Hilft Amerikas Gründergeist in der Corona-Krise?

Die USA gelten in puncto Unternehmertum immer noch als Vorbild. Und zumindest bisher blieb der Gründergeist auch intakt, wie neuste Daten zeigen. Gleichzeitig sind bestehende Firmen aber weniger flexibel, als Politiker einen glauben machen möchten.

Martin Lanz, Washington
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Der Gründergeist in den USA ist noch intakt. Aber viele Firmen werden die Krise nicht überleben.

Der Gründergeist in den USA ist noch intakt. Aber viele Firmen werden die Krise nicht überleben.

Damian Dovarganes / AP

Die Covid-19-Pandemie hat schwerwiegende wirtschaftliche Folgen für die USA. Wie gross die Zerstörungskraft ist, lässt sich aber erst erahnen. Immerhin lässt sich dank wöchentlichen Daten zu den Anträgen auf Arbeitslosenhilfe die Entwicklung am Arbeitsmarkt zeitnah verfolgen. So liess sich etwa der Veröffentlichung vom Donnerstag entnehmen, dass in der am 23. Mai zu Ende gegangenen Woche erneut über 2 Mio. Personen einen Erstantrag gestellt haben und dass per 16. Mai total 21 Mio. Amerikaner Arbeitslosenhilfe bezogen.

Um auch ein zeitnahes Bild über die Situation bei den Unternehmen zu erhalten, hat das US-Volkszählungsbüro vor ein paar Wochen verschiedene Datenexperimente lanciert. Einerseits wird neu zumindest vorübergehend auf Wochenbasis veröffentlicht, wie viele Unternehmen gegründet werden, und anderseits fühlt das Büro rund 100 000 Kleinunternehmen ebenfalls im Wochenrhythmus zu verschiedenen Themen den Puls.

Intakter Gründergeist?

Die Erhebungen zeigen, dass die Zahl der Firmengründungen in den USA trotz Covid-19 erstaunlich hoch zu bleiben scheint. Jedenfalls legen das die sogenannten «Business Applications» nahe. Das sind die Anträge auf eine Arbeitgeberidentifikationsnummer (Employer Identification Number, EIN), die bei der Steuerbehörde IRS eingehen und vom Volkszählungsbüro ausgewertet werden.

Allein, nicht jede neue EIN führt zur Gründung eines neuen Unternehmens mit allem Drum und Dran. Eine EIN ist aber zwingend, wenn man künftig Angestellte zu bezahlen hat und eine Unternehmenssteuererklärung einreichen will. Sie gilt deshalb als guter Indikator für den Gründergeist in den USA.

Geht es bereits wieder aufwärts in den USA?

Anzahl Business Applications, wöchentlich
2019
2020

Am Donnerstag sind die Daten für Kalenderwoche 21 veröffentlicht worden. Demnach sind in der am 23. Mai zu Ende gegangenen Woche 75 060 EIN-Anträge registriert worden, 8% mehr als in derselben Woche des Vorjahres. Tatsächlich sind die Anträge im laufenden Jahr nur von Woche 11 bis 19 unter den Vorjahreswert gefallen.

Zumindest kurzfristig scheint also der Gründergeist in Amerika intakt zu sein. Die Zahl der Business Applications ist von 2011 bis Anfang 2018 stets gestiegen, stagniert aber seither auf hohem Niveau.

Stagnation auf hohem Niveau seit Anfang 2018

Anzahl Business Applications, quartalsweise und saisonbereinigt (in Tausend)

Der wöchentliche Puls-Check unter den Firmen mit bis zu 499 Mitarbeitern bestätigt hingegen, dass sehr viele von ihnen unter der Pandemie leiden. Auch in der Woche vom 17. bis zum 23. Mai sagten immer noch 45% der Unternehmen, dass sie grosse negative Auswirkungen spürten. Immerhin sind das aber 6,5 Prozentpunkte weniger als bei der erstmaligen Umfrage in der Woche vom 26. April bis zum 2. Mai.

Die wohl interessanteste der insgesamt 16 Fragen versucht zu ergründen, ob die Unternehmen als Reaktion auf die Pandemie auf die Produktion anderer Güter oder Dienstleistungen umsteigen – zumal Medienberichte und gezielte Marketingübungen gewiefter Unternehmen zeitweise vermuten liessen, dass in den USA eine regelrechte Generalmobilmachung der Wirtschaft gegen das Virus stattfindet.

Die Flexibilität hält sich in Grenzen

In der Umfrage des Volkszählungsbüros gaben aber seit Ende April im landesweiten Durchschnitt nur etwa 6,5% der befragten Unternehmen an, in der vergangenen Woche andere Güter oder Dienstleistungen als bisher produziert zu haben. Dass Firmen rasch und in grosser Zahl auf die Produktion von Schutzmasken, Beatmungsgeräten und Ähnlichem umgestellt hätten, scheint also eher die Ausnahme als die Regel zu sein.

