NWX – New Work News

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Alles zur Zukunft der Arbeit

Warum wir New Work brauchen – und kein New Age

Ralf Lanwehr nennt sich selbst einen "Fußballprofessor". Steilvorlagen für Führungskräfte - der Professor für internationales Management verrät, was Unternehmen vom Profifußball lernen können. Bei der NEW WORK EXPERIENCE spricht er am 10. Juni 2020 über Führung, Kultur, Strategie und Change. Wir haben ihn vorab zum Interview getroffen: Im Gespräch erzählt er uns, was New Work für Unternehmen eigentlich heißen sollte, welche Herausforderungen es zu meistern gilt und was eine Organisationskultur auf jeden Fall braucht.

Müssen sich traditionelle Unternehmen neu erfinden, wenn sie für New Work gewappnet sein wollen?

Ralf Lanwehr: Wir brauchen eine Kultur der Veränderungen, und diese Veränderungen müssen weitgreifend sein. Deutschland verfügt über keine nennenswerten Bodenschätze, wir haben kein Öl und keine seltenen Erden. Also müssen wir über Qualität und Innovation konkurrieren. Das geht jedoch nur, indem wir unsere Mitarbeiter*innen auf diesen Feldern auch befähigen. Je mehr wir die Leute knechten, desto weniger sind sie imstande und willens, mitzudenken und innovative Ideen einzubringen. Um konkurrenzfähig zu bleiben – oder es in vielen Fällen wieder zu werden – müssen wir tiefgreifende strukturelle und kulturelle Veränderungen wagen, sonst funktioniert es nicht.

Was genau ist für so einen Wandel notwendig?

Ralf Lanwehr: Eine intensivere Mitarbeiterorientierung einerseits und ein innovationsorientierterer Rahmen andererseits. Nehmen wir als Beispiel mal die Wertschätzung. Es gibt ja im Schwabenland das berühmte Sprichwort: Nicht geschimpft ist genug gelobt. Aus Führungssicht ist das ein völliges Desaster: Es ist das Gegenteil von dem, wie erfolgreiche Führung funktioniert. Je mehr man aber die Innovationskraft der Mitarbeiter in den Vordergrund rückt, desto wichtiger wird die Frage, wie man Wertschätzung mit Leben füllen kann.

Regelmäßiges Lob und mehr Gehalt reichen nicht mehr aus – die Leute merken, ob ihnen echtes, genuines Interesse entgegengebracht wird oder ob es sich um Alibiaktionen handelt. Oder nehmen wir strukturelle Veränderungen in Unternehmen: Die Herausforderung daran ist, dass das Unternehmen die Produktivität bewahren und gleichzeitig innovativer werden muss. Das geht nicht leicht von der Hand, logo, ist aber unverzichtbar.

Und natürlich muss man auch neue Technologien für sich nutzen: Denn die digitale Revolution sorgt zwar einerseits für tiefgreifende Veränderungen, liefert aber auch ganz viele Plattformen, mit denen man sich innovativer, flexibler und qualitätsorientierter aufstellen kann. Der Wandel gelingt also nur, wenn man sich ihm auf der personellen, kulturellen und technologischen Ebene stellt.

Keine leichte Aufgabe – weder für Unternehmer noch für Mitarbeiter.

Ralf Lanwehr: Nein, das ist eine riesige Herausforderung, keine Frage. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, haben wir es noch mit einer Demografie zu tun, die sich massiv verändert: Die Menschen werden immer älter, die geburtenstarken Jahrgänge gehen bald in Rente, weniger junge Menschen werden geboren. Das heißt, dass du als Unternehmer immer weniger Leute zur Verfügung hast und es irgendwie schaffen musst, bislang unberücksichtigte Gruppen stärker einzubinden. Alle diese Entwicklungen führen dazu, dass sich die Wirtschaft viel stärker mit diesem ganzen New-Work-Thema beschäftigt.

New Work erfordert ja einen Kulturwandel im ganzen Unternehmen. Werden solche Änderungen am besten von oben organisiert?

Ralf Lanwehr: Nein, man kann nicht alles von oben vorgeben. Aber es ist zwingend notwendig, dass die Spitze da mitmacht. Das Problem ist nur, dass die Leute ganz oben üblicherweise ein relativ starkes Machtmotiv haben. Die möchten gerne Entscheidungen treffen. Aber eines der Ziele der New-Work-Bewegung besteht ja gerade darin, Macht loszulassen. Und jetzt müssen genau die Leute, die üblicherweise ein überdurchschnittlich stark ausgeprägtes Machtmotiv haben, sich sozusagen selbst überflüssig machen. Das geht nicht über Nacht.

