wir Menschen aber zur Anpassung – statt Unternehmergeist, Kreativität und den Willen zur Problemlösung zu wecken.
Dabei ist eine Lösung relativ einfach: In Schweden habe ich eine Methode kennengelernt, die Schülerinnen und Schüler ganz anders befähigt. Sie entdecken und heben in kompakten Projekttagen oder -wochen unter Anleitung persönliche Kompetenz- und Ideenschätze. Daraus entwickeln alle Teilnehmer jeweils 25 Geschäftsideen, setzen eine davon innerhalb kürzester Zeit real um und finden Menschen, die ihre Produkte oder Leistungen kaufen. Zum Beispiel die Idee „Dein Wa(h)l“: Die 15-jährige Fiona entwickelte Biokosmetik in Glasbehältern, um Kunden in Verkaufsgesprächen für weniger Plastikverbrauch zu sensibilisieren. Oder die Idee von Stani, 14 Jahre: Er beherrscht vier Sprachen und kennt sich in der Hamburger Hafencity aus; sein Businessmodell waren mehrsprachige Stadtrundgänge namens „Tour4Languages“. Das Erfolgsrezept der 14-jährigen Lea basierte darauf, dass sie gern bastelt: Sie entwickelte eine Lesezeichenmanufaktur vor einer Buchhandlung.
Die Jugendlichen machen die Erfahrung, dass sie tatsächlich etwas verändern können
Die Projekte orientieren sich an den Kompetenzen der Jugendlichen und sollen sie unter anderem durch spielerische Übungen aktivieren. Eigenständiges Denken, Netzwerken und das Bewusstmachen der eigenen Potenziale stehen im Vordergrund. Basis ist ein umfassender didaktischer Ansatz, mit dem wir die unternehmerische Eigeninitiative stimulieren. Zentral dafür ist einerseits, die intrinsische Motivation jedes Jugendlichen zu wecken, und andererseits, dass das Angebot außerhalb des Schulkontextes stattfindet. Sobald Jugendliche erfahren, dass sie selbstbestimmt etwas Eigenes auf die Beine stellen können und dürfen, ist die Begeisterung geweckt.
Das Ergebnis ist auf der individuellen Ebene schon frappierend: Die Schüler*innen werden selbstbewusster, erleben Vertrauen in ihre Fähigkeiten und erhalten von ihren Kunden die Bestätigung, dass sie etwas geleistet haben, das jenen Geld wert ist. Ich erinnere mich dabei vor allem an ein Zitat einer unserer Teilnehmerinnen, der 14 Jahre alten Sina. Sie sagte nach den Projektwochen: „Es ist einfach ein schönes Gefühl, seinen eigenen Kopf anzustrengen und etwas Eigenes zu entwickeln und zu verkaufen.“ So einfach kann das sein, Begeisterung zu wecken.
Und die Jugendlichen lernen noch etwas anderes: Sie verändern ihre Einstellung, mit der sie die Welt betrachten und wie sie in ihr bestehen können. Sie erfahren mit allen Sinnen, dass sie etwas ändern können und dass sie die notwendigen Ressourcen mitbringen, um etwas von Wert zu schaffen. Mit anderen Worten: Sie fangen an, etwas zu unternehmen und sich als wirksam zu erleben.
Schule muss sich verändern – für die Zukunft von uns allen
Dieses Projekt habe ich vor zehn Jahren nach Deutschland übertragen und an die hiesigen Verhältnisse angepasst. Mittlerweile haben wir Projekte mit weit über 2000 Schülerinnen und Schülern realisiert, mit spannenden Ergebnissen: 100 Prozent aller Schüler*innen lassen sich als Lebensunternehmer und Zukunftsgestalter aktivieren. Sie entwickeln sich nachweislich einer Evaluation der Leuphana Universität in den Schlüsselfähigkeiten Selbstwirksamkeit, Problemlösefähigkeit, aktivierter Gründergeist, Selbstbewusstsein, Glaube an die eigene Schaffenskraft und Kreativität weiter. 25 Prozent brennen dafür, als Entrepreneure gestalten zu können – und zwar vollkommen unabhängig von sozialem Hintergrund oder Schulnoten. Dieses Potenzial liegt in unserer Gesellschaft brach.
Diese jungen Menschen sind die Basis für die Entwicklung unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Die Zukunft gehört den Machern von morgen. Sie liegt nicht vor ihnen, sie liegt in ihnen. Deshalb ist es notwendig, dass sich Schule verändert oder zumindest sicherstellt, dass alle Schüler*innen diese Erfahrungen machen können. Denn dann besitzen sie die Kompetenzen, die wir benötigen, um die Herausforderungen von morgen kreativ zu lösen.
Kerstin Heuer war Speaker auf der New Work Experience (NWX) am 7. März. Die NWX ist die größte Konferenz im deutschsprachigen Raum zum Wandel der Arbeitswelt. Sie bietet eine Bühne für Entscheider, die sich mit Themen von New Work über Unternehmenskultur, bis hin zu neuen Formen der Unternehmensführung auseinandersetzen. Zahlreiche Top-Speaker und hochrangige Pioniere der New-Work-Bewegung vermitteln praktische Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse. Die NWX wird von XING ausgerichtet und fand mittlerweile zum dritten Mal statt. Veranstaltungsort ist die Hamburger Elbphilharmonie. Berichte und Videos über die diesjährige NWX finden Sie unter https://nwx.xing.com
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