Zwischen den Branchen gibt es freilich erhebliche Unterschiede: So sagten immerhin 17,3% der im Bildungswesen aktiven Firmen, ihre «Produktion» umgestellt zu haben. In der Kunst-, Unterhaltungs- und Freizeitbranche waren es 11%, in allen anderen Branchen betrug der Anteil aber weniger als 10%.

In der Industrie etwa betrug der Anteil «nur» 7%. Das zeigt, dass es viel schwieriger ist, Produktionsanlagen über Nacht umzurüsten und auf neue Bedürfnisse auszurichten, als es die Firmen selber und vor allem auch die Politiker gerne glauben machen.

Das Volkszählungsbüro erfragt zusätzlich, ob die Firmen auf Pick-up, Carry-out oder Hauslieferungen als exklusive Methoden zur Erbringung ihrer Waren und Dienstleistungen umgestiegen sind. Im nationalen Durchschnitt waren es jüngst noch 11,7%, welche diese Frage bejaht haben, verglichen mit 15,2% Ende April.

Hier sind die Branchenunterschiede erwartungsgemäss erheblich: Unter den im Gastgewerbe aktiven Unternehmen waren es beispielsweise in der Woche vom 16. bis zum 23. Mai noch über 38% der Firmen, die ihre Ware nur noch lieferten oder zum Abholen bereitstellten, während es im Einzelhandel immerhin 22,2% waren.

Es geht ums Überleben

Wie die Firmen mit der Krise umgehen, ist die eine Frage; ob sie die Krise auch überleben, die andere. Meldungen über namhafte Konkurse gibt es inzwischen täglich; ein repräsentativer Überblick über die gesamte Unternehmenslandschaft hinweg ist aber schwierig.

So sind bei den US-Gerichten im März 2020 1859 Konkursanträge eingegangen, 17% mehr als im März 2019. Das American Bankruptcy Institute (ABI) hat auch schon Daten für den April und weist für den Monat 2278 Anträge aus, 35% weniger als für den April 2019 – bisher war die Entwicklung also uneinheitlich.

Im März 2020 fielen von den 1859 Anträgen 1093 Fälle unter Kapitel 7 des Insolvenzrechts, 581 unter Kapitel 11, 110 unter Kapitel 13. Die übrigen 75 Fälle werden anders abgewickelt. Die Mehrheit der Insolvenzverfahren wird also gemäss Chapter 7 durchgeführt. Die Chapter-7-Verfahren dienen der vollständigen Auflösung der Insolvenzmasse zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger.

Im Gegensatz dazu ist unter Chapter 11 und 13 ein Reorganisationsverfahren vorgesehen, das dem Schuldner erlaubt, die Kontrolle über sein Vermögen zu behalten und zukünftige Einkünfte zur Bedienung der Gläubiger zu verwenden. Das Verfahren gemäss Chapter 11 kommt zum Zug, wenn sich ein Unternehmen vor den Forderungen seiner Gläubiger schützen will, um mittels einer Restrukturierung die Firma zu erhalten.

Während die US-Gerichte und das ABI in der Beurteilung verständlicherweise noch zurückhaltend sind, berichtete Bloomberg News am Donnerstag, dass im Mai die Konkurswelle nun so richtig gestartet habe. Die Analyse beschränkte sich aber auf Unternehmen, die Verbindlichkeiten von mindestens 50 Mio. $ ausweisen und die Insolvenzverfahren nach Kapitel 7 oder 11 beantragt haben.

Die Zahl der Firmenkonkurse dürfte 2020 hochschnellen

Anzahl Business Filings for Bankruptcy

Allein im Mai haben laut Bloomberg 27 solche Firmen, darunter namhafte Detailhändler wie J. C. Penney Co. und J. Crew Group Inc. oder die Fluggesellschaften Latam Airlines Group SA und Avianca Holdings, in den USA Konkurs angemeldet. Im Jahr 2020 sind das bis jetzt 98 Grosskonkurse; Bloomberg spricht von der grössten Konkurswelle seit 2009.

Laut den Daten des ABI wurden 2009 über 60 000 Unternehmenskonkurse angemeldet. Die Höchstwerte der 1980er Jahre wurden damit aber nicht erreicht. 1987 waren es über 82 000 Insolvenz-Anträge gewesen. Seit der Überwindung der Finanzkrise 2008/09 ist die Zahl der Anträge stark zurückgegangen auf noch 22 000 bis 25 000 pro Jahr, was weit weniger ist als der langjährige Jahresdurchschnitt von 47 750.