Sollten wir uns also eher am New-Work-Vordenker Frédéric Laloux orientieren und ein Unternehmen als lebendigen Organismus betrachten, in dem sich vieles von allein regelt?

Ralf Lanwehr: Was Laloux beschreibt, das ist eine von allen Fesseln, von Autorität, Hierarchiedenken und Macht befreite Organisation, in der die Leute selbstorganisiert ihrem Ziel nachgehen, gemeinschaftlich den Purpose ihrer Organisation verfolgen und eine Art ganzheitliches und selbsterfülltes Arbeiten praktizieren. Überhaupt propagieren die zentralen Figuren der New-Work-Bewegung die Öffnung von Organisationen, ein Growth Mindset, vernetztes Denken und so weiter. Selbstverständlich sind das wichtige Ziele.

Was dabei aber von fundamentaler Bedeutung ist und oft aus den Augen verloren wird, das sind die negativen Sekundäreffekte. Deshalb kann die von Laloux beschriebene Vision so nicht funktionieren. Zu diesem Schluss muss ich mal ganz abgesehen von der Fachliteratur kommen, wenn ich erlebe, dass er auch bei Auftritten 2019 noch immer mit den gleichen alten Beispielen agiert. Das liegt sicher nicht an seiner Faulheit, sondern daran, dass er einfach nicht auf genügend neue Beispiele gestoßen ist, die seine Thesen unterstützen könnten.

Welche negativen Sekundäreffekte verhindern denn das selbstorganisierte und hierarchiefreie Arbeiten?

Ralf Lanwehr: Nehmen wir den Bereich Diversity. Politisch stehe ich voll dahinter und es ist auch geschäftlich sinnvoll. Es ist aber gleichzeitig falsch zu propagieren, dass allein mehr Heterogenität zu mehr Leistung und Kreativität führt, wie das beispielsweise im Januar noch Katja Kraus in der FAZ tat. Das ist Quatsch, auch wenn es noch so offensiv formuliert wird. Natürlich erzeugt Heterogenität ganz viele neue Gedanken und führt notwendigerweise zu Sachkonflikten.

Die Leute haben unterschiedliche Ansichten darüber, wie man bessere Ergebnisse erzielt, und in einem vernünftigen Ausmaß ist das durchaus förderlich. Der negative Sekundäreffekt jedoch ist, dass diese Reibungshitze, die bei heterogenen Teams entsteht, auch zu Beziehungskonflikten führt. In einem engagierten Team kriegen sich die Leute eher in die Haare. Ein Wort ergibt das andere, Leute sind beleidigt und nehmen das persönlich. So bilden sich Beziehungskonflikte. Und Beziehungskonflikte sind schlecht für die Leistung.

Es kommt noch mehr dazu, da spielen soziale Kategorisierungsprozesse rein. Meine Mutter hat einen griechischen Hintergrund. Wenn Leute davon erfahren, dann merke ich manchmal, wie so eine Schublade aufgeht: Ach, der emotionale Grieche. Diese sozialen Kategorisierungsprozesse finden statt, ob man will oder nicht. Auch das führt zu Beziehungskonflikten.

Gibt es denn noch weitere Sekundäreffekte abgesehen von solchen zwischenmenschlichen Problemen?

Ralf Lanwehr: Ja, es gibt bei der Diversity noch einen weiteren Punkt. Wenn Leute unterschiedlich aufwachsen, dann kommen sie aus ganz verschiedenen Gedankenwelten. Das läuft dann auf so genannte Prozesskonflikte hinaus, weil man Dinge völlig anders angeht.

Letztendlich führen all diese Konflikte dazu, dass du über Sachkonflikte in einem heterogenen Team viele tolle Ideen hast, die in einem homogeneren Team gar nicht erst entstehen würden. Dem gegenüber steht aber, dass durch die ganze Reibung wieder extrem viel Energie an anderer Stelle aufgefressen wird.

Ist das ein unvermeidbarer Lernprozess, den jede Organisation durchmachen muss?

Ralf Lanwehr: Nein. Denn es gibt reichlich Fachliteratur, die genau die Prozesse beschreibt, über die wir hier sprechen. Und wenn die vorher jemand lesen würde, dann könnte man ganz oft Fehlschläge vermeiden. Mein Eindruck ist, dass die New-Work-Bewegung total sinnvoll ist, die Richtung ist super, die Gedanken sind toll. Genau das ist das Momentum, das wir gerade brauchen. Parallel sehe ich die Bewegung aber auch kritisch, weil sie teilweise in eine leicht esoterische Richtung geht und vorhandenes Wissen sträflich ignoriert. Ich würde das mal so nennen: Wir brauchen New Work, kein New Age. Da gibt es ein paar Leute, die sich in einer Evangelisten-Rolle sehen. HR-Innovatoren oder angebliche Management-Querdenker, die aber im Grunde alle das Gleiche sagen. Die surfen auf einer breiten Begeisterungswelle, verkaufen sich aber dennoch als mutige Querdenker. Dieses Auftreten und diesen Mangel an Selbstreflexion finde ich problematisch.

