Stagflationsproblem im Einzelhandel: Walmart und Target müssen die Preise erhöhen, oder die Kosten fressen die Rendite auf

Die grossen Einzelhändler rechnen mit niedrigeren Margen, da sich Lohn-, Güter-, Fracht- und Treibstoffkosten nicht beruhigen. Die Aktien stürzen ab wie letztmals 1987, im Jahr des Crashs.

Christof Leisinger, New York
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Die Aktienkurse von Target stehen wegen der Inflation unter Druck.

Die Aktienkurse von Target stehen wegen der Inflation unter Druck.

David Paul Morris / Bloomberg

Erst der amerikanische Einzelhandelsriese Walmart und nun sein etwas kleinerer Konkurrent Target: Die Unternehmen können bei dem boomenden Konsum im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zwar ihre Erlöse steigern, aber der Gewinn geht zurück, denn die Inflation wird zum Problem. Steigende Kosten nagen erheblich an der Profitabilität, und die Ertragsmargen geraten unter Druck.

Der Umsatz steigt – aber die Kosten noch mehr

Wie Walmart schon am Dienstag bekanntgegeben hatte, hat der Umsatz im vergangenen Quartal auf hohem Niveau um 2,6 Prozent auf knapp 142 Milliarden Dollar zugenommen, der operative Gewinn dagegen ist um einen Viertel auf 5,3 Milliarden Dollar gesunken, und er war nur etwa halb so hoch, wie allgemein erwartet worden war. Die operative Marge ging zum dritten Mal in Folge zurück und ist mit 3,8 Prozent praktisch auf das tiefste Niveau seit Jahrzehnten gefallen.

«In allen unseren Geschäftsbereichen hatten wir ein starkes Umsatzquartal. Die Ergebnisse unter dem Strich waren aber unerwartet und spiegeln das ungewöhnliche Umfeld wider. Die Inflationsraten in den USA, insbesondere bei Lebensmitteln und Treibstoff, haben die Margen stärker unter Druck gesetzt und die Betriebskosten mehr getrieben als erwartet. Wir passen uns an und werden die Bedürfnisse unserer Kunden mit der Notwendigkeit eines Gewinnwachstums für unsere Zukunft in Einklang bringen», erklärte der Unternehmenschef Doug McMillion zuversichtlich.

Die Aktien der US-Einzelhändler stehen unter Inflations-Druck

Indexierte Kursentwicklung in Dollar
Amazon
Target
Walmart
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Beginn der Corona-Krise

Er deutet damit indirekt an, künftig die Preise zu erhöhen, dabei aber unter denen der Wettbewerber zu bleiben und die Preiserhöhungen bei einfachen Lebensmitteln des täglichen Bedarfs zu begrenzen. Das mag sich anhören wie eine vernünftige Strategie, trotzdem rechnet er im Jahresverlauf mit einem Gewinnrückgang um 1 Prozent – und das kommt bei den Anlegern zumindest kurzfristig nicht gut an. Tatsächlich mussten die Papiere von Walmart am Dienstag mit einem Minus von gut 11 Prozent die stärksten Kursverluste seit Jahrzehnten hinnehmen, und am Mittwoch ging es um weitere 6,7 Prozent nach unten.

Das ist wohl unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Kosten für die Arbeitnehmer des Unternehmens höher sind als allgemein erwartet und dass die Kunden auf der anderen Seite aufgrund des inflationären Umfelds beim Einkaufen immer öfter günstige Produkte wählen, die für den Handel nicht so viel abwerfen wie Markenprodukte. «Preisbewusste Kunden wechseln bei der Feinkost, bei Fleisch, Speck oder auch bei Molkereiprodukten zu Eigenmarken», hiess es in der Bilanzpressekonferenz.

