Die EZB greift erneut zur Bazooka – Ausweitung der Anleihekäufe um 750 Milliarden Euro bis Ende des Jahres

Um zu verhindern, dass die Folgen der Corona-Pandemie Mitglieder der Euro-Zone in Schwierigkeiten bringen und die Wirtschaft kollabiert, will die EZB in grossem Stil Geld in die Märkte pumpen. Das neue Kaufprogramm soll, falls nötig, sogar noch aufgestockt werden.

Christoph G. Schmutz, Brüssel / Michael Rasch, Frankfurt
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Die Europäische Zentralbank (EZB) geriet in den letzten Tagen immer stärker unter Druck. Viele Ökonomen kritisierten die Notenbank und ihre Präsidentin Christine Lagarde, weil zu wenig gegen die Folgen der Coronavirus-Krise an den Finanzmärkten unternommen werde. Jetzt hat die Währungsbehörde reagiert. Kurz vor Mitternacht teilte die EZB mit, dass sie ein neues, zeitlich befristetes Anleihekaufprogramm über 750 Mrd. € auflegen werde. Solch grosse Programme werden an den Börsen oft als Bazookas bezeichnet. Das Programm läuft bis mindestens Ende 2020 und nennt sich Pandemic Emergency Purchase Program (Pepp). Alle Wertpapiere, die bisher unter den Kaufprogrammen der EZB erworben wurden, sind abermals für den Erwerb zugelassen. Zudem will die Notenbank erstmals wieder griechische Bonds sowie Commercial Papers von Unternehmen ausserhalb des Finanzsektors kaufen. Selbstgesetzte Limits will man notfalls aufweichen.

Fatale Aussage von Lagarde zu Risikoaufschlägen

Wie viele Staatsanleihen von welchem Land erworben werden, das soll sich weiterhin am Kapitalschlüssel der EZB orientieren. Dieser Schlüssel entspricht den Anteilen, welche die Zentralbanken der Euro-Staaten am Kapital der EZB besitzen. Die Käufe würden flexibel erfolgen und damit Fluktuationen über die Zeit und verschiedene Anlagekategorien und Länder erlauben, teilt die EZB mit. Die Notenbank toleriere nicht, dass die Übertragung ihrer geldpolitischen Massnahmen in die Länder der Euro-Zone gefährdet werde, hiess es in der Erklärung weiter. Damit ist gemeint, dass vielerorts die Handlungsmöglichkeiten der EZB als beschränkt beurteilt worden waren, da sie – im Gegensatz zur US-Notenbank – bei Zinssenkungen kaum mehr Spielraum hat.

«Aussergewöhnliche Zeiten erfordern aussergewöhnliche Massnahmen», kommentierte Lagarde in der Nacht auf dem Kurznachrichtendienst Twitter das Programm. Sie war zuvor persönlich unter Druck geraten, weil sie im Rahmen der turnusmässigen Sitzung des EZB-Rates vor einer Woche während der Medienkonferenz angemerkt hatte, es sei nicht die Aufgabe der EZB, Risikoaufschläge von Anleihen gewisser Staaten gegenüber deutschen Bundesanleihen zu begrenzen. Die im Prinzip richtige Aussage kam jedoch zum falschen Zeitpunkt. Für Staatsobligationen stiegen die Renditen daraufhin, und die Kurse gingen spiegelbildlich zurück. Vor allem die Spreads für Italien legten stark zu, und Lagarde und die EZB hatten Mühe, die Aussage zu korrigieren und Marktteilnehmer zu beruhigen.

EZB will gezielt Unternehmen unterstützen

Die EZB hatte in der vergangenen Woche einstimmig ein grosses Massnahmenpaket beschlossen. Die Notenbank bietet vorübergehend zusätzliche subventionierte Kredite für Banken an, sogenannte langfristige Refinanzierungsoperationen (LTRO). Diese dienen der Brückenfinanzierung bis zum Sommer. Zudem verbesserte die EZB die Konditionen der bereits angekündigten gezielten günstigen Langfristkredite für Banken (TLTRO III) für die Periode Juni 2020 bis Juni 2021 erheblich und will bis Jahresende zusätzlich Wertpapiere über 120 Mrd. € erwerben, um günstige Refinanzierungskonditionen für die Realwirtschaft sicherzustellen. Dieses zusätzliche Geld soll vor allem dem Unternehmenssektor zugutekommen.

«Aussergewöhnliche Zeiten erfordern aussergewöhnliche Massnahmen», sagt EZB-Präsidentin Christine Lagarde.

«Aussergewöhnliche Zeiten erfordern aussergewöhnliche Massnahmen», sagt EZB-Präsidentin Christine Lagarde.

Thomas Lohnes / Getty

Lagarde hatte aber vor einer Woche keine Senkung des Einlagensatzes angekündigt; auf eine solche hatten Marktteilnehmer gehofft. Auch einige Finanzminister der Euro-Staaten warfen Lagarde vor, zu wenig zu tun. Am Montagabend beschlossen die Finanzminister dennoch, die für Euro-Staaten in finanziellen Nöten vorgesehene Feuerkraft des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) von 410 Mrd. € nicht für den Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie einzusetzen.

Die Coronavirus-Krise hat ihr Epizentrum derzeit in Europa. Besonders stark betroffen ist Italien. Die weitreichenden Massnahmen im Kampf gegen die Seuche haben das öffentliche Leben lahmgelegt und drohen die Wirtschaft in eine tiefe Rezession zu stürzen. Zudem hantiert ausgerechnet Italien schon jetzt mit einem wenig soliden Haushalt und ist hoch verschuldet. Sollten Investoren im Zuge der Coronavirus-Krise an der Zahlungsfähigkeit Italiens zu zweifeln beginnen, so die Angst, könnte es zu einer neuerlichen Staatsschulden-Krise kommen, welche den Währungsraum insgesamt infrage stellen würde. Diesem Szenario stemmt sich die EZB nun mit Macht entgegen.

Am Donnerstag entfaltete die Bazooka der EZB zumindest zum Teil die erhoffte Wirkung: Die Renditen an den Staatsanleihemärkten gingen spürbar zurück, und die Kurse stiegen wieder. Die Renditen für zehnjährige italienische Government Bonds sanken um 60 Basispunkte auf 1,8%, jene für spanische um 33 Punkte auf 0,9% und die für griechische um satte 150 Punkte auf 2,4%. Der Euro gab zum Dollar um mehr als 1% auf $ 1.08 nach – das ist eine Bewegung, über die man sich innerhalb der EZB ebenfalls sehr freuen dürfte. Lediglich an den Aktienmärkten entfalten die Interventionen der globalen Zentralbanken wenig Wirkung, hier helfen derzeit wohl nur positive Nachrichten über die Eindämmung der Pandemie. Doch immerhin scheinen sich die Kurse derzeit etwas zu beruhigen. Eine Gegenbewegung gibt es aber nicht.

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