Was würdest Du New-Work-Begeisterten denn empfehlen, um einen eigenen Weg zu finden?

Ralf Lanwehr: Es ist extrem wichtig, mutig neue Ideen anzugehen und Dinge auszuprobieren. Macht das unbedingt! Schaut aber gleichzeitig bitte viel, viel, viel intensiver als bislang auf das schon vorhandene Wissen. Auf der Eingangsseite von Google Scholar steht nicht zufällig „standing on the shoulders of giants“. Daran mangelt es in meinen Augen. Das liegt natürlich auch an der zunehmenden Interdisziplinarität. Im Zuge von New Work melden sich ja ganz viele Quereinsteiger*innen zu Wort, die sich zu klassischen Personal- und Managementthemen einbringen. Das ist toll, aber ich würde mir wünschen, dass auch bei Themen rund um New Work eine Orientierung an den Fakten nicht zu kurz kommt. New Work mit all seinen Facetten ist eine tolle Bewegung. Viele Unternehmen sollten und müssen sich, mit Verlaub, im übertragenen Sinne locker machen und sich öffnen. Diese Öffnung bringt aber nicht nur Vorteile mit sich, sondern auch Probleme. Bei Diversity etwa eine Zunahme von Beziehungs- und Prozesskonflikten. Das ist gesichertes Wissen. Wenn wir also systematisch heterogene Teams zusammenstellen, dann sollte man sich darauf im Vorfeld vorbereiten. Und dazu gibt es belastbare und empirisch hart abgesicherte Tipps aus der Literatur zu Diversity ebenso wie zu den allermeisten anderen Themen rund um New Work.

Also sollten wir nicht nur euphorisch das Neue feiern, sondern auch an die Folgen denken?

Ralf Lanwehr: Es ist total wichtig, offene Strukturen in die Organisationskultur einzupflegen. Aber noch viel wichtiger, als sich zu überlegen, welche offenen Werte man gerne in das Unternehmen implementieren würde, ist es, sich eine bestimmte Frage zu stellen: Welche negativen Ereignisse könnten eintreten, wenn ich diese offenen Werte propagiere? Es gibt nämlich keine Chance ohne Risiko. Und wer bei einer Unternehmung die Risiken nicht einkalkuliert, scheitert mit großer Wahrscheinlichkeit. Das beobachte ich immer wieder.

Event-Info: Mehr von Ralf Lanwehr liest Du auf seinem Blog "Management Quatsch" – hier schreibt er regelmäßig über Themen wie Personalgewinnung, Führung und HR-Trends.

Oder schau ihn Dir live auf der NWX-Bühne an und sicher Dir gleich ein Ticket: Im Sommer wird er als einer der zahlreichen hochkarätigen Speaker bei der NEW WORK EXPERIENCE (NWX20) auf der Bühne stehen. Diese und mehr spannende, visionäre und mutige Geschichten und Erfahrungen rund um New Work kannst Du bei der NWX am 10. Juni 2020 live erleben. Das von XING initiierte Event ist die größte Austauschplattform zur Zukunft der Arbeit im deutschsprachigen Raum und baut der New Work Bewegung die große Bühne, damit sich immer mehr Menschen und Unternehmen auf den Weg machen.

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Alle sind eingeladen, ihre Erfahrungen und Kenntnisse zu teilen, um die Diskussionen rund um das neue Arbeiten voranzutreiben und die Arbeitswelt der Zukunft mitzugestalten. Denn New Work ist nur dann der Schlüssel für eine bessere Arbeitswelt, wenn es Ideen, Veränderungen und Tools mit sich bringt, die tatsächlich helfen, funktionieren und angewendet werden können. New Work – make it work! Auf der NWX20.

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Alles zur Zukunft der Arbeit: Auf dieser News-Seite finden alle New Work-Interessierten multimedialen Content rund um das Thema. Neben Experten-Interviews, Debatten, Studien, Tipps und Best Practices, erwarten die Leser auch Video- und Podcastformate. Und natürlich ein Überblick unserer gesamten New Work Events, die mehrmals im Jahr im gesamten deutschsprachigen Raum stattfinden. Weitere spannende Inhalte zum Thema New Work finden Sie auf: nwx.new-work.se
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