Bei Target halbiert sich die Marge

Walmart ist nicht allein. Schon vor Tagen liessen sich die Tendenzen am Ergebnis von Amazon ablesen, wo sich das Ende des pandemiebedingten E-Commerce-Booms schon deutlich abgezeichnet hatte. Und am Mittwoch sorgte Target für einen grossen Schock: Die Papiere des eigentlich gut aufgestellten Einzelhandelsunternehmens verloren an der Wall Street bis zu einem Viertel ihres Wertes, nachdem es bei der Vorlage der Quartalszahlen eine Gewinnwarnung für das Gesamtjahr ausgegeben hatte.

US-Konsum liegt nominal weit über dem langfristigen Trend

Abweichung in Prozent
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Geplatzte Internetblase
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Finanzkrise
3
Corona-Krise

Target konnte den Umsatz im ersten Quartal des laufenden Jahres nominal um 4 Prozent auf 25,2 Milliarden Dollar steigern, die operative Marge war aber nur gut halb so hoch wie im Vorjahr. «Die diesjährige Bruttomarge spiegelt die höheren Abschreibungen wider, die vor allem auf Wertminderungen von Vorräten und Massnahmen zur Bewältigung der unter den Erwartungen liegenden Umsätze in den diskretionären Kategorien zurückzuführen sind sowie auf Kosten im Zusammenhang mit der Logistik, mit der Unterbrechung der Lieferketten und mit höheren Vergütungen und Personalaufstockungen in unseren Vertriebszentren», teilte das Unternehmen mit.

Das eigentliche Problem aber sei, meint der Target-CEO Brian Cornell, dass er keinerlei Hinweise auf eine Entspannung auf der Kostenseite sehe. Allein im ersten Quartal hatte das Unternehmen etwa eine Milliarde Dollar mehr für Treibstoffe und Fracht ausgeben müssen, als es ursprünglich erwartet hatte. Trotzdem möchte das Management ähnlich wie bei Walmart versuchen, die Kostensteigerungen nicht voll an die Verbraucher weiterzugeben, um längerfristig Marktanteile zu gewinnen, statt kurzfristig die Gewinne zu maximieren. Die Frage ist nur, wie lange die Unternehmen diese Strategie durchhalten können, während sie an der Börse abgestraft werden.

Amazon macht sogar Verluste

Davon kann auch Amazon ein Lied singen. Das Konglomerat, das das grosse Geld mit seiner Cloud verdient, hat im ersten Quartal zum ersten Mal seit sieben Jahren einen Verlust von knapp 4 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Auch ihm machten vor allem die steigenden Logistikkosten zu schaffen, sagte der Finanzchef Brian Olsavsky bei der Präsentation der Quartalszahlen. Der Lockdown-bedingte Personalmangel in China habe dazu geführt, dass sich die Kosten für den Transport von Warencontainern seit dem Beginn der Pandemie verdoppelt hätten. Ebenso habe der Kriegsausbruch in der Ukraine die Benzinpreise in die Höhe getrieben. Diese lägen nun beim Eineinhalbfachen des Vorjahrespreises. «Das wird auch die nächsten Monate anhalten», sagte Olsavsky mit Blick auf das zweite Quartal.

Auch die Personalkosten belasten Amazon enorm – doch daran ist der E-Commerce-Riese bis zu einem gewissen Grad selbst schuld. Er lockte in guten Zeiten mit beachtlichen Antrittsboni und zahlt fast das Dreifache des staatlichen Mindestlohns. Während der Pandemie hat er Hunderttausende von neuen Mitarbeitern in seinen Lagerhäusern eingestellt, und gleichzeitig investiert er massiv in sein eigenes Logistiknetz, um mit den im Land weit vernetzten Konkurrenten wie eben Walmart oder Target mithalten zu können.

Insgesamt hat Amazon im ersten Quartal das langsamste Umsatzwachstum in rund zwanzig Jahren verzeichnet, weil das Internetgeschäft mit dem Abflauen der Pandemie kaum noch wächst und die Konsumenten ihr Geld lieber wieder in den physischen Geschäften und Restaurants ausgeben. Längerfristig steckt die Branche in einem Dilemma: Entweder sie erhöht künftig die Preise und dreht damit zusätzlich an der inflationären Spirale, oder sie nimmt sinkende Margen hin. Sie hat also ein Stagflationsproblem.

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