International Vier Strategien für das künftige Geschäft mit China

Ein Gastbeitrag von Patrick Vollmer und Eberhard Veit 5 min Lesedauer

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Die Zeiten des ungebremsten Erfolges deutscher Industrieunternehmen in China scheinen vorbei zu sein. Wie Sie jetzt ihre Strategie anpassen können.

Unternehmen sollten ihre China-Strategien gegebenenfalls anpassen.
Unternehmen sollten ihre China-Strategien gegebenenfalls anpassen.
(Bild: railwayfx - stock.adobe.com)

Eine restriktive Industriepolitik, Corona-Lockdowns und zunehmende politische Spannungen haben dazu geführt, dass der jahrelange Optimismus in vielen Unternehmen Unsicherheit gewichen ist. Die Sorge vor einem sogenannten Decoupling – einem Auseinanderdriften der Wirtschaftsräume – geht um. Unternehmen tun deshalb gut daran, ihr Chinageschäft auf den Prüfstand zu stellen. Welche Strategien gibt es für den künftigen Umgang mit China?

China ist nicht nur der mit Abstand wichtigste Handelspartner Deutschlands , deutsche Unternehmen haben dort im ersten Halbjahr 2022 laut Deutscher Bundesbank 10 Milliarden Euro an Direktinvestitionen getätigt – ein absoluter Rekord. Im Vorjahreszeitraum waren es 6,2 Milliarden. Betrachtet man die Zahlen jedoch genauer, zeigt sich, dass diese Investitionen von einer überschaubaren Anzahl von Großunternehmen aus den Automobil-, Chemie- und Industriesektoren stammen, die bereits stark in China präsent sind und deren Investitionsentscheidungen bereits in der Vergangenheit erfolgt sind. Mittelständische Unternehmen hingegen agieren deutlich zurückhaltender.

Der 20. chinesische Parteitag hat den aktuellen Wirtschaftskurs des Landes bestätigt, der lokale Unternehmen gegenüber ausländischen bevorzugt. Die staatliche Kontrolle insbesondere von Daten und kritischen Technologien wird aller Voraussicht nach nicht nachlassen. Zudem drohen weitere Corona-Lockdowns mit unabsehbaren Folgen für die Konjunktur sowie die Weltwirtschaft.

In China aktive Unternehmen sollten sich daher mit der Frage auseinandersetzen, wie sie ihr Geschäft mit Blick auf diese Entwicklungen künftig aufstellen möchten.

Strategie 1: Vollständiger Rückzug aus China

Ein vollständiger Rückzug aus China ist für die meisten Unternehmen keine realistische Option; zu groß sind bereits die Abhängigkeiten, aber auch die Chancen, weiterhin vom chinesischen Markt zu profitieren. Gerade Produktionsunternehmen haben ihr Geschäft dort aufgebaut, weil China ein wichtiger Absatz- und/oder Produktionsmarkt ist und lange Zeit enormes Wachstum versprach.

Zudem profitieren sie von der Verfügbarkeit vergleichsweise günstiger Arbeitskräfte sowie niedrigerer Energiekosten. All dies sind Vorteile, die Unternehmen nicht leichtfertig aufgeben können, da sie andernorts bisher kaum zu finden sind. Dieser Schritt wäre daher nur in Erwägung zu ziehen, wenn es zu massiven geopolitischen Disruptionen kommt.

Strategie 2: Diversifizierung der Lieferkette

Eine Diversifizierung der Lieferkette kann erheblich dazu beitragen, Risiken aus dem China-Geschäft zu reduzieren. Entscheidend ist dabei, an welche Zielmärkte sich ein Unternehmen richtet. Bildet China nur die verlängerte Werkbank und der lokale chinesische Markt spielt nur eine untergeordnete Rolle, so kann es sich lohnen, die Produktion in andere Regionen zu verlagern.

Alternativ können Unternehmen sich zusätzliche Produktionsstandorte in Ländern aufbauen, die weniger staatlicher Einflussnahme, Einschränkungen und anderen Risiken unterliegen. So hat Apple beispielsweise mit der Produktion neuer iPhones in Vietnam begonnen.

Zudem arbeiten Unternehmen verstärkt daran, neue Partner- und Lieferantenbeziehungen aufzubauen, um die Abhängigkeit von China aber auch von anderen singulären Produktionszentren in Zeiten angespannter Lieferketten zu reduzieren. Das China-Geschäft bleibt in diesem Fall Teil einer diversifizierten Lieferkette, um lokale oder regionale Märkte zu bedienen.

