Bundespräsident Joachim Gauck sagte vor Kurzem: „Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem.“ Dafür wurde er von rechts wie links angefeindet. Er sei abgehoben und verstehe sich nicht mehr als Diener seines Volkes, sondern als Mitglied einer Elite. Gaucks Äußerung und die Reaktion darauf sind ein Zeichen dafür, dass sich Eliten und viele Bürger stark voneinander entfremdet haben.
Auf der einen Seite sehen sich Teile der Bevölkerung nicht mehr von der Politik vertreten. Sie betrachten sich als abgehängt und ausgegrenzt und setzen weder Vertrauen in Wahlen noch in die Berichterstattung der Medien. „Die da oben machen ja eh, was sie wollen.“ Diese antielitäre Auffassung hat manches für sich, ist aber nicht haltbar, weil sie wesentliche Züge der repräsentativen Demokratie und moderner Gesellschaften verkennt.
Wenige Menschen verfügen über besondere Macht
Zu modernen Gesellschaften gehört es, dass so viele Menschen in ihnen leben, dass auch viele gesellschaftliche Institutionen – Behörden, Unternehmen, Rundfunkanstalten – so groß sind, dass sie nur hierarchisch gegliedert funktionieren. Das heißt aber nichts anderes, als dass die Männer und Frauen an der Spitze dieser Organisationen Mitglieder verschiedener Bereichseliten sind: Sie verfügen über besondere Macht, haben einen beträchtlichen Einfluss auf die Gestaltung der Gesellschaft und sollten – so zumindest der Anspruch der Leistungsgesellschaft – aufgrund besonderer Qualifikationen in ihre Führungsposition gelangt sein. Es wird daher in modernen Großgesellschaften zwangsläufig Eliten geben.
Dies gilt auch für den Bereich demokratischer Politik: Die Mitglieder der Regierung, die Führungsspitzen der Oppositionsparteien, der Bundespräsident und auch die sichtbaren Köpfe sozialer Protestbewegungen sind Teil der politischen Elite. Es geht daher nicht darum, die Eliten loszuwerden, sondern darum, ihr Handeln an einer Vorstellung des Gemeinwohls auszurichten, das diesen Namen verdient, weil es wirklich den basalen Interessen aller Bürger entspricht.
So haben auf der anderen Seite auch die Eliten zur Entfremdung von den Bürgern beigetragen: Zu den zentralen Aufgaben der politischen Elite gehört es, sämtliche Bereiche der Gesellschaft so zu gestalten, dass die dortigen Aktivitäten nicht gemeinwohlschädlich sind. Diese Aufgabe ist in den letzten 30 Jahren durch das neoliberale Denken massiv vernachlässigt worden: So hat etwa die mangelhafte Regulierung des Bankenwesens zu riskanteren Finanztransaktionen und zur weltweiten Finanzkrise beigetragen.
Großanleger scheinen wichtiger zu sein als soziale Grundsicherung
Ein weiteres Problem liegt darin, dass die entsprechende Politik der Deregulierung und Privatisierung als „alternativlos“ ausgegeben wird. Dass bei den Versuchen, die Krise in den Griff zu bekommen, innerhalb der EU – so der Eindruck, der bei vielen entstanden ist – die Interessen von Großanlegern stärker gewichtet wurden als die soziale Grundsicherung vieler Bürger und die Zukunftsperspektiven vieler europäischer Jugendlicher (Stichwort: Austeritätspolitik), ist jedoch eine Gewichtung, sprich: eine politische Entscheidung und daher keineswegs „alternativlos“. Hier wurden mindestens vordergründig basale Gemeinwohlbelange der Grundsicherung weniger basalen Zielen der Sicherung von Banken und Märkten untergeordnet. Der Vorwurf eines Versagens der politischen und wirtschaftlichen Eliten ist daher in diesem Zusammenhang nicht leicht von der Hand zu weisen. Was wir brauchen, sind Eliten, die bereit sind, sich bewusst ihrer Verantwortung für das gesellschaftliche Ganze, für das basale Wohl aller Mitglieder des Gemeinwesens, zu stellen.
Um auf den Satz von Joachim Gauck zurückzukommen: Es ist kein Problem, wenn sich der Bundespräsident als Teil der politischen Elite sieht. Problematisch ist es, dass er sich im Sinne des Mantras der Alternativlosigkeit zu äußern scheint, demzufolge es nur eine richtige Politik gibt, die der Bevölkerung nur gut genug kommuniziert beziehungsweise verkauft werden muss.
Problematisch sind allerdings auch zwei verbreitete Tendenzen auf Seiten vieler Bürger – die Bereitschaft zur Vorverurteilung der Politiker und eine ebenso pingelige wie oberflächliche Art des Anprangerns. So fiel der Satz von Joachim Gauck nur als Nebensatz zum Brexit, war also auf einen spezifischen Kontext bezogen. Und er endete mit der Aufforderung an die Eliten, wieder stärker das Gespräch mit den Bürgern zu suchen. Das kann nicht falsch sein.
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