Auch wenn diese redundanten Prozesse und Produktionsstandorte mit erhöhten Kosten einhergehen, so lassen sich damit Auswirkungen von Lieferkettenproblemen, Rohstoffknappheit, Lockdowns, Sanktionen, staatlicher Einflussnahme und sonstiger Risiken auf das gesamte Geschäft mildern. Es empfiehlt sich daher, die Lieferkette unter Risikogesichtspunkten zu analysieren und zu überlegen, welche Teilbereiche sich diversifizieren ließen.

Strategie 3: Schalenmodell – China-Geschäft als integriertes Teilunternehmen

Bei der Frage nach dem Umgang mit kritischem Technologie-Knowhow wird zumeist ein Schalenmodell angewendet. Dabei werden Technologien und wichtige Unternehmensfunktionen in unterschiedlichem Maß an chinesischen Tochterfirmen transferiert. Das China-Geschäft wird zu einem mehr oder weniger integrierten Teilunternehmen.

Die innerste Schicht beziehungsweise den Kern des Unternehmens bilden das geistige Eigentum, die Kerntechnologien und -kompetenzen. In der Vergangenheit verblieb dieses Know-how stets im Heimatland. Auf den nächsten Schalen befinden sich – von innen nach außen – Technologiekompetenzen für applikationsnahe beziehungsweise regionalspezifische Produktanpassungen sowie das Knowhow für die kundenspezifische Personalisierung von Produkten. In einem restriktiveren Ansatz kann beispielsweise nur letzteres an chinesische Tochterunternehmen bereitgestellt werden.

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Wir stellen zunehmend fest, dass technologieorientierte Unternehmen diesen Ansatz überdenken. Unternehmen gehen vermehrt dazu über, selbst Kerntechnologien in China anzusiedeln und dort unabhängig von anderen weltweiten Entwicklungszentren weiterzuentwickeln. Damit wird die maximale Unabhängigkeit des chinesischen Betriebs im Falle eines kompletten Decouplings erreicht.

Wir sprechen alternativ auch von einem Reißverschluss-Prinzip: Je nach Situation kann eine Verzahnung oder Abtrennung kurzfristig umgesetzt werden. Eine vollständige Trennung von Prozessen führt zu Doppelstrukturen und folglich erhöhten Kosten. Verzichten Unternehmen bewusst auf Synergien, erleichtert dies jedoch ein erzwungenes oder freiwilliges Decoupling.

Strategie 4: Business as usual?

Für einige Unternehmen ist das China-Geschäft so bedeutend, dass sein Verlust oder seine Verringerung existenzbedrohend wären. Die Autohersteller Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz etwa verkaufen ein Drittel oder mehr ihrer Fahrzeuge in China. Sie setzen daher weiterhin auf den wichtigen chinesischen Absatzmarkt. Risiken, die zu einem Kontrollverlust über das China-Geschäft und daran gebundenes Kapital führen könnten, nehmen sie gezwungenermaßen in Kauf.

Nichtsdestotrotz: Auch diese Unternehmen arbeiten daran, ihr Geschäft zu diversifizieren, indem sie gleichzeitig an anderen Orten der Erde investieren oder Partnerschaften eingehen, um sich unabhängiger von China zu machen. So planen beispielsweise Bosch und VW ein Joint Venture, um eine resiliente europäische Lieferkette für E-Mobilität aufzubauen.

Fazit: Anpassung statt Abschottung

Pauschale Empfehlungen zum Umgang mit China kann es nicht geben. Sicher scheint nur: Die deutsche Industrie kann auf den chinesischen Markt nicht komplett verzichten – weder heute noch morgen. Aufgrund seiner Bedeutung für die Weltwirtschaft wird sie sich stattdessen an die schwierigeren Bedingungen vor Ort anpassen müssen.

Schließlich muss jedes Unternehmen basierend auf einer Chancen-Risiken-Analyse individuelle Strategien und Maßnahmen finden, um das eigene China-Geschäft auch künftig resilient aufzustellen. Die Veränderungen werden sämtliche Unternehmensbereiche entlang der Wertschöpfungskette bis zur Unternehmenssteuerung betreffen. Jetzt ist die Zeit, um die Weichen für die Zukunft zu stellen, denn der Zug der Veränderungen hat bereits Fahrt aufgenommen.

* Patrick Vollmer ist Senior Managing Director bei der Accenture GmbH, Dr. Eberhard Veit ist geschäftsführender Gesellschafter der 4.0-veit.GmbH

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